FR Interview
"Alexandra Manzei hat 15 Jahre lang Komapatienten betreut und zur Organspende vorbereitet. Als sie das nicht länger ertragen konnte, gab sie ihre Arbeit als Krankenschwester auf und studierte Soziologie. Ein Gespräch über den Hirntod, das Sterben und Alternativen zu Transplantationen.
Frau Manzei, besitzen Sie einen Organspendeausweis?
Nein. Ich möchte weder Organe spenden noch erhalten, und ich möchte auch nicht, dass auf mich ein moralischer Druck ausgeübt wird zu spenden.
Woher rührt Ihre Ablehnung?
Ich habe fünfzehn Jahre als Krankenschwester gearbeitet, die meiste Zeit auf einer Intensivstation. Sie haben es dort mit Komapatienten zu tun, mit Menschen, die an schweren neurologischen Erkrankungen leiden. Und ich habe Hirntote gepflegt, die für eine Organtransplantation freigegeben waren. Das habe ich irgendwann einfach nicht mehr ausgehalten
Was war für Sie das Schlimmste?
Es war der Umgang mit den hirntoten Organspendern, die Sie ja als Krankenschwester oder Pfleger so weiter therapieren wie Sie es bei kranken Patienten gewohnt sind. Der einzige Unterschied ist ein rechtlicher. Nämlich, dass sie die hirntoten Patienten nicht mehr um ihrer selbst willen behandeln, sondern für einen Dritten, der seine Organe erhält. Das war mir nicht möglich
Hirntote können Schmerzen empfinden?
Bekannt ist, dass es klare Schmerzreaktionen wie Schwitzen, Zucken, Blutdruckanstieg und die Rötung des Gesichts gibt. Sie treten nicht nur zufällig auf, sondern können auch konkret ausgelöst werden. Beispielsweise dann, wenn der Bauchraum zur Entnahme der Organe geöffnet wird. Dann steigen Blutdruck und Herzfrequenz sprunghaft an. Daher werden den Hirntoten in einigen Krankenhäusern sogar Schmerz- und Beruhigungsmittel gegeben. Das soll aber vor allem verhindern, dass das Personal verunsichert wird
Hirntote Kinder wachsen, sie kommen in die Pubertät, Jungen entwickeln Bartwuchs. Die Wunden von Hirntoten heilen, sie können Fieber bekommen. Männer könnten noch Kinder zeugen. In einer Studie wurden bis 2003 weltweit zehn Fälle dokumentiert, bei denen eine schwangere Hirntote ein Kind entbunden hat. Das zeigt, dass das Gehirn eben nur ein Teil des Körpers ist, der längst nicht die herausragende Funktion für die Organisation des gesamten Organismus besitzt. Hinzu kommt, dass sich mit neuen technischen Verfahren bei Patienten, die als hirntot diagnostiziert sind, ohnehin noch Aktivitäten im Gehirn nachweisen lassen.......
Vielen ist gar nicht bewusst, dass ihre Patientenverfügung im Widerspruch zu einem Ja auf dem Organspendeausweis steht. Wenn Sie am Ende Ihres Lebens nicht von Apparaten abhängig sein wollen, scheiden Sie als Spender praktisch aus. Denn dann werden Sie nicht mehr intensivmedizinisch betreut und intubiert, also beatmet. Nur auf der Intensivstation können Sie den Hirntod erleiden. Als Organspender nehmen Sie in Kauf, dass Ihr eigenes Sterben verlängert wird. Das ist genau das Gegenteil dessen, was viele in ihrer Patientenverfügung festgelegt haben. Auch hier zeigt sich, wie problematisch es ist, dass es keine offene und sachliche Debatte über die Organspende gibt.
Es geht um elementare Fragen des Zusammenlebens. Wie wollen wir mit kranken und sterbenden Menschen umgehen, wie mit Gesunden? Dürfen wir Begehrlichkeiten wecken, die Menschen dem moralischen Anspruch aussetzen, Teile ihres Körpers spenden zu sollen? Welchen medizinischen Fortschritt wollen wir? Das sind keine Fragen für Expertengremien. Das muss man öffentlich diskutieren......"
http://www.fr-online.de/politik/organspende-reform-im-bundestag-wer-noch-warm-ist--ist-nicht-tot,1472596,16092604.html