Unkalkulierbare Größe

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Beitragvon Karlheinz » Samstag 27. Oktober 2007, 08:03

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FORSCHUNG AKTUELL

26.10.2007 · 16:35 Uhr

Auch wenn die Auswirkungen nicht genau berechnet werden können, sollten wir unsere Emissionen reduzieren. (Bild: AP)

Unkalkulierbare Größe

Warum der menschliche Einfluss auf das Klima wohl nicht berechenbar ist
Von Volker Mrasek
Klimaforschung. - Ein großer Teil des Streits um den menschgemachten Klimaeffekt dreht sich um die Konsequenzen, die unsere Treibhausgasemissionen in der Atmosphäre haben werden. Wie hoch wird die Temperatur steigen, wenn wir den Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre beispielsweise verdoppeln? US-Klimaforscher sagen in der aktuellen "Science" ganz klar, dass wir diese Frage nie werden beantworten können, dass aber trotzdem unsere Emissionen gedrückt werden müssen.



Gut zwei Jahrzehnte geht das jetzt schon so. Die Forschung versucht, mehr Klarheit über die vielzitierte Klima-Sensitivität zu bekommen. Vor allem über ihren Maximalwert. Es geht um die schlichte Formel CO2 x 2 gleich … ja, was eigentlich? Niemand kennt bisher die Lösung. Niemand weiß, was dabei herauskommt, wenn der Mensch den Kohlendioxid-Gehalt der Erdatmosphäre verdoppelt: drei, vier oder sogar acht Grad mehr? Doch jetzt sagt der englische Physiker Myles Allen: Lasst uns die Sache mit der Klima-Sensitivität am besten vergessen. Allen:

"Für einige von uns war das fast schon wie die Suche nach dem Heiligen Gral. Und jetzt kommt jemand daher, der uns sagt: Es gibt ihn gar nicht. Ihr könnt nach Hause gehen. Ich hoffe, die neue Studie führt dazu, dass die Suche ein Ende hat."

Allen spricht von einem Fachartikel, den "Science" jetzt veröffentlicht. Das Wissenschaftsmagazin hat den erfahrenen Klimaforscher von der Universität Oxford gebeten, die Studie zu kommentieren. Darin legen zwei US-Forscher mathematisch überzeugend dar, dass es praktisch unmöglich ist, sich einer Lösung des Problems anzunähern. Im hochkomplexen Klimasystem stecken einfach zu viele Unsicherheiten, erst recht auf langen Zeitskalen. Einer der Autoren ist der Physiker Gerard Roe von der Universität des Bundesstaates Washington in Seattle:

"Nehmen wir einmal an, es ändert sich nichts außer dem CO2 in der Atmosphäre, dann würde seine Verdoppelung zu einer Temperaturzunahme um 1,2 Grad führen. Tatsächlich dürfte der Anstieg aber um den Faktor 2 bis 3 höher sein. Es gibt nämlich etliche Prozesse im Klimasystem, die das Signal der Treibhausgase verstärken. Und das bedeutet: Auch die Unsicherheiten in unseren Klimamodellen werden verstärkt."

Roe meint hier die sogenannten Rückkopplungen im Klimasystem:

"Das klassische Beispiel sind Schnee und Eis, die das Sonnenlicht reflektieren. Wenn sich das Klima erwärmt, schmilzt der Schnee. Die Oberfläche, die darunter zum Vorschein kommt, ist dunkel und absorbiert die einfallende Sonnenstrahlung. Das verstärkt die Erwärmung zusätzlich. Den gleichen Effekt hat die Zunahme von Wasserdampf in der Atmosphäre. Er wirkt selbst wie ein Treibhausgas. Durch den Anstieg von CO2 erwärmt sich die Atmosphäre. Sie kann mehr Wasserdampf aufnehmen. Das verstärkt den Treibhauseffekt, und es wird noch wärmer."

Es gibt noch mehr solcher Rückkopplungen im Klimasystem. Fast alle wirken so, dass sie die Erwärmung forcieren. Doch wie stark sie das Signal kollektiv verstärken, ist ungewiss. Und das wird auch so bleiben, sagt Roe. Selbst wenn Klimaforscher einzelne Rückkopplungsprozesse in Zukunft besser quantifizieren könnten - wie sie am Ende zusammenwirkten, sei grundsätzlich unsicher. Roe:

"Es gibt Analogien in anderen Bereichen. Wir finden uns zum Beispiel damit ab, dass sich das Wetter höchstens für zwei Wochen vorhersagen lässt. Der Vergleich hinkt ein bisschen, weil Wetter nicht gleich Klima ist. Aber er zeigt, dass Vorhersagen irgendwann unsicher werden."

Roes Kollege Myles Allen in England hat keine Probleme damit, die Suche nach dem Heiligen Gral abzublasen. Es sei zwar richtig: Wenn wir uns fragen, welches Limit man beim CO2 setzen muss, um eine gefährliche Erwärmung zu vermeiden, dann spiele die Klima-Sensitivität eine Rolle, sagt der Physiker von der Universität Oxford. Je höher sie ist, desto stärker müsste man die Emissionen drosseln. Doch mit solchen Szenarien will sich Allen gar nicht mehr aufhalten. Allen:

"Wichtig ist, wie schnell sich das System im Moment erwärmt. Und da wissen wir viel mehr als über die Klima-Sensitivität. Wir können zwar nicht genau sagen, welche CO2-Konzentration in der Atmosphäre noch tolerierbar ist. Aber das ist überhaupt kein Problem! Gerade weil es so viele Unsicherheiten im System gibt, bleibt uns nur eines: Wir müssen unsere Emissionen sofort reduzieren - ganz gleich, wie sensitiv das Klima ist."

© 2007 Deutschlandradio

Es dämmert also immerhin der Wissenschaft, dass komplexe Systeme nicht berechenbar sind. Schade, dass Mediziner und Toxikologen wohl im Durchschnitt eher wenig von Mathematik verstehen. Denn der Satz "Gerade weil es so viele Unsicherheiten im System gibt, bleibt uns nur eines: Wir müssen unsere Emissionen sofort reduzieren..." dürfte von allgemeiner und bleibender Gültigkeit sein.
Karlheinz
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