MoMA zeigt besonderen Film über MCS

MoMA zeigt besonderen Film über MCS

Beitragvon Silvia K. Müller » Freitag 22. Februar 2008, 10:15

Am 1. März wird das MoMA (Museum of Modern Art in New York) einen Filmbeitrag über Chemical Sensitivty zeigen. "Exposed" berichtet über eine Tänzerin, die an MCS und Umweltkrankheiten erkrankt ist. Der Film dauert 39 Minuten, wurde von Heidrum Holzfeind erstellt und zeigt aus der Sicht der Tänzerin, wie es sich lebt mit Reaktionen auf toxische Chemikalien aus Gebäudematerialien, Reinigungsmitteln und anderen Alltagsprodukten.


Ausschnitte und sehr spannende Bilder sind hier zu sehen: http://www.exposed.at
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Silvia K. Müller
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MoMA zeigt besonderen Film über MCS

Beitragvon Janik » Freitag 22. Februar 2008, 11:03

Dieser Teil der Webseite ist sogar in Deutsch:

http://www.exposed.at/ausser.htm




„The way people treat me is just as toxic, if not more, than all the really bad chemicals and poisons …” (Katherine Devoir)

Eine Frau lebt allein in einem Holzhaus im Wald, irgendwo in Massachusetts. Ihr Haus ist aus natürlichen Materialien gebaut, ihre Kleidung ist aus reiner Baumwolle, sie ernährt sich sehr
bewusst. Sozialkontakte hat sie kaum. Es handelt sich nicht um eine moderne Asketin und auch nicht um eine Retroeremitin. Ihre Isolation ist nicht freiwillig. Sie leidet an Multipler Chemischer Sensibilität (MCS), einer chronischen Umweltkrankheit, einer Vergiftung durch Schadstoffe. Der Schweregrad der Erkrankung ist unterschiedlich und reicht von Befindlichkeitsstörungen bis zu lebensbedrohlichen Zuständen, von Kopfschmerzen und Übelkeit über verminderte Leistungsfähigkeit durch Schädigungen des peripheren und zentralen Nervensystems bis zu schweren organischen Erkrankungen. Früher war Katherine Devoir Tänzerin, Performancekünstlerin. Jetzt muss sie zurückgezogen leben, muss sich vor ihrer Umwelt schützen. Vor Menschen, die Parfum oder andere Duftstoffe an sich tragen.

Diese verursachen bei ihr heftige Reaktionen, anhaltende Hustenkrämpfe, gehen von Atemnot bis zu Erstickungsanfällen. Sie muss sich vor Chemikalien schützen, die sich (bei uns) überall finden – in Putzmitteln, in der Luft, in der Nahrung, in der Kleidung, in Möbeln, in Teppichen etc. Wenn sie das Haus verlässt, sollte sie eine Atemschutzmaske tragen, um keine unerwarteten, neuen Anfälle zu bekommen, die sie etwa während des Autofahrens überraschen könnten. Eine Therapie für ihre Krankheit gibt es nicht – die einzige Strategie ist Vermeidung, der „Expositionsstopp“. Katherine Devoir kann nur noch am Rande der Gesellschaft leben.

In ihrem Dokumentarvideo Exposed zeichnet die in New York lebende, österreichische Videokünstlerin Heidrun Holzfeind ein vielschichtiges Porträt dieser 35-jährigen Frau, die seit elf Jahren an MCS leidet. Um diesen Film realisieren und in Katherines Nähe sein zu können, passte sie sich ganz an ihr Leben an. Sie musste nicht nur „schadstofffrei“ sein, sondern auch die beschränkten Kraftressourcen Katherines berücksichtigen. Holzfeind begleitete ihren Alltag rund um die Uhr, filmte sie bei ihren täglichen Verrichtungen, beim Einkaufen, Essen und Medikamente zubereiten, bei Arztbesuchen, am Computer, tanzend, schlafend. Die Interviewpassagen zeigen Katherine häufig liegend, offenbar stark geschwächt durch die Krankheit.

