"Dabei ist die Arzt-Industrie-Beziehungspflege ein Auslaufmodell. Längst hat die Pharmaindustrie andere Methoden entdeckt. Statt individuell um den Arzt zu werben, setzen die Unternehmen zunehmend auf den Großangriff. Schließlich handeln ganze Klinikketten heute Rabattverträge mit Pharmagroßhändlern aus.
Nicht mehr die Zulassung der Arzneimittelbehörden ist die wichtigste Hürde bei der Markteinführung, sondern es sind Einrichtungen wie das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen und der Gemeinsame Bundesausschuss, das oberste Beschlussgremium der Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland.
Diese Institutionen entscheiden darüber, ob ein neues Medikament auch von den Krankenkassen erstattet wird. Sie lassen sich nur politisch unter Druck setzen. Deshalb lohnt es sich heute mehr denn je, große gesellschaftliche Gruppen wie Patientenorganisationen zu mobilisieren und Druck über die Medien zu machen.
Wie das in Perfektion aussieht, ist in den USA zu beobachten. Als die Pharmafirma Merck dort die Zulassung der Arzneimittelbehörde FDA für ihr neues Diabetes-Produkt Sitagliptin erhielt, lief sofort eine gewaltige Marketing-Maschine an: Schon 90 Minuten nach der Zulassung war die Produktwebsite online.
Innerhalb von 48 Stunden starteten Fortbildungsforen zum Medikament im Internet, hatten Pharmareferenten die ersten Ärzte kontaktiert, wurden Aufklärungsfilme über das Internet und per Satellit zu Tausenden Medizinanbietern übertragen. Innerhalb von acht Tagen hatte Merck 70 Prozent aller entscheidenden Ärzte in den USA erreicht und die ersten Paletten an Apotheken ausgeliefert.
Nach 14 Tagen waren die Diskussionen mit Anbietern medizinischer Leistungen abgeschlossen und damit 188 Millionen Patienten erreicht – 73 Prozent aller Versicherten in den USA. Einen Monat nach der Zulassung hatte das Produkt bereits einen Marktanteil von 14 Prozent aller Verschreibungen für Altersdiabetes. Diese moderne Form der Landschaftspflege dürfte rasch Schule machen."
http://www.zeit.de/2008/51/M-Pharmaindustrie?page=3