TAZ Chemiereform verwässert

TAZ Chemiereform verwässert

Beitragvon jeansgirl » Dienstag 27. September 2005, 11:05

http://www.taz.de/pt/2005/09/27/a0095.nf/text.ges,1

Chemiereform verwässert
Die EU will die Chemiepolitik neu regeln. Doch die Industrie wehrt sich erfolgreich: Unbedenklichkeit von Produkten muss auch künftig nicht nachgewiesen werden
BERLIN taz Die Europäische Kommission plant eine Reform des Chemikalienrechts. Eine Woche vor der entscheidenden Abstimmung im Umweltausschuss kämpfen in Brüssel jetzt die Lobbyisten: In der Industrie "wächst die Hoffnung auf eine praktikable Lösung". Die Umweltverbände hingegen stellen fest, dass die "Kommission dem massiven Druck der Chemieindustrie nachzugeben scheint.

Es geht um die Registrierung und Risikobewertung für rund 30.000 chemische Substanzen, deren Wirkung auf die Umwelt und den menschlichen Organismus weitgehend unbekannt ist.

Vor vier Jahren war die EU-Kommission mit dem ehrgeizigen Anspruch angetreten, für sämtliche Stoffe ab einer produzierten Jahresmenge von einer Tonne schrittweise Sicherheitsdaten zu verlangen. Die damalige Umweltkommissarin Margot Wallström hatte gar ihr Blut auf Chemikalien untersuchen lassen. Sie wollte belegen, wie stark jeder Mensch mit Stoffen in Berührung kommt, deren Wirkung auf den Organismus in den meisten Fällen völlig unklar ist. Umweltverbände hatten den Inhalt von Staubsaugerbeuteln unter die Lupe genommen und auch dabei chemische Rückstände in großer Zahl entdeckt.

Zugleich hatte auch die chemische Industrie öffentlichen Druck aufgebaut - gegen den Gesetzentwurf. Sie drohte mit dem Verlust zigtausender Arbeitsplätze in Europa. Ihre Kampagne zeigt nun Wirkung. Vorvergangene Woche schwächten zunächst sowohl der Industrie- als auch der Binnenmarktausschuss des Parlaments den Entwurf bis zur Unkenntlichkeit ab. Kommission und Rat schwenken jetzt auf diese Linie ein.

Danach müssten für einen Großteil der Stoffe nur noch die Daten vorgelegt werden, die ohnehin bereits bekannt sind. Im Klartext: Hersteller, die das Risikopotenzial ihrer Produkte bereits gut dokumentiert haben, müssten mehr offen legen als Konkurrenten, die sich derartige Forschungskosten sparen.

Ursprünglich sollten die Hersteller durch hohe Registrierungsauflagen dazu gebracht werden, weniger belastende Stoffe zu entwickeln. Dieser Effekt verpufft mit den neuen Ideen. Öko-Dumping wäre vorprogrammiert.

Bislang war geplant, die Hersteller dazu zu verpflichten, die Unbedenklichkeit ihrer Produkte nachzuweisen. Ansonsten sollten sie auf dem Markt nicht zugelassen werden. Davon aber soll die Industrie nun befreit werden. Dafür soll es eine neue europäische Chemieagentur geben. Diese soll weitere Daten von den Produzenten einfordern können, falls sie einen begründeten Verdacht hat, dass eine Substanz für den Menschen oder die Umwelt gefährlich sein kann.

Am 4. Oktober geben die Abgeordneten des Umweltausschusses ihr Votum ab. Ihr Spielraum für Nachbesserungen schrumpft, da sich sowohl die an der Gesetzgebung beteiligten nationalen Fachminister als auch die Kommission für die Argumente der Industrieverbände aufgeschlossen zeigen.

DANIELA WEINGÄRTNER

taz Nr. 7779 vom 27.9.2005, Seite 8, 100 Zeilen (TAZ-Bericht), DANIELA WEINGÄRTNER
jeansgirl
 

TAZ Chemiereform verwässert

Beitragvon Anne » Dienstag 27. September 2005, 13:17

Das heißt also, erst müssen genug Menschen an den giftigen Substanzen [b]nachweisbar[/b] ekrankt und gestorben sein, erst dann wird man die Industrie darum bitten, unschädlichere Produkte herzustellen und auf Gifte zu verzichten? Ist so was denn noch normal??

War es nicht so, dass beim Süßungsmittel "Stephia" der Vertrieb in Deutschland nicht zugelassen ist, weil man nicht weiß, ob dieses Produkt bedenklich ist? Aber warum dürfen dann Produkte in den Verkauf gebracht werden, von denen man weiß, dass sie höchstgradig bedenklich für Menschen sind?

Wie soll jemand nachweisen, dass z. B. sein Krebs durch giftige Stoffe in seinen Möbeln ausgelöst wurde, wenn er gar nicht darüber aufgeklärt wurde, dass die Zellen durch Gifte entarten können und dadurch Tumore hervorbringen?

Und selbst wenn er aufgeklärt ist, woher soll ein Krebskranker wissen, ob sein Geschwür durch die Giftstoffe in seinem Teppich ausgelöst wurden oder durch die mit Giften bearbeitete Lederchouch oder evtl. durch den mit Giften hergestellten Schlafzimmerschrank oder vielleicht sogar durch das Zusammenwirken aller Gifte gleichzeitig?

Wenn die Hersteller alle die gleichen Schadstoffe bei ihrer Produktion eingesetzt haben, welchen soll er verklagen? Jeder Hersteller wird auf den anderen verweisen, der Geschädigte wird nie und nimmer einen Schadenersatzanspruch durchsetzen können, weil nicht eindeutig nachweisbar sein wird, wer dran Schuld ist.

Aber was soll auch ein Krebskranker noch mit Schadenersatzansprüchen, wenn er eh nicht mehr lange zu leben hat?
Wissen die Politiker und die Industrie wirklich nicht, dass in einem solchen Stadium der Kranke nicht mehr fähig sein wird, seine verbliebene Kraft für den Kampf um einen ihm rechtmäßig zustehenden Schadenersatz einzusetzen? Wird vielleicht sogar darauf spekuliert, dass in der Regel dazu niemand mehr in der Lage ist?
Der Holzschutzmittelprozess hat uns ja gezeigt, wie wenig man Geschädigten verfährt und wie wenig wirkliches Interesse daran besteht, sie zu ihrem Recht zu verhelfen.

Überaus frech und dreist finde ich es auch (um es noch vorsichtig auszudrücken), auf wem die Politik und die Industrie die Kosten abwälzen, die durch eine Vergiftung entstehen.
Nicht der Verursacher wird zur Kasse gebeten, nein der Geschädigte selbst!! Der nämlich muss schon sein eigenes Konto dafür plündern, wenn er in einem Prüflabor feststellen lassen will, welche von den unzähligen möglichen und in Frage kommenden schadstoffbelasteten Gegenständen seine Krankheit verursacht haben!
Auf seinen Rechtsanwaltskosten wird er auch sitzenbleiben, weil die Industrie viel mehr Geld hat und sich Unmengen von teuren Rechtsanwälten leisten kann, da kann ein Normalbürger nicht mithalten. Ganz abgesehen von den Gesundheitskosten, die zum großen Teil auch noch auf den Kranken selbst abgewälzt werden.

Sollte man den Bürgern dieses Staates nicht doch besser empfehlen, schon ordentlich für die Vielzahl der zu erwartenden Krankheiten zu sparen, die durch die ständigen täglichen Giftstoffbelastungen auftreten können, damit sie dann auch die nötigen Kosten dafür aufbringen können?


Anne
Anne
 


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