Exposed beginnt chronologisch: In einem kurzen Abriss erzählt Katherine ihre bisherige Lebensgeschichte, dazu Kindheits- und Jugendfotos, dann dokumentieren bewegte Bilder Katherines Leben. Schon früh filmte sie sich selbst beim Tanzen, Autofahren, Biertrinken, Zigarettenrauchen; Bilder, die ein normales Leben andeuten. Später sind es prägende Erlebnisse während der Krankheit, die durch Katherines selbst gefilmtes Videomaterial unmittelbar nachvollziehbar werden. Immer wieder filmt sie sich selbst. Diese Hi8-Sequenzen finden sich an verschiedenen Stellen im Film und schaffen authentische Reflexionen.

Durch Schwarzkader getrennt entwickelt sich die „Kranken-Geschichte“. Wie die meisten MCS-PatientInnen hat auch Katherine ein jahrelanges Martyrium hinter sich, bevor die Krankheit überhaupt erkannt wurde. Erkannt heißt jedoch nicht anerkannt. Dort, wo die Schulmedizin versagt, versagen in der Regel auch die Systeme, deren Aufgabe Heilung und Obsorge für Kranke ist, dort scheitern die meisten sozialen Auffangnetze für Betroffene. Katherine schlägt Unverständnis, Hilflosigkeit bis zu Aggressionen entgegen.

Die einfache und häufige Umgangsweise ist das Individualisieren und Pathologisieren. Die erzwungene Isolation und der klinische und gesellschaftliche Umgang der Menschen mit MCS führen häufig gerade zu den psychischen Störungen, die diesen Menschen dann "systemerhaltend" vorgeworfen werden. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass der gesellschaftliche Umgang mit MCS bestimmte Formen von Paranoia entstehen lässt.

Durch die Wirkung von Schadstoffen kommt es oft auch zu Verwirrtheitszuständen, die dann bereitwillig psychischen Krankheitsbildern zugeordnet werden. MCS ist eine Krankheit, von der vor allem Frauen betroffen sind, die im Allgemeinen auch leichter als psychisch krank stigmatisiert werden, deren Widerstand und Kampf als pathologisch definiert wird, sie als unbequeme Mitglieder der Gesellschaft diskriminiert werden. So passiert es MCS-PatientInnen, dass sie auf psychiatrische Stationen eingewiesen, dass sie als hysterisch, paranoid bezeichnet werden, dass ihnen Psychotherapie als einzige Hilfe verschrieben wird, obwohl, so wie Katherine es im Film sagt – "I did everything, analyzed my childhood, many times, I did everything, except look at my environment." Katherine erzählt von jahrelangen Fehldiagnosen und dem wachsenden Ausmaß der Krankheit. Sie gelangt an einen Punkt, an dem sie verzweifelt und mutig beschließt, dass sie nur mehr ihren eigenen Instinkten, ihrer Intuition trauen kann, dass sie auf sich allein gestellt ist. An dieser Stelle im Film erleben wir zum ersten Mal eine von Katherine selbst dokumentierte psychische Krise.

