Umweltmedizin in Deutschland

Umweltmedizin in Deutschland

Beitragvon Alex » Freitag 30. Dezember 2005, 22:30

Ein Blick hinter die Kulissen


Protokoll Qualitätszirkel Umweltmedizin Rhein-Neckar
Sitzung vom 20.05.1999 in Mannheim

Nach Verteilung von Kopien über "Umweltsyndrome" (Bsp. MCS), Neurotoxine, querulatorischer "Umweltpatient" Vorstellungsrunde: Neu: Dr. Eustachi, Ambulanz der gynäkologischen Endokrinologie Uni HD (Fr. Prof. I. Gerhardt);

1. Frage Vereinsbeitritt, Näheres beim Treffen der QZ in Rastatt am 14.6.: PD Mersch-Sundermann berichtet über Stand der Umweltambulanz in Mannheim, u. U. Hörerschein für neues LB?

2. Beteiligung des QZ am DGN (Dt.Gesundheitsnetz)? Bei Kosten und z. Zt. noch schlechtem Service eher nicht, später erwägen;

3. Fall: "MCS" (selbstgestellte Diagnose) mit heroischem Kampf für Anerkennung; Gefahr: Schaden für Umweltmedizin als Ganzes und Fixierung des Patienten irreversibel,statt Problemlösung, besonders häufig (eigene Erfahrung) Borderline-Patienten, die zur Projektion sowieso neigen; aber: Berechtigung der "Erfahrunqsmedizin" nicht in Frage zu stellen, auch wenn z.T. Auffangbecken für solche Patienten. Auch in "wissenschaftlicher" Medizin häufig.

Anderer Zugang zum Patient: TCM (traditionelle chinesische Medizin); hier Versuch, individuelle energetische Situation zu erfassen, ein Gleichgewicht/Gesundheit in umfassenderem Sinn wiederherzustellen. Kurze Einführung durch Dr. Eustachi: Häufig Streßintoleranz/ ÜBERFORDERUNG ("MCS" etc),Yin-Lehre, Hitzeneigung; Puls-/ZungenHaut-(kolorit),Schweiß-/Urin-/Stuhl-Diaqnose;

NEUE Ansätze in Umweltmedizin: Nicht mehr teure akribische Suche nach toxischen Einzelsubstanzen sondern Entwicklung von Testsystemen analog AMES-Test, um durch sensible biologische Tester (s. Kanarienvogel in der Goldmine) Belastung nachzuweisen, z.B. "Drosophila"-Testsysteme (Frau Dr. Fuchs, Labor Runnebaum). Es fehlen noch viele Standards in der Umweltmedizin, "gute Therapien" mit gesicherter Wirkung.
Neu: Malondialdehyd-Nachweis als Maß für den oxidativen Streß (indirekter Hinweis auf Umweltbelastung u. a.)

4. Kurzvorstellung erste Ergebnisse Studie Bilger/Musselmann: Teilnehmer meist im QZ Umweltmedizin, relativ wenig Patinenten/Quartal, etwa 50% d. "Umweltpatienten" vorwiegend psychisch krank, etwa 1-10 Umweltberatungen/Quartal; mehr Beratung von Ärzten gewünscht, aber Zeit/Geldproblem; Praxen meist < Durchschnitt, oft NHV.


5. Zukunft Qualitätssicherung? VERNETZUNG als Qualitätsprinzip, Dr. Bilger berichtet vom Kongreß an der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen in D'dorf 4/99; Qualität hat auch ihren Preis, nicht nur mehr fordern (von Kassenseite heute oft geübt), Vergütung fehlt noch. Ab 1.7.99 Labordiagnostik im Umweltbereich unmögl. wg. Budgetierung. MUß AUßERHALB VOM BUDGET VERGÜTET WERDEN!!

Für nächsten QZ: Standardisierung von QZ nötig, damit interessanter Austausch auf hohem Niveau, nicht nur "Plausch". Struktur-/ Prozeßqualität. Dr. Eustachi stellt TCM näher vor.

Für alle ein anregender Abend, der die Zeit vor Ferien wert war!

