20 Milliarden

20 Milliarden

Beitragvon Chris50 » Donnerstag 27. Mai 2010, 12:00

Nicht nur die Pharma-Lobby mischt kräftig mit
Im Gesundheitswesen wird die Politik von zahlreichen Interessenverbänden und Unternehmen massiv beeinflusst


Auch Philipp Rösler holte Interessenvertreter ins Ministerium

Schätzung: Mangelnde Transparenz kostet 20 Milliarden

Von unserem Korrespondenten Martin Ferber
Berlin. Der Vorgang ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, nicht der Rede wert. Nach einem Regierungswechsel beruft ein neuer Bundesminister einen verdienten Parteifreund in die Leitungsebene seines Ministeriums. Das ist gängige Praxis. Auch Philipp Rösler verfährt so, als er im Herbst vergangenen Jahres kurz nach seiner Ernennung zum neuen Bundesgesundheitsminister seinen FDP-Parteifreund Christian Weber zum Abteilungsleiter für Grundsatzfragen ernennt.
Doch diese Personalie sorgt für Schlagzeilen. Denn Weber ist stellvertretender Direktor des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV) und damit der Interessenvertreter der Versicherungskonzerne. Im Gesundheitsministerium ist ausgerechnet er für die von Rösler befürwortete Umstellung der bislang beitragsfinanzierten Krankenversicherung auf einkommensunabhängige Prämien, die Kopfpauschale, zuständig, zudem für die im Koalitionsvertrag vereinbarte Einführung einer zusätzlichen privaten Absicherung bei der Pflegeversicherung, von der vor allem die privaten Versicherungskonzerne profitieren.
Es gibt auch den umgekehrten Weg. Direkt von den Schalthebeln der Politik zu den Interessenverbänden, wobei die bestehenden Kontakte als Startkapital dienen. Cornelia Yzer, von 1994 bis 1997 Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, wechselte 1997 direkt an die Spitze des „Verbandes forschender Arzneimittelhersteller“ (VFA). Yzer, seit 1978 Mitglied der CDU, hat unverändert beste Kontakte in die Union, der Verband ist in Berlin auf offener Bühne und noch stärker hinter den Kulissen präsent, um Einfluss auf den Kurs der Gesundheitspolitik und der Gesetzgebung zu nehmen.
Einer, der genau weiß, wie dies funktioniert, ist Peter Sawicki, noch Chef des eigentlich unabhängigen wissenschaftlichen „Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“.
Im Auftrag des „Gemeinsamen Bundesausschusses“, dem höchsten Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, soll das Institut den Nutzen von Medikamenten und Therapien untersuchen, es entscheidet über die Zulassung neuer Medikamente. Dabei geht es um viel Geld, sehr viel Geld – können doch die Hersteller selber den Preis für ein neues Präparat festlegen, den dann die Kassen zu zahlen haben.
Dies gilt selbst für sogenannte Schein-Innovationen, also für Medikamente, die sich nur kaum von bereits zugelassenen Präparaten unterscheiden. So kosten neu entwickelte Medikamente zur Krebstherapie mehrere zehntausend Euro, manche sogar über 100 000 Euro im Jahr, obwohl deren Nutzen äußerst umstritten ist. Die Kassen müssen trotzdem zahlen. Der mächtigen Pharma-Lobby ist das Institut seit seiner Gründung ein Dorn im Auge, sie drängte bereits mehrfach auf die Ablösung Sawickis, dessen Vertrag nun zum 31. August ausläuft.
„Vertreter der Pharmaindustrie sind schon vor Jahren sogar ins Kanzleramt marschiert und sollen sich dort dafür eingesetzt haben, dass ich abgelöst werde“, sagte er jüngst in einem Interview. Er weiß, dass Pharma-Unternehmen massiven Druck auf einzelne Abgeordnete ausüben und vor dem Verlust von Arbeitsplätzen bei der Nichtzulassung eines neuen Medikaments warnen. Peter Sawicki klagt: „Wir können doch unsere wissenschaftlichen Methoden nicht danach ausrichten, ob ein Medikament in Deutschland hergestellt wird oder nicht!“
Das Gesundheitsministerium, das in Berlin am nördlichen Teil der Friedrichstraße residiert, ist von Vertretungen der Lobbyverbänden geradezu umkreist. Die Liste der Repräsentanzen ist lang, ihre Methoden der Einflussnahme sind vielfältig. Verbände richten so genannte „Parlamentarische Abende“ aus, in denen sie Abgeordnete, Vertreter der Ministerien und Mitarbeiter der Fraktionen in ihrem Sinne zu beeinflussen versuchen, sie laden aber auch gezielt die Experten der Fraktionen zu diskreten Gesprächen in Nobelrestaurants ein.
Verbände erstellen für Abgeordnete Stellungnahmen oder Gutachten, liefern „Argumentationshilfen“ oder sogar fertig formulierte Gesetzentwürfe – natürlich in ihrem Sinne. Umgekehrt berichten Abgeordnete, die nicht im Sinne der Verbände votieren wollen, dass sie vor Abstimmungen in gezielten Aktionen mit wütenden Anrufen, Protestbriefen und Mails geradezu überschüttet werden.
Gut vernetzte Lobbyisten wissen oft schon vor den Abgeordneten, wie der Referentenentwurf eines Gesetzes aussieht, entsprechend frühzeitig können sie in ihrem Sinne tätig werden und auf Veränderungen drängen. Und weil es in der Gesundheitspolitik um das höchste Gut der Menschen, ihre Gesundheit, geht, wissen die Vertreter der Ärzte, Apotheker, Kliniken oder Pharma-Industrie geschickt die Interessen der Patienten für ihre eigenen Interessen zu nutzen, unter anderem indem sie Selbsthilfegruppen oder Betroffenenverbände unterstützen und für ihre Kampagnen benutzen, wie die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) aus langjähriger leidvoller Erfahrung weiß: „Sie spielen und setzen auf Gefühle, auf Hoffnungen, Sorgen oder auf Wünsche von Menschen.“
Nach Schätzungen der unabhängigen Anti-Korruptions-Organisation „Transparency International“ gehen im deutschen Gesundheitswesen jährlich Kosten von bis zu 20 Milliarden Euro durch Korruption, Betrug und mangelnde Transparenz verloren. Falsche Entscheidungen durch den Einfluss von Lobbyisten auf die Gesetzgebung gehören auch dazu.
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Beitragvon mirijam » Donnerstag 27. Mai 2010, 16:11

Ein interessanter Bericht, doch wo ist das Original? Im Internet konnte ich ihn bisher nicht finden.
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Beitragvon Lilienblüte » Dienstag 1. Juni 2010, 08:15

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Beitragvon mirijam » Dienstag 1. Juni 2010, 12:57

Danke Lilly!

Es ist wichtig, die Infoquelle nennen zu können, wenn man die Info weitergeben will.
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