Schluß mit Zigarren Lounge und Shisha-Lokalen

Schluß mit Zigarren Lounge und Shisha-Lokalen

Beitragvon Lucca » Dienstag 9. November 2010, 21:42

Vf. 16-VII-10 München, 8. November 2010


Pressemitteilung
zur
Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs

vom 4. November 2010

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat am 4. November 2010 in einem Popularklageverfahren auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Art. 2 Nr. 8 und Art. 3 Abs. 1 Satz 1 des durch Volksentscheid vom 4. Juli 2010 beschlossenen Gesundheitsschutzgesetzes (GSG) den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgewiesen. Er hat es abgelehnt, die Regelungen zum Rauchverbot in Gaststätten insoweit außer Vollzug zu setzen, als sie sich auf Gaststätten beziehen, deren Geschäftsgegenstand im Wesentlichen (mehr als 50 % des Umsatzes) der Vertrieb von Tabakwaren mittels einer Zigarren-Lounge ist.

Die Antragsteller betreiben in ihren auf das 1. und 2. Obergeschoss eines Gebäudes in zentraler Lage in N. verteilten Geschäftsräumen eine sogenannte Zigarren-Lounge. Zum einen werden dort Tabakwaren, insbesondere hochwertige Zigarren und Zigarillos, verkauft, zum anderen befindet sich in beiden Etagen jeweils eine Bar, in der Getränke und Imbisse angeboten werden.

Die Antragsteller sind der Ansicht, das Rauchverbot in einer Zigarren-Lounge verletze Art. 101 BV (Berufs- und allgemeine Handlungsfreiheit), Art. 103 BV (Eigentumsgarantie), Art. 118 Abs. 1 BV (Gleichheitssatz) sowie die europarechtliche Warenverkehrsfreiheit. Der Betrieb einer Zigarren-Lounge sei mit dem einer herkömmlichen Gaststätte nicht vergleichbar, sondern begründe ein eigenständiges Berufsbild. Die Besucher der Lounge hielten sich freiwillig in dieser auf, eine Verletzung ihrer körperlichen Unversehrtheit sei daher ausgeschlossen. Eine staatliche Schutzpflicht bestehe insoweit nicht. Das Rauchverbot hebe die Legalität eines solchen Unternehmens auf und zwinge zur Einstellung des Betriebs. Hierfür fehle ein sachlicher Grund.

Zu der Entscheidung im Einzelnen:

Der Verfassungsgerichtshof hat den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung abgelehnt, weil die Popularklage offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Das in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 2 Nr. 8 GSG geregelte Rauchverbot in Gaststätten ist auf der Grundlage der bisherigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung offensichtlich mit der Bayerischen Verfassung vereinbar.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht gehindert, dem Gesundheitsschutz gegenüber den damit beeinträchtigten Freiheitsrechten, insbesondere der Berufsfreiheit der Gastwirte und der Verhaltensfreiheit der Raucher, den Vorrang einzuräumen und ein striktes Rauchverbot in Gaststätten zu verhängen. Entscheidet sich der Gesetzgeber wegen des hohen Rangs der zu schützenden Rechtsgüter für ein striktes Rauchverbot in allen Gaststätten, so darf er dieses Konzept konsequent verfolgen und muss sich auch nicht auf Ausnahmeregelungen für reine Rauchergaststätten einlassen, zu denen Nichtraucher keinen Zutritt erhalten. Die Voraussetzungen einer solchen Ausnahme wären praktisch nicht zu kontrollieren und würden geradezu zur Umgehung des Verbots einladen. Eine stärkere Belastung von Inhabern bestimmter Gaststätten – bis hin zur Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz – ist angesichts der für alle Gaststätten geltenden Regelung durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 25. Juni 2010 Vf. 1-VII-08 (S. 20, 47) zum Gesundheitsschutzgesetz vom 20. Dezember 2007 in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 27. Juli 2009 festgestellt, es sei nicht ersichtlich, dass die Rechtslage für die insoweit inhaltsgleichen Grundrechte der Bayerischen Verfassung anders zu beurteilen wäre, sodass dem Gesetzgeber auch nach deren Maßstab die Einführung eines strikten Rauchverbots in Gaststätten nicht verwehrt sei. Am 24. September 2010 Vf. 12-VII-10 wurde der Antrag mehrerer Betreiber sogenannter Shisha-Cafés, das Gesundheitsschutzgesetz außer Vollzug zu setzen, abgelehnt. Verfassungsrechtlich relevante Umstände, aufgrund derer derartige Lokale, in denen das Rauchen der Wasserpfeife angeboten wird, hinsichtlich des Rauchverbots anders zu behandeln wären als herkömmliche „reine Rauchergaststätten“, seien nicht erkennbar.

