Österreich: Urteil zu MCS

Österreich: Urteil zu MCS

Beitragvon Kira » Samstag 20. Juli 2013, 18:05

umwelt·medizin·gesellschaft | 26 | 2/2013

Österreich: Urteil zu MCS
PETER GRZYBEK

Rechtsfragen zu Umwelterkrankungen betreffen i.d.R. Anerkennung als Berufskrankheit und/oder Pensionsansprüche. Beim
Landesgericht für Zivilrechtssachen in Graz (Österreich) war unlängst (2012) die versicherungsrechtliche Anerkennung von Kosten für labormedizinische Analysen – fachärztlich veranlasste Bestimmungen immunologischer, infektiologischer, humangenetischer
und metabolischer Parameter – im Rahmen einer umweltmedizinischen (UM) Diagnostik (AZ: 38 Cgs 368/10s–13)streitgegenständlich.

Das Ansuchen auf Erstattung durch den Sozialversicherungsträger (BVA) wurde unter Hinweis auf ausreichende und zweckmäßige
Krankenbehandlung, die das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfe, zurückgewiesen, worauf eine Klage mit der Forderung nach gesetzlich vorgesehener Erstattung eingebracht wurde.

Dem gerichtlich bestellten medizinischen Sachverständigen wurden die Laborbefunde sowie ein Bericht des behandelnden Facharztes vorgelegt, in welchem u.a. verschiedene Allergien, Störungen der neuroendokrinen Stressachse und eine Chemikalien-
Intoleranz diagnostiziert wurden, unter expliziter Hervorhebung, dass es sich bei den pathologischen Sachverhalten „nicht um eine psychosomatische Krankheit oder somatoforme Störung“ handele.

Nach persönlicher Vorstellung des Klägers befand der Sachverständige, den im Facharztbefund nicht erwähnten Begriff „idiopathischer Umweltintoleranzen“ einführend und unter Verweis auf die Begutachtungen somatoformer funktioneller
Störungen, es existierten derzeit „keinerlei diagnostisch nachvollziehbare objektive Untersuchungsmethoden“ zur Verifizierung
des „MCS-Phänomens“.

Der Kläger reichte zur Gutachtenserörterung einen Fragenkatalog ein: Unter Verweis auf die auch für Österreich verbindliche
WHO-Klassifikation gemäß ICD-10GM (Kap. XIX), die keine Zuordnung von MCS zu sog. „idiopathischen Erkrankungen“ vorsieht,
beinhaltete der Katalog neben Verweisen auf Empfehlungen von UM-Fachverbänden u.a. die Frage nach dem Status einer
UM-Diagnostik im Hinblick auf (a) Konzepte der UM-Stufendiagnostik, (b) die Empfehlungen der Kommission Methoden und
Qualitätssicherung in der Umweltmedizin am RKI denen zufolge „die immunologische Differenzialdiagnostik ein wesentlicher Bestandteil des umweltmedizinischen Untersuchungsganges“ ist und in denen „gezielte laborchemische Untersuchungen zum
Ausschluss anderer Erkrankungen“ empfohlen werden (RKI 2002).

Unter Verweis u.a. auf die zwischenzeitlich erschienene „Handlungsorientierte umweltmedizinische Praxisleitlinie“ (BARTRAM
et al. 2011, 2012) sowie das Konsens-Papier „Diagnostik umweltausgelöster Multisystemerkrankungen aus Sicht der Klinischen
Umweltmedizin“ (EUROPAEM & ÖÄK 2012), die als derzeitiger State of the Art der umweltmedizinischen Diagnostik anzusehen
seien, revidierte der Gutachter sein ursprüngliches Gutachten:

[…] Umwelterkrankungen wie das MCS sind als pathophysiologisch bedingte Erkrankungen anzusehen […]. Bei Umwelterkrankungen
wie dem MCS, dem chronischen Fatiguesyndrom, oder der Fibromyalgie handelt es sich um Multisystemerkrankungen, bei denen mehrere Organe bzw. funktionelle Systeme gleichzeitig ohne Wechselwirkung miteinander betroffen sind. Insbesondere ist das
neuro-endokrine Immunsystem in Betracht zu ziehen. […] In Bezug auf die Diagnostik wird eine stufenweise Abklärung […] empfohlen.
Es sind neben den bekannten und gängigen Laboranalysen der Organe und deren Funktionen auch in erster Linie immunologische
Parameter zu überprüfen. […]

Vor diesem Hintergrund wurde der State of the Art als eingehalten und die sozialversicherungsrechtliche Vorgabe des ökonomischen
Handelns als umgesetzt angesehen, vorbehaltlich allerdings der Ergebnisse eines Sachverständigen aus dem Gebiet der Labormedizin und/oder Inneren Medizin, da nur dieser die Frage nach der ökonomisch kostengünstigsten Methodik beantworten
könne. Das Verfahren wurde vergleichend abgeschlossen mit der Übernahme von Prozess-, Gutachtens- und Anwaltskosten durch
die beklagte Partei sowie die Erstattung der streitgegenständlichen Kosten zum satzungsgemäßen Höchstsatz von 60 %.
...


http://www.mcs-info.at/umg-2-13.pdf

#MCS #Gericht #Österreich #Urteil #Gutachten #Diagnose #ICD #WHO
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Re: Österreich: Urteil zu MCS

Beitragvon PappaJo » Sonntag 21. Juli 2013, 12:09

Vorsicht an der Bahnsteinkante...verstehe da nur Bahnhof. :|
Warum müssen so Texte immer so aufgebläht und verwirrend geschrieben werden, oder liegt das an der Hitze.

