Entschädigung bei überlanger Verfahrensdauer

Entschädigung bei überlanger Verfahrensdauer

Beitragvon Kira » Samstag 20. Oktober 2012, 19:35

Entschädigung bei überlanger Verfahrensdauer
Europa macht's möglich
Sendeanstalt und Sendedatum: SWR, Samstag, 20. Oktober 2012
Überlange Verfahren
Gerichtsverfahren kosten Geld und Nerven – erst recht, wenn sich der Prozess hinzieht und kein Ende in Sicht ist. In solchen Fällen waren die Kläger bisher weitestgehend hilflos. Durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg ist ein neues Gesetz in Deutschland auf den Weg gebracht worden. Bei einer überlangen Verfahrensdauer sollen die Betroffenen jetzt eine Entschädigung bekommen.

Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte rügt deutsches Rechtssystem
Seitdem es den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gibt, hat er Deutschland über 40 Mal wegen sogenannter "überlanger Verfahren" verurteilt. 2010 werden die Richter sehr deutlich, sprechen von "Mängeln im deutschen Rechtssystem". Sie setzen dem deutschen Gesetzgeber eine Frist: Innerhalb eines Jahres muss ein Gesetz her, das Rechtsschutz für die Bürger bietet.

Das neue Gesetz
Der Gesetzgeber musste reagieren. Seit dem 3. Dezember 2011 ist das "Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren" in Kraft. § 198 GVG ff. legen fest, dass ein Verfahrensbeteiligter entschädigt wird, wenn er wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens einen Nachteil erleidet. "Verfahrensbeteiligter", das kann zum Beispiel der Kläger in einem Zivilprozess sein, aber auch der Angeklagte in einem Strafverfahren. Das Gesetz ist für alle Arten von Gerichtsverfahren und sogar für strafrechtliche Ermittlungsverfahren gedacht. Aber wann dauert ein Verfahren unangemessen lange?

Unangemessene Dauer – auf die Komplexität kommt es an
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dem deutschen Gesetzgeber Leitlinien an die Hand gegeben. Wie lange ein Gerichtsverfahren dauert, hänge vor allem von seiner Komplexität ab, sagen die Straßburger Richter. Sie unterscheiden fünf Stufen: Auf der ersten Stufe sind die ganz einfachen Fälle angesiedelt. Die Rechtslage ist eindeutig, komplexe Rechtsfragen müssen nicht geklärt werden. So ein Verfahren soll nicht länger als ein Jahr dauern. Muss in einem Prozess ein Gutachter hinzugezogen werden, wie zum Beispiel bei Verkehrsunfällen, wird der Fall schwieriger und kann länger dauern. Auf der höchsten Stufe liegen dann sogenannte Grundsatzentscheidungen. Hohe Streitwerte, unklare Rechtslage. So ein Verfahren kann sich auch über mehrere Jahre hinziehen.

Voraussetzungen der Entschädigung
Aber Vorsicht: Nicht jedes Gerichtsverfahren, das länger dauert als erwartet, löst sofort einen Entschädigungsanspruch aus. Wer das Gefühl hat, nicht schnell genug zu seinem Recht zu kommen, sollte einen Rechtsanwalt um Rat bitten. Der wird, sollte sich die Sorge um eine Verzögerung des Verfahrens bestätigen, zunächst eine formlose Rüge an das Gericht schicken, um den Richtern die Möglichkeit zu geben, das Verfahren zu beschleunigen. Dieser Schritt ist Voraussetzung für einen späteren Entschädigungsanspruch. Wenn trotz der Rüge nichts passiert, kann man frühestens sechs Monate danach auf Entschädigung klagen. Stellt das Gericht fest, dass das jeweilige Verfahren zu lange gedauert hat, gibt es pauschal 1200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Darüber hinaus bekommt der Kläger alle Kosten ersetzt, die er wegen der überlangen Verfahrensdauer hatte.

Polizistin bekommt 3.000 Euro
Den Fall der Polizistin ordnete das Oberverwaltungsgericht Magdeburg auf der ersten Stufe ein. Die Rechtslage sei klar gewesen, der Fall habe eine geringe Komplexität aufgewiesen. Das Verfahren hätte also nur ein Jahr dauern dürfen. Stattdessen aber hat es bis zum Urteil zwei Jahre gedauert. Da die Entschädigung nur für die Zeit der Verzögerung gezahlt wird, erhält die Polizeibeamtin 1200 Euro für das verzögerte Jahr. Darüber hinaus sprach ihr das Gericht weitere 1800 Entschädigung für Kosten zu, die sie wegen der langen Verfahrensdauer hatte. 3000 Euro soll sie insgesamt erhalten. In diesem Verfahren ist aber noch nicht das letzte Wort gesprochen. Das Land Sachsen-Anhalt hat Revision eingelegt. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wird also abschließend über den Fall entscheiden müssen und dabei erstmals das neue Gesetz anwenden.
http://www.daserste.de/ratgeber/recht_beitrag_dyn~uid,5o5wva88kfe5jgmt~cm.asp
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Entschädigung bei überlanger Verfahrensdauer

Beitragvon Kira » Samstag 20. Oktober 2012, 19:35

Schutz bei überlangen Verfahren
Der Schutz vor überlangen Gerichtsverfahren wurde ausgebaut. Jeder Bürger hat nunmehr das Recht auf gerichtlichen Rechtschutz in angemessener Zeit. Das neue Gesetz zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren sieht eine Entschädigung bei unangemessen langen Prozessen vor........
http://www.bmj.de/DE/Buerger/buergerMenschrechte/ueberlangeVerfahren/menschenrechte_ueberlange_verfahren_node.html
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Entschädigung bei überlanger Verfahrensdauer

Beitragvon Kira » Samstag 20. Oktober 2012, 19:37

Die letzte Hoffnung? Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechter
hier das Video:http://mediathek.daserste.de/sendungen_a-z/312720_ratgeber-recht/12187922_die-letzte-hoffnung-der-europaeische-gerichtshof
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Re: Entschädigung bei überlanger Verfahrensdauer

Beitragvon Kira » Freitag 8. Mai 2015, 18:36

siehe auch

BSG: Entschädigung bei zu langer Dauer eines Verfahrens viewtopic.php?f=50&t=21330

Langsame Richter - 3000 Euro Entschädigung für Klägerin viewtopic.php?f=50&t=18179
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Re: Entschädigung bei überlanger Verfahrensdauer

Beitragvon Kira » Montag 28. Dezember 2015, 12:40

22.12.2015

BVerfG zu überlanger Verfahrensdauer

Knapp fünf Jahre noch ange­messen

Vier Jahre und acht Monate hat das BVerfG gebraucht, um eine Verfassungsbeschwerde durch Nichtannahmebeschluss abzulehnen. Das sei zwar ungewöhnlich lang, berechtige aber nicht zur Entschädigung - das Gericht sei eben überlastet.
...

http://www.lto.de/recht/nachrichten/n/b ... ign=buffer
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