Wie schon in den Tagebuchfilmen der amerikanischen Filmemacherin Anne Charlotte Robertson, mit ihrem Motto „A film a day keeps the doctor away“, erfüllen die eigenen Videoaufnahmen bei Katherine Devoir auch eine therapeutische Funktion. Sie filmt sich u. a. in psychischen Stresssituationen, bei Erstickungsanfällen, beim Haare waschen im winterlichen Freien, beim Tanzen. Entstanden mit dem Gestus und den begrenzten Mitteln des Amateurfilms, begleitet von der eigenen Stimme, die zwischen Verzweiflung, Wut, krankheitsbedingter Erschöpfung und leidenschaftlichem Widerstand oszilliert, gehen die unprätentiösen Bilder unter die Haut. Durch das direkte Adressieren der Kamera wird das Publikum unmittelbar miteinbezogen, es entsteht aber nicht nur Empathie, sondern auch eine unausweichliche Betroffenheit. Die Kamera verbleibt einzige Gesprächspartnerin. Sie soll bewusst Zeugin ihrer Krankheit sein. Ein dokumentiertes Telefongespräch lässt miterleben, dass nicht einmal der nächste Freund die Ausmaße ihrer Krankheit versteht, mit der Ausweglosigkeit ihrer Situation in keiner Weise umgehen kann.
Heidrun Holzfeind platziert diese von Katherine gedrehten eigenen Filmsequenzen, in denen ihre künstlerische Rolle als Performerin eine Art Fortsetzung findet, zwischen den reflektierenden und analysierenden Interviewpassagen und bringt uns damit die Verzweiflung Katherines immer näher. Durch die Zusammenarbeit mit Holzfeind erscheinen die selbst gefilmten Teile wie Dialoge mit der Filmemacherin, gleichzeitig das "Fenster zur Welt", eine Möglichkeit, aus der Isolationshaft heraus mit einer für die MCS-Kranke unzugänglichen Welt zu kommunizieren. Damit entsteht so etwas wie ein Stück Hoffnung, wenn keine Zeit und keine Kraft mehr bleibt, ihren Körper, ihr zerstörtes ehemaliges künstlerisches Medium, zum Tanzen zu nützen. Liegen, warten und sprechen, bis es vielleicht besser wird.

Katherine erzählt Heidrun Holzfeind über ihre Krankheit, ihre Situation und ihre Kritik an der amerikanischen Gesellschaft. Trotz der Erzähldichte und der wachsenden persönlichen Nähe zum Schicksal von Katherine schafft Holzfeind nicht zuletzt durch zwischengeschaltete Clips auch Distanz. Informationen zur Krankheit und zu deren Verbreitung liefern auch Zitate aus
Untersuchungen und Fernsehbilder. Der Versuch, auf diese Weise einer individualisierenden Pathologie auch stilistisch entgegenzuwirken, erweitert den Blick von einer einzelnen "case
history" auf eine verbreitete Krankheit des 21. Jahrhunderts.

Dreimal unterbricht Heidrun Holzfeind ihr Porträt von Katherine durch diese Montagesequenzen und kontextualisiert damit Katherines Krankheit in einem gesamtgesellschaftlichen und vor allem auch politischen Zusammenhang. Sie beginnt den Film mit einer Collage aus Werbebildern mit glücklich Parfum versprühenden Frauen und neuen Erfindungen. Zum blinden Fortschrittsglauben unserer Gesellschaft verheißt eine Stimme „This world belongs to us all, it is yours to explore, your new frontier“. Die Doppeldeutigkeit des Wortes "frontier" wird im Zusammenhang mit MCS zur unüberwindbaren Grenze, zur Ausgrenzung. Katherine beschreibt dies so: "The psychology of the human being is to fit in and to be part of culture. We want to have friends, to participate, be useful – all this is taken away from us …" Der zweite Exkurs zum Thema "Umweltgifte" versammelt Nachrichtenbilder zur Umweltverschmutzung und Bush-Statements zur Umweltpolitik,ironisierend vom Bild einer Familienidylle begleitet. Die dritte Montage befasst sich mit den Bedrohungen durch Umweltgifte im Haushalt und ist ein Interview mit einer Toxikologin, die einen für eine weiße Maus tödlichen Versuch kommentiert, der den Giftgehalt von Putzmitteln und Teppichen belegt.

Aus all diesen Teilen schafft Heidrun Holzfeind ein dichtes Netz an Bildern und Informationen, Gemütszuständen und Reflexionen über diese (immer noch) rätselhafte und heimtückische Krankheit. Trauer, Resignation, aber auch Kampfbereitschaft, absurde, fast komisch anmutende Situationen von Beeinträchtigungen zeigen schließlich das Bild einer Frau, die nicht bereit ist, aufzugeben und damit Hoffnung signalisiert. Heidrun Holzfeind, die meist an der Schnittstelle zwischen Dokumentarfilm und Kunstraum arbeitet, gelingt mit Exposed nicht nur ein umfassendes Porträt von Katherine und ihrer Krankengeschichte, sondern durch den hohen Reflexionsgrad über die Krankheit und deren Auswirkungen auch eine fundierte Gesellschaftskritik.

