WDR/Monitor - 09.12.2010
Zivilcourage macht vogelfrei
Kein Schutz für Whistleblower in Deutschland
Sonia Seymour Mikich: "Willkommen bei MONITOR, auch wir haben eine Quizfrage: Wer sorgt für die Aufdeckung und Abschaffung von Missständen? a) Politiker? b) Unternehmer? c) Medien? d) Bürger? Unser erster Film zeigt mutige Menschen, die öffentlich machen, was in ihrer Arbeitswelt schief läuft. So genannte Whistleblower [1], also interne Hinweisgeber. Klingt vorbildlich, aber Zivilcourage hat einen hohen Preis. Und wir fragen: wer schützt die Mutigen?"
Bericht: Kim Otto, Achim Pollmeier
Es ist nicht lange her, da war Miroslav Strecker ein Held. Er war in Fernsehshows, Zeitungen, Nachrichten. Strecker ist ein Whistleblower, ein Hinweisgeber. Er war es, der vor drei Jahren den Gammelfleisch-Skandal aufgedeckt hat [2]. Als LKW-Fahrer sollte er verdorbene Schlachtabfälle zu einem Lebensmittel-Fabrikanten bringen. Es hatte schon viele solcher Transporte gegeben, aber erst Strecker hatte den Mut, die Polizei zu rufen.
Miroslav Strecker, LKW-Fahrer: "Ich würde solch einen Skandal immer wieder melden. Ich bin davon überzeugt, dass man nicht nur an sein persönliches Wohl in erster Linie denken sollte, sondern an die Allgemeinheit und da gehört das eben auch dazu, mal ein bisschen ... na ja, Rücken zu zeigen."
Zivilcourage loben alle, doch für Strecker begann eine schwierige Zeit. Inzwischen fährt er nicht mehr LKW, sondern mit dem Auto zum Arbeitsamt. Kurz nachdem Strecker den Skandal aufgedeckt hatte, wurde er krank. Als er wieder zur Arbeit kam, sagt er, fühlte er sich gemobbt.
Miroslav Strecker, LKW-Fahrer: "In erster Linie wurde ich aufgefordert, selbst zu kündigen, was ich abgelehnt habe. Mir wurden Arbeitsaufträge zugeteilt, die im normalen Rahmen nicht zu schaffen waren. Man hat mir angedroht, mir Geld zu kürzen in Form von Spesen und ... meine Schichten dauerten mitunter bis zu 20 Stunden, was nicht normal ist in dieser Branche."
Der Arbeitgeber will die Vorwürfe nicht kommentieren - auch nicht warum er Strecker schließlich gekündigt hat. Nur soviel: Es gebe keinen Zusammenhang mit dem Fleischskandal. Doch für Strecker ist die Sache klar.
Miroslav Strecker: "Ich nehme ganz stark an, dass ich dadurch, dass ich den Skandal aufgedeckt habe, gegen ein ungeschriebenes Gesetz verstoßen habe, in Form dessen, dass ich Kundendaten weitergegeben habe. Und schlussfolgere daraus, denke ich mal, dass er eben sauer auf mich war, durch mein Verhalten."
Kündigung trotz vorbildlichen Verhaltens? Oder vielleicht sogar deswegen? In Deutschland durchaus möglich, sagt der Bundesverwaltungsrichter Dieter Deiseroth. Die hohen deutschen Standards beim Kündigungsschutz würden schnell wachsweich, wenn jemand seine Verschwiegenheitspflichten gegenüber dem Arbeitgeber verletzt. Eine Schutzlücke für Whistleblower.
Dieter Deiseroth, Bundesverwaltungsrichter: "Es fehlt an Rechtsklarheit, es fehlt an Rechtssicherheit und es fehlt an einem wirksamen Rechtsschutz. Gerichte urteilen uneinheitlich mangels hinreichend klarer Rechtsgrundlage."
Wer schwere Straftaten aufdeckt, darf dafür eigentlich schon heute nicht entlassen werden. Wer andere Missstände enthüllen oder nur seine Meinung äußern will, spielt aber mit seiner Existenz. Viele schweigen lieber. Das Zugunglück von Eschede. Intern hatte es Hinweise auf Probleme mit den Zugrädern gegeben. Sie waren nicht beachtet worden. Es gab 100 Tote. Auch vor den Gefahren bei der Loveparade in Duisburg war intern gewarnt worden - vergeblich. 21 Menschen starben. Dass aber keiner der Insider wagte, sich an höhere Stellen oder an die Öffentlichkeit zu wenden, liegt wohl auch an der unklaren Gesetzeslage.
Dieter Deiseroth, Bundesverwaltungsrichter: "Rechtsunsicherheit ist eine klare Botschaft an Beschäftigte, dass sie von ihrer Meinungsäußerungsfreiheit nicht ungehindert und frei Gebrauch machen können. Sie müssen mit Sanktionen rechnen."
Sie hat ein Unrecht aufgedeckt - und bitter dafür bezahlt: Brigitte Heinisch war Pflegerin in einem Berliner Altenheim. Mehrfach schlug sie Alarm wegen Personalnot und unhaltbarer Zustände [3]. Zunächst bei ihrem Arbeitgeber. Erst dann bei der übergeordneten Heimaufsicht, die schwere Mängel feststellte.
