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5 Euro ALG-2: Dr. Ulrich Schneider zeigt ...

BeitragVerfasst: Dienstag 28. September 2010, 04:14
von kf-forum
Endlich mal ein Interview, das die Wahrheit zeigt: Trickserei bei der Bundesregierung

* http://www.wdr.de/themen/politik/deutschland/hartz/erhoehung_regelsatz/interview.jhtml?rubrikenstyle=politik

Hartz-IV-Erhöhung: Interview mit Dr. Ulrich Schneider
"Es wird fürchterlich getrickst"

Um fünf Euro soll der Satz für Hartz-IV-Empfänger steigen. Opposition und Gewerkschaften sind empört. Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband wirft der Koalition vor, sie habe den Betrag mit einem Trick heruntergerechnet.

Er ist "Deutschlands bekanntester Lobbyist für die Armen", schreibt die Süddeutsche Zeitung über Ulrich Schneider. Der 52-Jährige ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, unter dessen Dach mehr als 10.000 Vereine, Organisationen und Initiativen versammelt sind. Der gebürtige Oberhausener studierte in Bonn und Münster Erziehungswissenschaften, er promovierte in Münster. Schneider schrieb zahlreiche Publikationen zu den Themen Armut in Deutschland und soziale Gerechtigkeit.

WDR.de: Herr Schneider, 364 Euro Regelsatz Hartz IV - warum reicht das nicht?
Dr. Ulrich Schneider; Rechte: dpaBild vergrößern

Dr. Ulrich Schneider

Ulrich Schneider: Da sind Positionen drin, mit denen man überhaupt nicht klarkommen kann. Wenn man sich anschaut, dass man etwa mit 4,50 Euro am Tag für Lebensmittel hinkommen soll, dann kann das nicht klappen, das zeigt die Alltagswirklichkeit. Dieser Satz ist so zustande gekommen, dass man getrickst hat und dass man statistisch die Dinge künstlich kleingerechnet hat.

WDR.de: Grundlage war die Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamtes. Eine seriöse Quelle.
Links

* Video: NRW-Regierung kritisiert neue Regelsätze [WDR aktuell]
* Audio: Reportage: Wie kann man von HartzIV leben? [WDR 5]

Schneider: Das war auch früher schon die Grundlage. Man hat sich bei den Regelsätzen immer an den untersten 20 Prozent der Einkommensskala orientiert und untersucht, was die so ausgeben und wofür, und danach hat man den Regelsatz bemessen. Das ist dem Ministerium diesmal offensichtlich zu teuer geworden. Diesmal hat man nicht die untersten 20 Prozent genommen, sondern 15 Prozent, also eine Gruppe mit noch weniger Einkommen und noch weniger Ausgaben. Dadurch gelang es, auf diesen lächerlichen Betrag zu kommen.

WDR.de: Die untersten 15 Prozent - das schließt die Menschen mit Niedriglöhnen ein, zu denen bei mehr Hartz IV der Abstand weiter schrumpft. Woher soll ein Lagerarbeiter den Anreiz bekommen zu arbeiten, wenn er dann kaum mehr verdient als in Hartz IV?

Schneider: Der muss vom Lohnabstand kommen. Wir müssen den Lohnabstand aufrecht erhalten. Das heißt: Wenn man Hartz IV erhöht, dann muss man gleichzeitig gucken, was passiert mit dem Wohngeld und mit den Kinderzuschlägen für diejenigen, die arbeiten gehen. Das muss alles in einer vernünftigen Balance bleiben. Man kann nicht das eine erhöhen und die anderen Sozialsysteme aus dem Blick verlieren. Das andere ist, dass wir endlich vernünftige Mindestlöhne brauchen, dann haben wir auch nicht so ein Problem mit dem Lohnabstand.

WDR.de: Welche Zahl hätte Frau von der Leyen mindestens nennen müssen, damit Sie nicht entsetzt gewesen wären?

Schneider: Ich bin davon ausgegangen, dass irgendwas um die 400 mindestens rauskommen muss, wie übrigens alle Experten, die die Statistiken kennen, weil keiner von uns gedacht hat, dass die Regierung so dreist ist und einfach die Bezugsgrößen ändert und eine neue Vergleichsgruppe nimmt, um dem Finanz- und dem Wirtschaftsflügel entgegen zu kommen.

WDR.de: Woher soll das Geld kommen?

Schneider: Eine vernünftige Erhöhung der Regelsätze würde etwa sieben Milliarden Euro kosten, das ist etwas mehr als wir an Abwrackprämie für schrottreife Autos gezahlt haben. Wenn ich mir anschaue, dass wir nach wie vor ein Steuerprivileg bei den Börsengeschäften haben und hier auf Milliardenbeträge an Umsatzsteuer verzichten oder dass wir in Deutschland auf die Vermögenssteuer verzichten, dann denke ich, haben wir kein Problem, im Zweifelsfall auch was für die Armen zu tun.

WDR.de: Jeder Hartz-Euro fehlt an anderer Stelle in von der Leyens Haushalt. Zum Beispiel bei Maßnahmen, Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit zu bringen.
Kleingeld in einer Hand; Rechte: mauritiusBild vergrößern

"Einfach nicht mehr glaubwürdig"

Schneider: Seit fünf Jahren wird uns versprochen, dass die Menschen nur kurzfristig in Hartz IV sein sollen, dass sie integriert werden sollen. Seit fünf Jahren passiert kaum etwas mit nennenswertem Erfolg. Viele der Hartz-IV-Bezieher sind Langzeitbezieher. Jetzt wieder das Versprechen abzugeben: Wir tun was für euch, und deshalb habt ihr nur so kümmerliche Regelsätze, dass ist einfach nicht mehr glaubwürdig.

WDR.de: Die Pläne der Koalition realisieren trotzdem das, was das Verfassungsgericht vorgegeben hat: Mehr Transparenz. Höhere Sätze hat Karlsruhe nicht verlangt.

Schneider: Das Bundesverfassungsgericht hat nicht nur gesagt, mehr Transparenz, sondern vor allen Dingen: Die Sätze sollen wirklichkeitsnah sein. Und das sind sie nicht. Wenn ich lese, bei einem 14-jährigen Mädchen 2,18 Euro im Monat für den Friseur, dann sind das zwei billigste Friseurbesuche im Jahr. Oder Bücher: 2,80 Euro im Monat. Solche Beträge haben mit der Lebenswirklichkeit nichts zu tun. Deshalb sind wir davon überzeugt, dass dieses Rechenwerk vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern wird und dort landen wird, wo es hingehört, nämlich in den Papierkorb.

WDR.de: 56 Prozent der Deutschen sind laut einer Umfrage dagegen, dass Hartz IV aufgestockt wird, 14 Prozent würden die Sätze sogar am liebsten senken. Das ist keine echte Rückendeckung für Ihre Forderungen.

Schneider: Das ist die Emnid-Studie, die Bild am Sonntag in Auftrag gegeben hat. Warten wir mal weitere Studien ab. Ich habe jedenfalls nach diesen Erfahrungen mit dem Statistikmodell bei den Regelsätzen mitbekommen, wie kreativ man mit Statistiken umgehen kann.

Das Gespräch führte Silke Wortel.

5 Euro ALG-2: Dr. Ulrich Schneider zeigt ...

BeitragVerfasst: Donnerstag 30. September 2010, 00:53
von weazer13
Das belegt doch wieder einmal mehr, dass die Politiker immer dreister werden und vor immer weniger zurückschrecken!

weazer