MCS wird in Exposed als gesellschaftliches Phänomen und Problem begriffen, im Gegensatz zu dem beeindruckenden Spielfilm Safe(USA, 1995) von Todd Haynes: Eine junge amerikanische Hausfrau und Mutter erkrankt sukzessive an MCS, wird von ihrer Umgebung nicht ernst genommen und verstanden, verfällt in eine tiefe Depression und sucht Hilfe bei einem Therapiezentrum, das von einem New-Age-Guru geleitet wird. In ihrer hochsterilen Isolation wird sie für Ehemann und Kind unerreichbar. Haynes problematisiert diese Flucht in New-Age-Therapien als einen gefährlichen Trost, bei dem jeder für seinen eigenen Zustand doch selbst verantwortlich ist. Ganz anders begegnet uns in Exposed die manchmal sehr kämpferische, selbst bestimmte und gesellschaftskritische Katherine Devoir, die in der wohltuend heiteren Schlussszene fast übermütig fröhlich auf der Müllhalde Gerümpel entsorgt und damit Handeln als letzte verbleibende Konsequenz apostrophiert.

Es wäre weltfremd und naiv anzunehmen, dass eine nunmehr schon fast zwanzig Jahre andauernde Diskussion um MCS in einem wertfreien Raum stattfindet. Dafür steht zu viel auf dem Spiel. Große Industrielobbys fühlen sich durch eine breite Diskussion um MCS bedroht oder (angesichts der ungleichen Machtverhältnisse) zumindest nachhaltig belästigt. Das Thema wird immer brisanter. Das war auch der Grund, warum Katherines Nachname im Film geändert ist und ihr Wohnort nicht genannt wird, um zu erwartenden Anfeindungen zu entgehen.


Wilbirg Brainin-Donnenberg, Studium der Psychologie und Soziologie in Salzburg, Paris und Wien. Beratungstätigkeit und Projektarbeiten im gesundheitspsychologischen Bereich. Publikation des Buches „Mutter im Widerspruch“ (1993). Seit 1991 im Filmbereich tätig, 1993–2004 bei sixpackfilm, Konzeption und Organisation von Veranstaltungen (u. a. das Filmfestival und Symposion „Frauen und Wahnsinn im Film“ 1998), Filmvermittlerin und freie Filmkuratorin mit Schwerpunkt Gender und
Avantgarde, lebt in Wien.
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MoMA zeigt besonderen Film über MCS

Beitragvon Dundee » Freitag 22. Februar 2008, 12:14

Es gibt noch auch eine deutsche Beschreibung des Films, die sehr gelungen ist:

http://www.exposed.at/zwei.htm


"Exposed" ist das filmische Portrait einer jungen Frau namens Katherine Devoir, die aufgrund ihrer Krankheit "Multiple Chemical Sensitivity" völlig aus den normalen gesellschaftlichen Strukturen heraus gefallen ist. Heidrun Holzfeind hat sie mehrfach in ihrem Haus in Western Massachusetts besucht und interviewt. Entstanden ist ein essayistisches Video, das den individuellen Krankheitsverlauf der Protagonistin und ihre jeweiligen Kontexte über einen längeren Zeitraum dokumentiert. "Exposed" weist allerdings über die herkömmliche Machart eines Dokumentarfilms hinaus, da die Künstlerin verschiedenes Filmmaterial wie Found Footage, eigenes Videomaterial und Interviews mit von Katherine selbst gefilmten Hi8-Videosequenzen verschränkt. Die verschiedenen filmischen Materialien, ausgewählte Musik und die Overvoice der Protagonistin kommentieren sich gegenseitig sowohl auf visueller, als auch auf sprachlicher und Sound-Ebene. Anders als im klassischen dokumentarischen Diskurs, der die autorisierende Indexikalität der Dokumentation vertritt, werden in "Exposed" sowohl dokumentarisches, als auch autobiografisches Filmmaterial verwendet und zu einer subjektiven Objektivierung der Zusammenhänge geführt. Die Erzählerstimme von Katherine und deren Omnipräsenz in den verschiedenen filmischen Materialien bilden hierbei ein zentrales Merkmal der Arbeit.