Protokoll: Dr. Berthold Musselmann
http://www.bilger.de/qz/qz9.htm
Alex
 

Umweltmedizin in Deutschland

Beitragvon Alex » Freitag 30. Dezember 2005, 23:16

Monate später wird es richtig interessant:
.... Resumee: Am ehesten schwere somatoforme Persönlichkeitsstörung mit fataler Fixierung durch eine in diesem Fall kontraproduktive "Umweltsubstruktur" (Selbsthilfegruppen, willige Privatärzte..).




Protokoll Qualitätszirkel Umweltmedizin Rhein-Neckar

Sitzung vom 30.9.1999 in Mannheim

Verschiedenes
Interview der Landärztlichen Nachrichten (Dr.Retzlaff) mit Dr.Bilger über Umweltmedizin im Allgemeinen, u.a. Verdienstmöglichkeiten.
Südbadische Umweltärzte im DGN präsent, von uns eher keine Präsenz im DGN geplant.

Fall aus der umweltmedizinischen Praxis: "Fibromyalgie" und "PCB-Intoxikation" eines 46a alten Karosseriespenglers
Seit 1993 krank, chronische Rückenschmerzen, Gelenk- und Kreislaufprobleme, innere Unruhe, Hypertonus (ess.), Koronarbefund unauffällig, seit 6/94 Dauer-AU, psychosomatisches Heilverfahren 94 nichts gebracht (Konflikte am Arbeitsplatz bearbeitet). HLA B27 pos., neurologisach keine wesentlichen Auffälligkeiten, unbeobachtet normale Beweglichkeit. 1996 Dg."Fibromyalgie" mit 35 positiven "Triggerpunkten" (Patientenangabe von "Schmerz"). Psychosomatische Klinik Heidelberg: SOMATOFORME STÖRUNG. Rheumaklinik Bad Säckingen "Fibromyalgie". Amalgamentfernung und Elektrosmog-Sanierung ohne Effekt. Huber (Nephrologie, Kurpfalzklink): PCB-Spiegel erhöht, max. das Doppelte der oberen Norm. SPECT: "Perfusionsstörung Gehirn", privat bezahlter Neurologe konstatiert PNP, "schwere Ataxie", Gedächtnisschwäche. Strebt im Sozialgerichtsverfahren EU-Rente, u.U. BG-Rente an. Keine bewiesenen neurotoxischen oder immunotoxischen Effekte. Randinformation: Mit ½ a Schädelbasisfraktur bei schwerer Kindesmißhandlung. Mit acht Jahren Meningitis durchgemacht (stat. Aufenthalt).
Mögliche Relevanz umweltmedizinischer Befunde an diesem Beispiel erörtert, Dilemma der Wirklichkeit in der täglichen Praxis. "Guter", weil typischer Fall für die Probleme in der Umweltmedizin.
Mehrere Kollegen beklagen, im Alltag vor solchen Fällen ratlos und allein zu stehen.
Ergebnis des "Konsils": Arbeitsmedizinischen Befund des Werksarztes von DB einholen. Quelle der PCB-Belastung unklar (Kühlmittel - Öle an den Dreher- und Spenglermaschinen?), Relevanz der nur rel. Gering erhöhten Werte? Allgemeines Problem der Beweislast beim Arbeitnehmer erörtert, muß sich ändern! Untere soziale Schichten haben deutlich geringere Lebenserwartung wg. Lifestyle - Unterschieden, aber u. a. auch wg. belasteteren Arbeitsplätzen.
Resumee: Am ehesten schwere somatoforme Persönlichkeitsstörung mit fataler Fixierung durch eine in diesem Fall kontraproduktive "Umweltsubstruktur" (Selbsthilfegruppen, willige Privatärzte..).