Brigitte Heinisch, Altenpflegerin: "Es gab viele Engpässe in der Behandlungspflege. Ich habe Bewohner vorgefunden mit unbehandelten Wunden. Bin oft zum Dienst gekommen und musste den Notarzt holen."
Wegen fortlaufender Mängel zeigte Pflegerin Heinisch ihren Arbeitgeber am Ende bei der Staatsanwaltschaft an. Dafür wurde sie entlassen. Seit fünf Jahren kämpft Brigitte Heinisch nun gegen die Kündigung. Die Öffentlichkeit feierte sie für ihren Mut. Doch während sie in der ersten Instanz noch Recht bekam, sollte sie danach immer verlieren. Brigitte Heinisch habe ihren Arbeitgeber in unzumutbarer Weise angeprangert, sagten die Gerichte.
Brigitte Heinisch, Altenpflegerin: "Ich bin ja auch den alten Leuten verpflichtet. Ich hab eine Berufsehre, ein Gewissen. Und im Endeffekt, wenn ich dann Missstände aufzeige, wenn ich dann verlange, dass die Dinge abgestellt werden von meinem Arbeitgeber - denn das kann ich ja nicht alleine tun - und ich werde dann gekündigt, dann fehlt bei mir das Verständnis dafür."
Kein Schutz für Whistleblower? In anderen Ländern ist man da viel weiter. Beispiel England. Mehrere große Desaster erschütterten das Land in den Achtziger und Neunziger Jahren. Die Explosion der Ölplattform Piper-Alpha: 167 Tote. Der Untergang der Kanalfähre "Herald of free Enterprise": 193 Tote. Das Zugunglück von Clapham kostete 35 Menschenleben. In allen Fällen hatte es interne Warnungen vor den Ursachen der Katastrophe gegeben. Doch die Hinweisgeber hatten sich nicht getraut, Behörden oder die Öffentlichkeit zu informieren. Als Reaktion darauf gab sich England Ende der 90er Jahre ein Whistleblower-Gesetz, das vieles verändert hat. Hier sind Whistleblower eindeutig vor Kündigungen und anderen Nachteilen geschützt. Die Organisation "Public Concern at Work" [4] berät Arbeitgeber und einzelne Whistleblower zum Umgang mit dem Gesetz.
Cathy James, Public Concern at Work (Übersetzung MONITOR): "Das Gesetz macht einen großen Unterschied, denn es gab schon viele Fälle, in denen Menschen schwere Missstände aufgedeckt haben und durch das Gesetz geschützt wurden. Und seit es das Gesetz gibt, nehmen Organisationen und Unternehmen ihren Umgang mit Whistleblowern sehr ernst, denn wenn sie das nicht tun, drohen ihnen hohe Entschädigungszahlungen."
Und Deutschland? Miroslav Strecker wurde 2007 für seinen Mut besonders geehrt. Vom damaligen Verbraucherschutzminister Seehofer gab es eine Medaille und die Ankündigung, Whistleblower wie ihn besser zu schützen. Dann müsste Streckers Arbeitgeber eindeutig beweisen, dass die Kündigung nicht mit seinem Hinweis an die Behörden zusammenhängt. Doch geblieben ist ihm nur die Medaille. Es gab einen Gesetzentwurf, es gab Anhörungen - ein Gesetz gab es dann aber doch nicht. Von Anfang an machten die Arbeitgeberverbände Stimmung dagegen - bis schließlich das Vorhaben scheiterte. Vor allem an der CDU. Und dazu steht sie bis heute.
Peter Bleser, CDU/CSU Bundestagsfraktion: "Einer nimmt ein Wissen in Anspruch, um sein Unternehmen zu denunzieren, und erhält damit einen Kündigungsschutz, und bei Entlassung Entschädigungszahlungen. Da ist Missbrauch Tür und Tor geöffnet."
Whistleblower als Denunzianten? In England hat man damit keine Probleme. Denn Denunzianten werden auch hier ausdrücklich nicht geschützt.
Cathy James, Public Concern at Work (Übersetzung MONITOR): "Das Gesetz schützt zunächst mal jeden, der seinen Hinweis zuerst dem Arbeitgeber meldet. Wenn man gutgläubig, ehrlich und mit guten Gründen einen Missstand anzeigt, der ein öffentliches Interesse darstellt, dann schützt das Gesetz auch jeden, der sich an Aufsichtsbehörden, die Medien oder die Polizei wendet."
Der Arbeitgeber von Brigitte Heinisch sagt, die Missstände seien abgestellt worden. Ein Erfolg, doch über den Kampf gegen ihre Kündigung ist sie krank geworden - arbeitsunfähig. Trotzdem zieht sie nun vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Sie will einfach nicht hinnehmen, dass man für etwas bestraft werden kann, das alle richtig finden.
Video der Sendung
http://www.wdr.de/tv/monitor//sendungen/2010/1209/whistleblower.php5
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Sonia Seymour Mikich: Journalisten sind Staatsbürger, nicht Staatsträger
http://www.wdrblog.de/monitor/archives/2010/12/journalisten_sind_staatsburger.html
Whistleblower-Netzwerk e.V.: Informationen zum Thema Whistleblowing
http://whistleblower-net.de/