Das Video beginnt mit mehreren Found Footage Werbeclips aus den fünfziger und sechziger Jahren, die die Erfindung neuer Substanzen und Werkstoffe aus chemischen Zusammensetzungen glorifizieren. Dinge des täglichen Gebrauchs wie Plastikgerätschaften, Haarspray, Zahnpasta oder neuartige Techniken maschineller Fertigung von Konsumprodukten versprechen wirtschaftlichen Aufschwung, Erleichterung im täglichen Leben und die Freiheit, mit diesen scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten der neuen Produktwelt sein eigenes 'modernes' Leben individuell zu gestalten. Das kapitalistische Wertesystem wird in diesen kurzen Ausschnitten mittels technisch und chemisch hergestellter 'Innovationen' illustriert, die die Utopie einer besseren Welt anhand von gleichzeitig voranschreitender ökonomischer und gesellschaftlicher Prosperität symbolisieren. Die dazugehörige Message richtet sich an das Individuum, das diese Welt sowohl am Leben erhält, als auch von ihr ‚profitiert’. Dementsprechend lautet der Slogan, den die Overvoice in den Werbeclips ausspricht: "This world of the molecule belongs to us all. It is yours to explore".

Was vor einigen Dekaden noch als Sensation begriffen wurde, ist heute Normalität. Die Werbeindustrie wirbt weiterhin mit immer wieder erneuerten Varianten von Produkten, die dem Käufer Imageverbesserung oder Entlastung vom Stress des alltäglichen Lebens versprechen. Zwar werden sie dank ökologischer Studien oder neuen Health-Trends nicht mehr so eindimensional begriffen wie damals, dennoch kann man sagen, dass die grundlegende Nachfrage und der Gebrauch synthetisch hergestellter Produkte und die damit einhergehende Umweltverschmutzung ungebrochen existent (und normal) ist.

Vor diesem Hintergrund wird Katherine Devoir, die Protagonistin in "Exposed", eingeführt: eine 35-jährige amerikanische Tänzerin, die an "Multiple Chemical Sensitivity" (MCS) erkrankt ist. MCS entsteht durch die jahrelange Einwirkung von Umweltgiften auf den Körper und kann sich bei individueller Disposition zu einem chronischen Krankheitsbild entwickeln. Das Krankheitsbild zeichnet sich dadurch aus, dass es für die Erkrankten höchst schädlich ist, mit synthetisch hergestellten Substanzen, wie etwa Pestiziden, Parfum, Baumaterialien, Teppichen, Farben, Abgasen, Putzmitteln, Belüftungsanlagen, Tabakrauch oder Nahrungszusätzen in Berührung zu kommen, da diese eine massive Störung der multiplen Körperfunktionen auslösen.