2. Die vorliegende Popularklage gibt zu einer anderen verfassungsrechtlichen Beurteilung keinen Anlass.

a) Die auf Einraumgaststätten („Eckkneipen“) bezogene Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, das verfassungsgemäße Konzept eines strikten Rauchverbots für alle Gaststätten rechtfertige eine stärkere Belastung einzelner Gaststättenbetriebe bis hin zur Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz, gilt in gleicher Weise nicht nur für Wasserpfeifen-Lokale, sondern auch für Gaststättenbetriebe, denen das von den Antragstellern vorgetragene Konzept einer Verknüpfung mit dem Vertrieb von Zigarren zugrunde liegt. Weshalb gerade für dieses Geschäftsmodell bezüglich des mit dem Rauchverbot verbundenen Eingriffs in die durch Art. 101 BV geschützte Berufsfreiheit ein anderer Maßstab zur Anwendung kommen sollte als für sonstige Gaststätten, ist nicht erkennbar.

b) Solange eine „Zigarren-Lounge“ die Kriterien eines Gaststättengewerbes im Sinn des § 1 GastG erfüllt, besteht ersichtlich weder unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit noch im Hinblick auf Art. 118 Abs. 1 BV eine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers, ein derartiges Lokal hinsichtlich des Rauchverbots anders zu behandeln als sonstige Gaststätten. Die von den Antragstellern insoweit geforderte Ausnahme würde vielmehr ihrerseits verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss der Gesetzgeber, wenn er sich im Rahmen seines Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraums zu einer bestimmten Einschätzung des Gefahrenpotentials des Passivrauchens entschlossen, auf dieser Grundlage die Interessen bewertet und ein Regelungskonzept gewählt hat, diese Entscheidung auch folgerichtig weiterverfolgen. Gefahreinschätzungen wären nicht schlüssig, wenn identischen Gefährdungen in demselben Gesetz unterschiedliches Gewicht beigemessen würde. Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, inwiefern es gerechtfertigt sein könnte, eine als „Zigarren-Lounge“ betriebene Gaststätte vom Rauchverbot auszunehmen, sonstige „Rauchergaststätten“ dagegen nicht.

c) Der von den Antragstellern hervorgehobene Umstand, eine Zigarren-Lounge werde regelmäßig nur von Personen besucht, die selbst rauchten oder die Gesellschaft von Rauchern suchten, gilt in gleicher Weise für herkömmliche „Rauchergaststätten“ und Shisha-Lokale. Die unterschiedliche Behandlung von Gaststätten, hinsichtlich derer der Gesetzgeber von einer ganz besonderen Gefährdung der Gäste und der Beschäftigten durch Passivrauchen ausgehen durfte, gegenüber anderen Einrichtungen lässt sich erkennbar auf sachliche Gründe stützen, die eine Differenzierung rechtfertigen.

d) Die von den Antragstellern als verletzt bezeichnete Norm des Art. 34 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist im Popularklageverfahren kein Prüfungsmaßstab. Die Frage, ob das Europäische Gemeinschaftsrecht wie Bundesrecht über das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) mittelbar Bedeutung erlangen kann, hat der Verfassungsgerichtshof bisher offengelassen. Selbst wenn man dies bejahte, könnte Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV nur bei einem offenkundigen, schwerwiegenden, besonders krassen Widerspruch zum Europäischen Gemeinschaftsrecht verletzt sein. Inwiefern diese Voraussetzungen hier erfüllt sein könnten, ist von den Antragstellern weder vorgetragen noch sonst auch nur ansatzweise erkennbar.

Bayerischer Verfassungsgerichtshof

(Siegel)


http://www.bayern.verfassungsgerichtshof.de/16-VII-10eA-Pressemitteilung.htm
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Schluß mit Zigarren Lounge und Shisha-Lokalen

Beitragvon Peri » Dienstag 9. November 2010, 22:23

Endlich kehrt Vernunft ein! Ein hervorragendes Urteil.

Bundesweites Nachziehen ist wünschenswert.
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