Unbekannter Fremdstoff
Umweltchemiker fordern erhöhte Aufmerksamkeit
Von Volker Mrasek
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/forschak/852050/
Umwelt. - In deutschen Flüssen wird zunehmend eine Chemikalie gemessen, deren Wirkung auf Umwelt und Leben derzeit unbekannt ist. TMDD führt in einigen Gewässern die Rangliste der Spurenstoffe bereits an, daher plädieren Umweltchemiker auf der Jahrestagung der Fachgruppe Umweltchemie & Ökotoxikologie in der Gesellschaft Deutscher Chemiker und des deutschen Zweiges der Gesellschaft für Umwelttoxikologie und -chemie für eine intensivere Erforschung.
Tetramethyldecindiol. So heißt die Substanz, die jetzt ins Visier von Umweltchemikern gerät. Auch Wilfried Püttmann bevorzugt da lieber das Kürzel TMDD für den neuen Fremdstoff in unseren Gewässern:
"Das, was bekannt ist, ist, dass er als Entschäumer eingesetzt wird in verschiedenen Anwendungsbereichen. Zum Beispiel in der Papierindustrie, bei der Herstellung von Druckfarben. Wird auch in der Bauindustrie eingesetzt: Beton, Holz. Wahrscheinlich einer der großen Punkte ist die Papierindustrie."
Püttmann ist Professor für Umweltanalytik an der Universität Frankfurt am Main. Bei einem Messprogramm im hessischen Ried stieß seine Arbeitsgruppe erstmals auf das Tensid. Das war vor drei Jahren. Zu dieser Zeit gab es auch erste positive Befunde in der Lippe, einem Zufluss des Rheins:
"Wir haben das damals zu vier verschiedenen Zeitpunkten über zwei Jahre gemessen. Und haben dann auch später im Rhein diesen Stoff identifiziert. Diese Chemikalie wurde regelmäßig in hohen Konzentrationen detektiert. Und da wir uns auch anderen Fließgewässer- und Oberflächengewässer-Systemen zuwenden, haben wir inzwischen das auch in Küstenregionen festgestellt. Es ist also ein Stoff, der doch sehr weit verbreitet auftritt."
Jan Schwarzbauer, Geo- und Umweltchemiker von der RWTH Aachen. Inzwischen hat auch das nordrhein-westfälische Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz TMDD auf der Liste. Es gehört zu den Substanzen, die regelmäßig überwacht werden - in Rhein, Ruhr, Wupper und Lippe. Auch Wilfried Püttmann verfolgt das Messprogramm:
"Wenn Sie zum Beispiel schauen, in welcher Konzentration das TMDD jetzt in den letzten Wochen dort vertreten war, dann finden Sie häufig Werte von bis zu 1,5 Mikrogramm pro Liter. Es ist der Spitzenreiter. Es ist der Stoff, von dem wir annehmen können, dass er heute von den Fremdstoffen, die auf den Listen stehen, die analysiert werden, mit den höchsten Konzentrationen vertreten ist."
Dennoch konnten die Frankfurter Forscher nicht sonderlich viel über das Tensid in Erfahrung bringen. Püttmann:
"Das ist das, was uns am meisten verwundert hat: Dass zu diesem Stoff keine Produktionszahlen genannt werden. Bei vorsichtigen Schätzungen müssen wir davon ausgehen, dass aufgrund der Konzentrationen, die wir in den Flüssen gefunden haben, die Verwendungsmenge deutlich über 1000 Tonnen pro Jahr allein in Deutschland liegen muss."
Eine Schlüsselfrage ist natürlich: Welche toxikologischen Daten liegen über das Tensid vor? Wirkt es als Umweltgift? Und wenn ja, wie gefährlich ist es? Laut Püttmann gibt es bisher lediglich eine Untersuchung an Fischen. Dabei habe sich TMDD nur als schwaches Gift erwiesen. Püttmann:
"Also, aus dieser Sicht wäre es verfrüht, jetzt Warnungen auszusprechen."
Andererseits kann man nicht gerade sagen, dass eine Chemikalie hinreichend abgeklopft ist, wenn nur eine toxikologische Studie über sie vorliegt. Dazu bedarf es zusätzlicher Untersuchungen an verschiedenen Wasserorganismen. Einen Grund zur Entwarnung gebe es daher auch nicht, sagt Püttmann mit Blick auf den hohen Gehalt von TMDD im Gewässer:
"Das spricht dafür, dass ein biologischer Abbau in den Kläranlagen nicht zufriedenstellend verläuft. Und wir sollten das Ziel anstreben, dass möglichst Substanzen, die in die Kläranlagen reingehen, auch in den Kläranlagen weitgehend abgebaut werden können. Und man muss bedenken, dass es einen Richtwert gibt für Fremdstoffe in Gewässern, der heute bei 0,1 Mikrogramm pro Liter angesetzt wird. Also, es besteht das Ziel, dass wir in unseren Gewässern keine Fremdstoffe in größeren Konzentrationen vorliegen haben - unabhängig von ihrer toxikologischen Bewertung."
Diesen Richtwert übertrifft TMDD nach den vorliegenden Messwerten deutlich. Für Wilhelm Püttmann besteht deshalb Handlungsbedarf:
"Es sollte ein Dialog stattfinden, und zwar mit den Produzenten und den Verwendern des Stoffes. Also, es ist ganz wichtig, die Eintragspfade zu klären. Und es sollte geklärt werden, ob es nicht möglich ist, diesen Stoff durch andere Stoffe zu ersetzen, die besser biologisch abbaubar sind."