Studie Umweltmedizin im Praxisalltag niedergelassener Ärzte (Bilger/Musselmann): Nächster QZ


Struktur und Ablauf des Qualitätszirkels
Am nächsten (hoffentlich besser besuchten) Termin soll entschieden werden, wie die Qualität des QZ noch verbessert werden kann, z.B. durch feste wiederkehrende Themata, durch Referate an jedem Abend (alle Kollegen im Wechsel) zu im Alltag bedeutsamen Themata, interdisziplinäre Zusammenarbeit u.a., um das "Schwimmen" im Alltag zu einem "Gehen" zu verwandeln. Chancen und Grenzen der Umweltmedizin, Perspektiven und Ideen für den Qualitätszirkel, z.B. gemeinsame Exkursionen etc.

Termin des nächsten gemeinsame Treffens am 11. November in Mannheim, 20.15h.
Protokoll: Dr. Berthold Musselmann
http://www.bilger.de/qz/qz12.htm
Alex
 

Umweltmedizin in Deutschland

Beitragvon Alex » Freitag 30. Dezember 2005, 23:20

Protokoll Qualitätszirkel Umweltmedizin Rhein-Neckar
Sitzung vom 03.02.2000 in Mannheim

Teilnehmer: M. Cremer, M. Manigault, C. Tomalla, B. Musselmann, W. Bitzer, W. Bär, P. Ziegelmüller, M. Fischer-Pokora, S. Bilger


Psychosomatische Aspekt umweltmedizinischer Erkankungen

Das Ende 1999 mehrheitlich gewünschte Thema wurde sehr konzentriert und mir fortschreitender innerer Logik diskutiert. Zu Beginn berichtete der Protokollant von den Vorbereitungen zu diesem Thema: von verschiedenen Seiten seien "Fachleute" als Referenten empfohlen worden, was wohl auf Unsicherheiten der Teilnehmer schließen lasse. Allerdings hätten bisherige Vorträge von Psychosomatikern zur Umweltmedizin (z. B. auf der gemeinsam besuchten Fortbildung in Freiburg) keine wesentliche Aufklärung oder praktische Hilfe gebracht. Wir alle seien, weil mit den Patienten vor Ort konfrontiert, die eigentlichen Experten der Praxis. Bevor man externe Referenten einlade, solle Klarheit darüber herrschen, welche Fragen man habe und welche Antworten man von ihnen erwarte.

Ausgangsfrage war die Unterscheidung organisch – psychisch. Kollege Ziegelmüller erläuterte die typische Situation, daß von ihm immer wieder eine Diagnostik zum Ausschluß organischer Erkankungen erwartet werde. Darauf ergänzte Frau Tomalla, daß in der Umweltmedizin organische Ursachen häufig nicht ausreichend geklärt werden könnten, und nannte als besonderes Krankheitsbild die "Infektanfälligkeit". Herr Musselmann forderte eine erweiterte Ausschlußdiagnostik. Herr Cremer wies auf die damit einhergehende Unsicherheit hin: wodurch könne eine Kausalität bewiesen werden? Erschwerend sei, daß "Umweltpatienten" häufig auch psychisch auffällig seien. Hierfür seien unterschiedliche Kausalitäten denkbar: Psychogenese oder Neurotoxizität von Schadstoffen. Frau Bär verwies auf historische Paralellen: früher seinen die psychisch Auffälligen in der katholischen Kirche gewesen, heute bei Selbsthilfegruppen (was weder gegen die Inhalte der einen wie der anderen Organisation angeführt werden kann. S. B.). Herr Musselmann wies darauf hin, daß Patienten durch Erklärungsmodelle der Ärzte in Umweltkliniken auf bestimmte Kausalitäten fixiert würden. Die Unklarheiten führten bei den Kollegen zu dem Gefühl, die komplexen Probleme nicht kompetent genug beurteilen zu können. Gefordert wurde, Leitsymptome für umweltmedizinische Erkrankungen zu formulieren. Ein Hinweis sei das plötzliche Auftreten der Symptome. Neben der Frage "Was ist ein Umweltpatient?" wurde formuliert: "Was sind Kriterien für psychosomatische Erkankungen?" (positive Diagnosestellung)

Bis zu diesem Punkt scheint mir im Nachhinein die Fragestellung weitgehend klar und verständlich. Die weiteren Diskussionsbemerkungen bezogen sich auf Einzelaspekte und müßten weiter bearbeitet werden. Hierzu nur Stichworte:

Betrachtung von Patientenkarrieren: Wie verlaufen sie? Was ist typisch, verallgemeinerbar?