Katherine steht vor ihrem Haus mitten im Wald, das wie ein Wochenendhaus aussieht und stellt sich vor: "My name is Katherine and this is where I live. I live here since three years and before that I spent twelve years in New York. Before I got sick, I was like normal. I could do anything I wanted." Es folgen Ausschnitte aus homemade Videos und Fotografien von Katherine aus den Neunziger Jahren, auf denen sie sich selbst bei Tanz-Übungen in ihrer Wohnung, rauchend am Computer arbeitend oder auf Achse mit einer Freundin gefilmt hat. Diese tagebuchartigen Hi8-Aufnahmen von Katherine sind innerhalb einer Zeitspanne von etwa den letzten zehn Jahren entstanden. Zuerst verwendete sie sie als Kontrollmittel für ihre Tanzübungen, später wurden sie zum Medium autobiografischer Dokumentation ihres Krankheitsverlaufs und ihrer Befindlichkeit. Diese Sequenzen sind zum Teil sehr emotionsgeladen und ziehen sich wie ein Gerüst durch das ganze Video. Katherine vermittelt in diesen Ausschnitten anfänglich das Bild einer emphatischen Künstlerin, die ihr Leben nach eigenen, fast 'bohèmehaft' anmutenden Maßstäben gestaltet; später sind sie geprägt von der Frustration und dem Zorn gegenüber der Krankheit und ihrer Konsequenzen. Die Overvoice von Katherine schildert im Folgenden, durch welche äußeren Einflüsse sich ihre Sensibilität gegenüber synthetischen Stoffen herausgebildet und sich ihr Gesundheitszustand, ohne dass sie verstand was ihr fehlte, rapide verschlechtert hat. Man erfährt, dass die Krux bei der Erkennung und Heilung der Krankheit ist, dass ihr meist Fehldiagnosen aufgrund von Unwissenheit oder Abwegigkeit vorangehen und durch die daraus folgende falsche Verabreichung von (chemisch hergestellten) Medikamenten nur verschlimmert wird. Die Symptome der Erkrankten sind etwa neben vielen anderen: Atembeschwerden, Konzentrationsschwierigkeiten, Halsentzündungen, Angstattacken, Vergesslichkeit, Migräne, Gelenk- und Muskelschmerzen und allgemeine Schwäche und Antriebslosigkeit. Zudem treten Übersensibilität gegenüber Gerüchen, Geräuschen, Licht, Berührung und elektromagnetischen Feldern auf. MCS macht es den Erkrankten unmöglich, in einer 'normalen', Umgebung zu leben. Dies hat eine zwingende Marginalisierung aus dem gewohnten Umfeld zur Folge und macht völlig auf die Krankheit zugeschnittene Umstände (lebens)notwendig. Diese verlangen eine fast vollständige Isolation vom normalen gesellschaftlichen Alltag auf allen denkbaren Ebenen.

Eindrücklich zeigt dies eine Szene, in der Katherine (wieder in einem selbst aufgenommenen Video) einem Freund am Telefon mitteilt, welche Konsequenzen ihre bis dato nicht erkannte Krankheit hat. Weinend realisiert sie, dass sie ohne Atemmaske nicht das Haus verlassen kann und wie schwer es ist, ihrem Freund zu vermitteln, dass sie nicht nur einfach eine schwere Erkältung hat und total überreagiert. Die Emotionalität der Szene und die Tatsache, dass Katherine sich bei dieser Schlüsselszene selbst dokumentiert hat, zeigen, dass Heidrun Holzfeind die von Katherine selbst gefilmten Sequenzen bewusst einsetzt, um die Komplexität des Themas aus der subjektiven Perspektive Katherines’ zu schildern. Katherine begreift in diesem Moment, dass sie aufgrund ihrer Krankheit ein völlig neues Lebenskonzept entwerfen muss: "I now had to ignore what the doctor says and what everybody believes, and start depending on my own instincts." Die Unausweichlichkeit, mit der in "Exposed" die Konsequenzen der Krankheit geschildert werden, zeigt sich als eine Realität, die aus bestimmten Symptomen einer industrialisierten und kapitalistischen Gesellschaft resultieren. Katherine muss die Realität ihrer eigenen Symptome nun an der Realität messen, der sie zuvor noch angehört hat. Katherine: "The psychology of a human beeing is to fit in and to be part of culture - generally speaking. Like we want to have friends, (...) we want to participate, we want to be useful. And then, when you get sick like this, that’s all taken away. You know that you have an invisible illness, you know everything you say sounds neurotic because you look fine. The way that you cope with this illness is to go into a coping state. So you are always in a plcae of: I get reality but I have to step aside from what I know to live; to be able to smile." Diese gesellschaftliche Realität wird nun einerseits von Katherine selbst in den Interviews mit Heidrun Holzfeind beschrieben – andererseits werden sie durch die immer wiederkehrenden Found Footage Werbeclips als 'gesellschaftlicher Usus' repräsentiert. Katherine dagegen verliert ihren Job, ist auf staatliche Unterstützung angewiesen, kann nicht wohnen und hingehen wo es ihr beliebt und verliert ihre Freunde, die sich dadurch entschuldigen, dass sie ihnen zu real geworden sei. Ihre nicht selbst verschuldete gesellschaftliche Ausgrenzung ist gleichzeitig ein Scheitern an eben diesen Strukturen. Das Scheitern stellt jedoch in unserer Gesellschaft eines der großen modernen Tabus dar. "Exposed" verhandelt in diesem Sinne Marginalisierung durch Inkompatibilität zur Gesellschaft als Politikum.

