Unbezahlbar oder Darf"s noch "n bisschen mehr sein

Unbezahlbar oder Darf"s noch "n bisschen mehr sein

Beitragvon Maria Magdalena » Mittwoch 28. Oktober 2009, 14:42

von Zbigniew Menschinski

“UNBEZAHLBAR!” so lautete 15 Jahre lang das Lieblingswort der deutschen Regierungen.

25 Millliarden für Wärmedaämmung und Energieumbau, hin zu regenerierbaren Energiequellen? UNBEZAHLBAR!

20 Miliarden für Verkehrsumbau, Ausweitung des öffentlichen Nahverkehrs und Laster auf die Schiene? UNBEZAHLBAR!

15 Milliarden für flächendeckende Vor- und Ganztagsschulen?UNBEZAHLBAR!

Zwei, drei, vier, fünf Milliarden für mehr und besser bezahlte Pflegekräfte statt Stechuhrtakt an Kliniken oder zur Eindämmung der Kinderarmut, für mehr Forschung im Gesundheitsbereich, für mehr Sozialarbeiter und Polizei auf unseren Straßen, in unseren U- und S-Bahnen? UNBEZAHLBAR!

250 Millionen Blindenhilfe? UNBEZAHLBAR!

“UNBEZAHLBAR!” so schallte es 15 Jahre lang aus dem Kanzleramt wie das Echo am Königssee von den Wänden des Watzmannmassivs, wenn Geld für dringende Vorhaben gefordert wurde. Wie ein Fallbeil sauste das Wort nieder auf alle Zukunftsprojekte zur Stärkung der Produktivität, Infrastruktur und Lebensqualität in der Republik.

Und in der Tat - der Staat hatte sich wirklich verausgabt und horrend verschuldet. Erst beim Vereinigungskarneval mit vielen Kamellen, Bonbons und Boni für Spesenritter und Planierraupen (Kosten rund 1200 Milliarden), dann mit 300 Milliarden für Schröders Steuergeschenkeparty, in der Konzerne, Milllionäre und Spitzenverdiener fürstlich bedacht wurden.

Finanzieren durften diese Wohltaten für die Creme da la creme die Arbeitnehmer, Länder und Kommunen. Zu leiden hatten nicht nur Arbeitslose und Arbeitnehmer, sondern auch kleine und mittlere Unternehmen, weil durch die Schröpfkur nicht nur die Kaufkraft bei ihren Kunden einbrach, sondern auch die Aufträge der klammen Städte und Gemeinden gegen Null tendierten.

Doch dann kam die Finanzkrise und mit ihr das Wunder.

Plötzlich war das Wort “UNBEZAHLBAR” außer Mode, sprudelten die Gelder wie Therme aus isländischen Geysiren, und die Geiz-ist-geil-getriebenen Knauserzwerge verwandelten sich in wahre Füllhorn-Engel.

300 Millionen für Lehmann? Hoppala. Macht nix!

Vier, fünf, sechs, sieben Milliarden für LBBW, SachsenLB, WestLB, HSH? Null Problemo!

10 Milliarden für die IKB? Aber bitte sehr, bitte gleich!

20 Milliarden für die Commerzbank? Gern geschehen.

50 Milliarden für Hypo Real? Darf’s noch ein bisschen mehr sein?

Woher die plötzliche Grosszügkigkeit? Sie hat mehrere Gründe.

Die meisten Spitzenpolitiker sind ökonomisch und finanztechnisch völlig überfordert und inkompetent, völlig abhängig von Ghostwritern, Beratern und Lobbyisten der Sorte Rürup oder Tietmeyer. Sie verehren geradezu andächtig solche Sozialsnobs und Scharlatane wie Hans-Werner Sinn oder Roland Berger. Die meisten Spitzenpolitiker glauben selbst heute noch so inbrünstig an den Zertifikate-Dealer Josef Ackermann wie strenggläubgie Katholiken an den Papst.

Am unwiderleglichsten zeigt sich die Naivität auf diesem Sektor an Guido Westerwelle und Angela Merkel:

Der FDP-Chef brüstete sich Anfang 2009 im Bundestag, dass die Liberalen schon 2002 eine schärfere Finanzaufsicht unter der Ägide der Bundesbank gefordert hätten. Was der FDP-Vorsitzende geflissentlich verschwieg, ist die Tatsache, dass der damalige Bundesbankpräsident Tietmeyer hieß. Eben jener Hans Tietmeyer, der ab 2002 die irische Depfa “beaufsichtigte” und diese Zig-Millarden-Zeitbombe 2007 in den Hafen der Hypo Real lenkte und damit die Bank in den Riesenschlamassel schob. Genau diesen Herrn Tietmeyer wollte Angela Merkel im Oktober 2008 in der Krise als Lotsen ins Regierungsboot holen. So viel zu den Finanzexperten aus dem schwarz-gelben Milieu.

Doch die SPD ist keinen Deut besser.

Durch Schröders glorreiche Steuerreform der Jahre 2000 und 2001 wurden Länder, Städte und Gemeinden mit jährlich 15 Milliarden zur Ader gelassen. Als die meisten von ihnen bald darauf finanziell am Ende waren, kamen die von Jörg Asmussen (SPD), Angela Merkel, Westerwelle und Steinbrück heiß empfohlenen Wunderheiler aus der Investmentbranche zum Zug. Asset Backed Securities, Credit Default Swaps, Cross Border Leasing-Geschäfte hießen die Elixiere und Rezepte aus der Zauberwelt des Zertifikatehandels. Sie wurden als Rettungsanker verkauft und ticken heute als Zeitbomben in den Haushalten vieler Kommunen.

Last but not least nennen die meisten Spitzenpolitiker Wertpapier-Depots der dritten und undurchsichtigen Art ihr eigen. Dass sie diese nach deren Verfall in der Krise nun vorrangig und mit mehr Verve sanieren als das Bildungswesen, die Pflegesituation oder die Umwelt des Landes dürfte jedem nachdenklichen Menschen einsichtig sein.

http://www.readers-edition.de/2009/09/16/unbezahlbar-oder-darfs-noch-ein-bisschen-mehr-sein
Maria Magdalena
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