Patienten, die selbst "Umwelt" als Erklärung anbieten, vs. Patienten, bei denen der Arzt aufgrund anamnestischer Hinweise eher zufällig auf umweltmedizinische Ursachen stößt.

Umweltmedizinische Pflichtfragen, die bei jeder chronischen Erkankung (insbesondere der Schleimhäute, Atemwege und toxisch-neurologischen Erkankungen) gestellt werden müßten. (Fragenkatalog)

Nochmals: Warum Trennung Körper – Geist (res cogitans – res extensa, Descartes)? Dafür (zur organischen Abklärung) sind wir ausgebildet!

Therapie umweltmedizinischer Patienten: welche Ziele sind erreichbar? Welches Vorgehen ist angemessen? (etwa Weiterüberweisung zum Psychotherapeuten?)



Termin des nächsten Treffens: 16. März 2000 in Mannheim (20 Uhr c.t.)


Dann weitere Bearbeitung des Themas "Psychosomatik" mit Erarbeitung einzelner Listen oder Kataloge (z. B. in Kleingruppen) zu den oben genannten Fragen. Fallvorstellungen zum Einstieg erwünscht!


Protokoll: Bilger
http://www.bilger.de/qz/qz14.htm
Alex
 

Umweltmedizin in Deutschland

Beitragvon Alex » Samstag 7. Januar 2006, 20:24

Was öffentlich oder in Gutachten behauptet wird, muß noch lange nicht stimmen.
Hier ein Beweis aus einem Bericht des Berufsgenossenschaftlichen Forschungsinstitut für Arbeitsmedizin (BGFA)in Bochum. Es ging um eine "Fallbeschreibung einer multiplen chemischen Sensitivität (MCS)" von D. Wieners, X. Baur.


Vorgestellt wird der Fall einer 31jährigen Bürogehilfin, die erstmals 1994 Störungen der Merk- und Leistungsfähigkeit, der Informationsaufnahme und der Konzentrationsfähigkeit entwickelte. Die beschriebenen Symptome lassen auf ein MCS schließen. Eine Anerkennung als Berufskrankheit nach der aktuellen Liste des Anhangs der BKV und §9 SGB VII ist nicht möglich.


Hier ein Auszug:

....Unsere Patientin war im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als Bürogehilfin keinen nennenswerten Belastungen ausgesetzt. Dies gilt auch für das zeitweilig eingesetzte Schädlingsbekämpfungsmittel aus der Stoffgruppe der "naturidentischen" Pyrethroide. Eine Pyrethroid-Vergiftung manifestiert sich unmittelbar nach Exposition durch Brennen und Juckreiz der Atemwegsschleimhäute, durch Haut- und Augenreizungen oder auch durch ein Taubheitsgefühl des Gesichtes. Daneben treten unspezifische Symptome wie Kopfschmerz, Schwindel, Übelkeit oder Schwäche auf. Diese Beschwerden zeigen sich stets innerhalb von wenigen Stunden bis zwei Tagen vollreversibel. Bisher konnte keine Speicherung von Pyrethroiden im Gehirn nachgewiesen werden. Die Frage einer chronischen Erkrankung durch eine langfristige Belastung in Innenräumen kann zur Zeit nicht endgültig beantwortet werden. Hierzu existieren unterschiedliche Ansichten; eindeutige Beweise liegen nicht vor (Appel et al. 1994).

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Anmerkung: Pyrethroide sind nicht naturidentisch, sie sind hochkomplexe neurotoxische Chemikaliengemische, die mit Naturpyrethrum nichts mehr gemeinsam haben. Diese Pestizide zerfallen nicht, sondern zeichnen sich durch extreme Langlebigkeit aus.

Wie will man eine Speicherung von Pyrethroiden im menschlichen Gehirn nachweisen, ausser durch Obduktion?
Alex
 


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