Also das Verfahren wurde eingestellt und MCS ist in Ösi nicht anerkannt!? :roll:
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Re: Österreich: Urteil zu MCS

Beitragvon Amazone » Sonntag 21. Juli 2013, 17:04

Wird wohl an der Hitze liegen, PappaJo.

Das Verfahren wurde mit einem Vergleich abgeschlossen. Für MCS gibt es in Österreich übrigens ein Konsensuspapier von der österreichischen Ärztekammer und Europaem.

Gruß Amazone
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Re: Österreich: Urteil zu MCS

Beitragvon Amazone » Sonntag 21. Juli 2013, 17:05

Hier der Link zu dem Konsensuspapier:

http://www.europaem.de/events/Konsensus ... kungen.pdf
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Re: Österreich: Urteil zu MCS

Beitragvon darkat » Dienstag 23. Juli 2013, 17:00

PappaJo hat geschrieben:
......Also das Verfahren wurde eingestellt und MCS ist in Ösi nicht anerkannt!?

@PappaJo
Nicht ganz. Eigentlich hat der Kläger einen richtig guten Job gemacht:

- Der Kläger wollte die Kosten für bestimmte Labor-Untersuchungen erstattet bekommen und hat deshalb geklagt.

- Der Kläger hatte Facharztbefunde u.a. mit „MCS“. In diesen Befunden wurde extra hervorgehoben, dass MCS keine psychische Erkrankung ist.

- Der dann (vom Gericht) hinzugezogene Sachverständige brachte in seinem Gutachten den Begriff „idiopathische Umweltintoleranz“, ebenso wie „somatoforme funktionelle Störung“ ins Spiel und behauptet, dass man MCS gar nicht objektiv nachweisen kann.
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Re: Österreich: Urteil zu MCS

Beitragvon darkat » Dienstag 23. Juli 2013, 17:04

Und jetzt kommt das Wichtige:
Es wurde nun über das Gutachten des so genannten Sachverständigen geredet.

Der Kläger weist auf die WHO-Klassifizierung hin, insbesondere darauf, dass es in der ICD keine Zuordnung von MCS zu „idiopathischen Erkrankungen“ gibt.
Außerdem weist der Kläger auf die Empfehlungen der umweltmedizinischen Fachverbände und auf Empfehlungen der RKI-Kommission hin, dass nämlich hier die Labor-Untersuchungen bei umweltmedizinischen Problemen empfohlen werden.

Und nun kippt der Sachverständige, solcherart bloß gestellt:
Er ändert sein Gutachten und empfiehlt nun auch die Laborkosten und genetischen Tests zu erstatten.

@PappaJo
Ein paar Kleinigkeiten habe ich jetzt weg gelassen.

Entscheidend ist:
Der Kläger hat einen Sieg zweiter Klasse errungen, denn in dem Vergleich wurden ihm Kostenerstattungen zugesprochen. Gratulation.

Der Hinweis auf die KLASSIFIZIERUNG IN DER ICD, und die LEITLINIE DES DBU, und das KONSENSUSPAPIER
haben den Sachverständigen quasi gezwungen, seinen Blödsinn zurückzunehmen.
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Re: Österreich: Urteil zu MCS

Beitragvon PappaJo » Mittwoch 24. Juli 2013, 11:01

Weist Du was ich nicht verstehe und was mich zur Weißglut bringt, das die MCS-Geschichte ja schwarz auf weiß da steht und trotzdem ein dahergelaufener sog. Gutachter meint, er müsse immer noch von abweichen! Warum macht der das und warum hier ein 2. Klasse Sieg?!

NUR weil wohl offensichtlich dieser Gutachter im Interesse der Beklagten arbeitet, also xxxxxxxxxx ist. Denn sonst würde er wohl kaum behaupten das Wasser trocken ist!

Manchmal wünschte ich mir eine xxxxxxx die nach Art der xxxxxxxx bei solchen Sachen einschreitet und diese korrigiert! ;)
Zuletzt geändert von Captain K am Mittwoch 24. Juli 2013, 14:12, insgesamt 1-mal geändert.
Grund: ge-x-t wegen Ausdruck
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Re: Österreich: Urteil zu MCS

Beitragvon darkat » Mittwoch 24. Juli 2013, 14:18

Hast Recht PappaJo,
mich ärgert das auch!
Und natürlich wäre ein Urteil besser gewesen, denn nur darauf könnten sich ja nachfolgende Kläger berufen!

ABER WICHTIGER FINDE ICH, welche Schlüsse oder welche Erkenntnisse wir aus dieser Verhandlung ziehen können.
Der Verlauf dieser Verhandlung zeigt wieder einmal, dass man nur mit der richtigen Strategie Erfolg haben kann.

DAS BEDEUTET FÜR ALLE MCS-KRANKE:
Wann auch immer man uns „idiopathische“, „somatoforme“, „ungeklärte“ oder „rätselhafte“
Krankheiten andichten will, muss unbedingt die Frage gestellt werden,
AUF WELCHER GESETZLICHEN GRUNDLAGE DER GUTACHTER MEINT
DIE ICD IGNORIEREN ZU DÜRFEN (welche ja den allgemein anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis repräsentiert)
Dann direkt die LEITLINIE DES DBU und das KONSENSUSPAPIER hinterher (weil hier ICD-konforme Inhalte dargelegt werden).
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