umwelt·medizin·gesellschaft | 26 | 2/2013
Österreich: Urteil zu MCS
PETER GRZYBEK
Rechtsfragen zu Umwelterkrankungen betreffen i.d.R. Anerkennung als Berufskrankheit und/oder Pensionsansprüche. Beim
Landesgericht für Zivilrechtssachen in Graz (Österreich) war unlängst (2012) die versicherungsrechtliche Anerkennung von Kosten für labormedizinische Analysen – fachärztlich veranlasste Bestimmungen immunologischer, infektiologischer, humangenetischer
und metabolischer Parameter – im Rahmen einer umweltmedizinischen (UM) Diagnostik (AZ: 38 Cgs 368/10s–13)streitgegenständlich.
Das Ansuchen auf Erstattung durch den Sozialversicherungsträger (BVA) wurde unter Hinweis auf ausreichende und zweckmäßige
Krankenbehandlung, die das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfe, zurückgewiesen, worauf eine Klage mit der Forderung nach gesetzlich vorgesehener Erstattung eingebracht wurde.
Dem gerichtlich bestellten medizinischen Sachverständigen wurden die Laborbefunde sowie ein Bericht des behandelnden Facharztes vorgelegt, in welchem u.a. verschiedene Allergien, Störungen der neuroendokrinen Stressachse und eine Chemikalien-
Intoleranz diagnostiziert wurden, unter expliziter Hervorhebung, dass es sich bei den pathologischen Sachverhalten „nicht um eine psychosomatische Krankheit oder somatoforme Störung“ handele.
Nach persönlicher Vorstellung des Klägers befand der Sachverständige, den im Facharztbefund nicht erwähnten Begriff „idiopathischer Umweltintoleranzen“ einführend und unter Verweis auf die Begutachtungen somatoformer funktioneller
Störungen, es existierten derzeit „keinerlei diagnostisch nachvollziehbare objektive Untersuchungsmethoden“ zur Verifizierung
des „MCS-Phänomens“.
Der Kläger reichte zur Gutachtenserörterung einen Fragenkatalog ein: Unter Verweis auf die auch für Österreich verbindliche
WHO-Klassifikation gemäß ICD-10GM (Kap. XIX), die keine Zuordnung von MCS zu sog. „idiopathischen Erkrankungen“ vorsieht,
beinhaltete der Katalog neben Verweisen auf Empfehlungen von UM-Fachverbänden u.a. die Frage nach dem Status einer
UM-Diagnostik im Hinblick auf (a) Konzepte der UM-Stufendiagnostik, (b) die Empfehlungen der Kommission Methoden und
Qualitätssicherung in der Umweltmedizin am RKI denen zufolge „die immunologische Differenzialdiagnostik ein wesentlicher Bestandteil des umweltmedizinischen Untersuchungsganges“ ist und in denen „gezielte laborchemische Untersuchungen zum
Ausschluss anderer Erkrankungen“ empfohlen werden (RKI 2002).
Unter Verweis u.a. auf die zwischenzeitlich erschienene „Handlungsorientierte umweltmedizinische Praxisleitlinie“ (BARTRAM
et al. 2011, 2012) sowie das Konsens-Papier „Diagnostik umweltausgelöster Multisystemerkrankungen aus Sicht der Klinischen
Umweltmedizin“ (EUROPAEM & ÖÄK 2012), die als derzeitiger State of the Art der umweltmedizinischen Diagnostik anzusehen
seien, revidierte der Gutachter sein ursprüngliches Gutachten:
[…] Umwelterkrankungen wie das MCS sind als pathophysiologisch bedingte Erkrankungen anzusehen […]. Bei Umwelterkrankungen
wie dem MCS, dem chronischen Fatiguesyndrom, oder der Fibromyalgie handelt es sich um Multisystemerkrankungen, bei denen mehrere Organe bzw. funktionelle Systeme gleichzeitig ohne Wechselwirkung miteinander betroffen sind. Insbesondere ist das
neuro-endokrine Immunsystem in Betracht zu ziehen. […] In Bezug auf die Diagnostik wird eine stufenweise Abklärung […] empfohlen.
Es sind neben den bekannten und gängigen Laboranalysen der Organe und deren Funktionen auch in erster Linie immunologische
Parameter zu überprüfen. […]
Vor diesem Hintergrund wurde der State of the Art als eingehalten und die sozialversicherungsrechtliche Vorgabe des ökonomischen
Handelns als umgesetzt angesehen, vorbehaltlich allerdings der Ergebnisse eines Sachverständigen aus dem Gebiet der Labormedizin und/oder Inneren Medizin, da nur dieser die Frage nach der ökonomisch kostengünstigsten Methodik beantworten
könne. Das Verfahren wurde vergleichend abgeschlossen mit der Übernahme von Prozess-, Gutachtens- und Anwaltskosten durch
die beklagte Partei sowie die Erstattung der streitgegenständlichen Kosten zum satzungsgemäßen Höchstsatz von 60 %.
...
http://www.mcs-info.at/umg-2-13.pdf
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