von Chris50 » Dienstag 8. Juni 2010, 10:55
Wo wächst der Genmais „NK 603“?
Verunreinigtes Saatgut gelangte nach Baden-Württemberg / Suche nach betroffenen Bauern
Von unserem Redaktionsmitglied Elvira Weisenburger (BNN)
Stuttgart//Hamburg. Der neueste Skandal um Genmais-Saatgut hat auch Baden-Württemberg erfasst. Unter Hochdruck läuft nun die Suche nach Händlern, Zwischenhändlern und Bauern – und nach der Antwort auf die entscheidende Frage: Auf wie vielen Feldern und in welchen Ecken des Landes sprießen schon kleine Maispflänzchen aus Saatkörnern mit gentechnisch verändertem Erbgut? Dass verunreinigtes Saatgut in sieben Bundesländer geliefert wurde, gilt als gesichert.
Auf schätzungsweise 2 000 Hektar Ackerland soll die verbotene Futtermais-Saat ausgebracht worden sein. Doch noch kann oder will niemand die betroffenen Orte und Bauern nennen. „Wir sind gerade dabei, die Händler in Baden-Württemberg zu ermitteln, die das Saatgut bezogen haben, und müssen dann klären, welche Bauern bei ihnen gekauft haben“, erklärt die Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums in Stuttgart. „Die Recherchen können ein bis zwei Wochen dauern.“
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace, die den Fall aufdeckte, spricht vom „bisher größten Gentechnik-Saatgut-Skandal in Deutschland“. Heftige Vorwürfe richten sich an das Agrarministerium Niedersachsens, das Erkenntnisse über verunreinigtes Saatgut eines niedersächsischen Produzenten angeblich monatelang ignorierte.
Auslöser der Aufregung ist der Gen-Mais „NK 603“. Nach Erkenntnissen von Greenpeace ist diese Pflanzenspritzmittel-resistente Sorte zu einem Anteil von bis zu 0,1 Prozent in das Saatgut gemischt. „Ein Anteil von 0,1 Prozent hätte zur Folge, dass etwa 100 gentechnisch veränderte Pflanzen auf einem Hektar wachsen“, erklärt Alexander Hissting, Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace, im BNN-Gespräch. Er verweist auf eine französische Studie, wonach Blutwert-Veränderungen bei Mensch und Tier nach dem Verzehr des Genmais nicht auszuschließen seien. Bereits voriges Jahr gelangte NK 603 auf Äcker – damals waren im Südwesten 100 Hektar Anbaufläche betroffen. Der Genmais landete 2009 in Biogasanlagen statt in Futtertrögen. Aus Verbrauchersicht paradox: Der Anbau des Gen-Mais „NK 603“ ist in der Europäischen Union verboten – aber „als Lebens- und Futtermittel“ zugelassen. Sprich: Der Mais darf an Tier (und theoretisch auch an Menschen) verfüttert werden – aber anbauen müssen ihn Landwirte außerhalb der EU.
Für den Landesbauernverband zeigt der neueste Skandal, dass Gesetzgebung und Realität auseinanderklaffen. „Die Null-Toleranz-Grenze funktioniert in der Praxis nicht“, sagt Verbandssprecher Heiner Krehl. Im Grunde könne heute kein Händler mehr garantieren, dass sein Saatgut frei von Gentechnik-Produkten sei: „Man sollte dem Verbraucher nichts vormachen. Die Gentechnik hat in unserem Alltag schon längst Einzug gehalten – ob man will oder nicht.“