Die Repräsentantin dieser Schieflage ist in diesem Falle die Protagonistin selbst; so fasst sie etwa die Realisierung ihrer Situation nach einer Odyssee auf der Suche nach den Ursachen ihrer Krankheit folgendermaßen zusammen: "…That day: everything was very different. I couldn’t pretend another minute that it was me, that it was psychological, that I can deal with this. I was pushed way past the point that I could justify, rationalize or use any one of the million rationalizations that this culture feeds in, talks about and lives in every day. That’s why I was saying that what I want to be true and what this world tells me is true, has no bearing on reality. Reality is what is; it’s a separate thing. I am chemically sensitive. There is nothing I can do about it. (...) That’s why I said it took my ego…" Auf der anderen Seite stellt Heidrun Holzfeind der individuellen Sicht Katherines’ Ergebnisse aus wissenschaftlichen Untersuchungen gegenüber, die beispielsweise besagen, dass etwa 15% der amerikanischen Bevölkerung eine Sensibilität gegenüber chemisch hergestellten Stoffen aufweisen. 4% der amerikanischen Bevölkerung leiden an MCS – 80% davon sind Frauen. In weiteren Sequenzen ist zu sehen, dass Mäuse, nachdem sie Parfum oder Airfreshener ausgesetzt wurden, unter Lähmungserscheinungen leiden. Diese Fakten werden nur noch getoppt durch der Aussage von George W. Bush , der den Umweltschutz als ökonomisch unprofitabel und als belastend für den Staatshaushalt bezeichnet. Obwohl jeder einigermaßen informierte Mensch versteht und weiss, welche Auswirkungen chemische Stoffe auf die Umwelt haben, oder mit welchen Nebenwirkungen bei medikamentöser Behandlung zu rechnen ist, bleibt das Ausmaß und die Vielfältigkeit der uns umgebenden und bestimmenden Chemikalien eine abstrakte Größe. "Exposed" verweist durch die extreme Situation, in der sich Katherine befindet, auf den Nullpunkt. Es ist eine Situation, die nicht aus dem Willen zu einem bestimmten individuellen Lebensstil entwickelt wurde, sondern ungefragt ein prä-technisiertes Schlupfloch im bestehenden Kapitalismus einfordert.
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MoMA zeigt besonderen Film über MCS

Beitragvon Milena » Sonntag 24. Februar 2008, 15:42

Das klingt ja sehr interessant! :) Irgendwie hab ich bisher nur Bilder und keine Ausschnitte sehen können. Die kommen doch bestimmt dort und Clips and Stills, wo coming soon steht, nehme ich an. Kann man den Film auch irgendwie sehen nach dem 1. März? Wird er vielleicht online veröffentlicht? Ich würde den ansonsten glatt kaufen, wenn es den bei Amazon oder so gäbe, aber dem wird wohl ganz bestimmt nicht so sein.

Viele Grüße
Milena
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