Appell von Wissenschaftlern

Appell von Wissenschaftlern

Beitragvon Electra » Mittwoch 10. Januar 2007, 10:48

Appell (November 2006) von Wissenschaftlern an Politiker gegen die Versteigerung neuer Mobilfunkfrequenzen an die Mobilfunkindustrie


Die Unterzeichner/innen dieses Textes verstehen sich als unabhängige Vertreter ihres Faches. Sie halten die Verpflichtung auf Wahrheit und soziale Verantwortung für unverzichtbare Gebote jeder theoretischen wie angewandten Wissenschaft. Sie kritisieren, wie weit beides heute ökonomischen Interessen geopfert wird.

Sie fassen ihre Kritik in den folgenden 10 Punkten und einem entsprechenden Appell an alle Verantwortlichen zusammen:

1. Die überhastete, der Klärung von Risiken vorauseilende Einführung der Wimax-Technik widerspricht nicht nur jedem politischen Vorsorgeauftrag, sondern auch allen Gesetzen politischer Verantwortung und Vernunft. Die Versteigerung muß storniert werden, weil alles andere ein gesundheitspolitisches Verbrechen an der Bevölkerung wäre.

2. Das gegenwärtig beobachtbare Streben von Regierungen, im Aufbau von Musterländern des Mobilfunks und Regionen der Schnurlosigkeit ganz vorne dabei zu sein und den Verbraucherschutz industriegefällig auf die Einhaltung weit überhöhter Grenzwerte zu reduzieren, ist ein Programm gesundheits- und gesellschaftspolitischer Verantwortungslosigkeit.

3. Der Föderalismus deutscher Prägung ist auch dahingehend zu reformieren, daß die Ausbürgerung gesundheitspolitischer Verantwortung nicht zu seiner logischen Folge werden kann. Europa braucht keine Provinzen, die ihre politische Eigenständigkeit auf Kosten von Gesundheit, Umwelt und Kultur erkaufen wollen!

4. Wer ungeachtet bekannter Risiken die Einführung neuer schnurloser Techniken propagiert, sollte zuerst die Haftung regeln und auch bereit sein, sich daran zu beteiligen – wie das in der zivilisierten Welt üblich ist. Beteuerungen der Harmlosigkeit bei gleichzeitigem Ausschluß der Haftung bezeugen das vorhandene Risikobewußtsein, entsorgen es aber auf dem Rücken der Bevölkerung.

5. Staaten, die sich hohe Milliardenbeträge von der Industrie geben lassen, sollten ihre verfassungsgemäße Unabhängigkeit in dreifacher Hinsicht unter Beweis stellen: durch den Schutz der Bevölkerung vor egoistischen Profitinteressen der Industrie; durch die Gewährleistung einer industrieunabhängigen Forschung; durch Förderung schonender Techniken des Kommunikationsfunks.

6. Eine schizophren anmutende Umweltpolitik reagiert mit Verboten, aber auch der Verspätung von Jahrzehnten auf die Risiken des Rauchens – rechtfertigt zugleich aber flächendeckende Zwangsbestrahlungen, die einem gesetzlichen Rauchzwang vergleichbar sind. Sie schmückt sich mit Ethik- und Zukunftskommissionen – praktiziert aber einen ökonomischen Machiavellismus ohne Zukunftsfähigkeit und ethische Legitimation.

7. Staatliche Schutzzusagen ›körperlicher Unversehrtheit‹ werden unterlaufen, seelisch gesunde, aber strahlenbelastete Menschen zu psychisch Kranken gestempelt und nicht selten in Kliniken verstaut. Gegen solche Inhumanität sollten Regierungen, aber auch die heutige WHO, wieder auf jene umfassende Definition von Gesundheit verpflichtet werden, die von eben dieser Organisation 1946 verabschiedet wurde: »Gesundheit ist der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens«.

8. Menschenwürde, Gesundheit und Schutz vor Willkür sind die elementarsten Güter jeder intakten Demokratie. Sie stehen auch für hohe Milliardenbeträge nicht zur Disposition. Die UMTS-Versteigerung hat dem deutschen Staat 100 Milliarden DM gebracht. Inzwischen liegen dem Bundesumweltminister – nach noch vertraulichen, aber verläßlichen Informationen renommierter Wissenschaftler – Forschungsergebnisse vor, denen zufolge die gentoxische Wirkung von UMTS diejenige von GSM bei weitem übertrifft. Das ist kein Ergebnis erfolgreicher Wirtschaftspolitik, sondern absoluter Verantwortungslosigkeit, die sich bei Wimax nicht wiederholen sollte!!!

9. Technik und Wirtschaftspolitik müssen deshalb wieder in jene menschenrechtlichen und ethischen Schranken verwiesen werden, die Gemeingut der europäischen Demokratiegeschichte sind. Heiner Geißlers Buch: Was würde Jesus heute sagen? Die politische Botschaft des Evangeliums (2003) und Carl Friedrich von Weizsäckers Reklamation der Nächstenliebe als allgemeinster Grundlage jeder Ethik der Technik bezeichnen auch notwendige Orientierungen einer Ethik der Politik – zum Schutz vor kapitalistischen Entgleisungen der Marktwirtschaft.

10. Der Fortschritt braucht auch eine Reform des politischen Bewußtseins, die mit dem Wahrheitsverlangen und dem Reformwillen demokratischer Bürger Schritt hält. Denn der »Druck der Tatsachen ist so groß, daß wir uns entweder verändern müssen oder von der Erde verschwinden werden« (Dennis Meadows: Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, dt. Übers. Stuttgart 1972)

Alle diese Punkte zusammenfassend appellieren die Erstunterzeichner/innen, die auf der Grundlage weit gefächerter Kompetenzen mit den Wirkungen elektromagnetischer Felder befaßt sind, an die politisch Verantwortlichen:

Geben Sie uns Demokratien zurück, die sich am Menschen, nicht an industriellen Interessen orientieren! Die einzigen Garanten unserer Zukunft sind gesunde Kinder, eine gesunde Umwelt, eine lebendige Kultur und die Verankerung unserer Demokratien in der Europäischen Konvention der Menschenrechte.

Korrigieren Sie eine wirklichkeits- und bürgerferne Politik, die Musterländer des Mobilfunks und Paradiese schnurloser Kommunikation propagiert, aber zunehmend Regionen einer gestörten zwischenmenschlichen und politischen Kommunikation schafft, die Menschen zur Auswanderung oder inneren Emigration verurteilen.

Mehr denn je trifft zu, was der Erste Bericht des Club of Rome Die Grenzen des Wachstums bereits 1972 vorausgesagt hat: Der Mensch steht »nicht nur vor der Frage, ob er als biologische Spezies überleben wird, sondern ob er wird überleben können ohne den Rückfall in eine Existenzform, die nicht lebenswert erscheint« (Dennis Meadows: Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, dt. Übers. Stuttgart 1972).



Dieser Appell wird mit den Unterschriften der Erstunterzeichner Herrn Bundespräsidenten Horst Köhler, Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und Herrn Umweltminister Sigmar Gabriel vor dem 12. Dezember übermittelt.



47 Erstunterzeichner/innen



Interdisziplinäre Koordination sowie Kontaktadresse für Rückfragen:

Prof. Dr. Karl Richter, Preußenstr. 11, 66386 St. Ingbert, Fax 06894/889946

November 2006
Electra
 

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