Lobbyisten am Hebel der Macht
Experten warnen vor zunehmender Einflussnahme
von Steffen Judzikowski und Christian Rohde
In Deutschland bekommen Lobbyisten immer stärkeren Einfluss auf die Politik, kritisieren Rechtswissenschaftler und halten das für undemokratisch. So hat die neue Bundesregierung mehrere Spitzenpositionen in Ministerien mit ehemaligen Interessenvertretern großer Unternehmen und Wirtschaftsverbände besetzt. Beispiele dafür finden sich im Umwelt-, Gesundheits- und im Verkehrsministerium.
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Sendung vom 01.03.2010
Preuß: „Der Staat wird zur Beute.“
Professor Ulrich K. Preuß von der Hertie School of Governance warnt im Frontal21-Interview, dass der „Staat zur Beute von Spezialinteressen wird und damit seine Funktion, Repräsentant der Gemeinwohlinteressen der Gesellschaft zu sein, damit mehr und mehr aufgibt“. Der Verfassungsrechtler Professor Hans Meyer von der Berliner Humboldt-Universität bewertet die Berufung von Lobbyisten in Spitzenpositionen des Regierungsapparates für gefährlich: „Das führt dazu, dass das Volk kein Vertrauen mehr in die Verwaltung und auch nicht mehr in die Politik haben kann.“
Atomlobbyist im Umweltministerium
Diese Bedenken teilen einige Minister der neuen Bundesregierung offenbar nicht. So holte beispielsweise Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) kurz nach dem Regierungswechsel einen der führenden Atomlobbyisten in sein Ministerium und machte ihn zum Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit. Gerald Hennenhöfer ist zweifelsohne ein Fachmann auf dem Gebiet. Schon einmal hatte er unter der damaligen Umweltministerin Angela Merkel (CDU) dieses Amt inne.
Hennenhöfer vertrat jahrelang die Interessen der Atomindustrie.
Danach wechselte er zum Energiekonzern Viag (heute Eon), handelte als Generalbevollmächtigter für Wirtschaftsfragen im Jahr 2000 mit der rot-grünen Bundesregierung den Atomausstieg aus. 2004 ging der Jurist dann zur Anwaltskanzlei Redeker. Dort beriet er unter anderem die Münchner Helmholtz-Gesellschaft, damals Betreiberin des umstrittenen Atomlagers Asse. Er riet, die Öffentlichkeit nicht über Probleme bei der Lagerung von Atommüll zu informieren. Das geht aus internen Papieren hervor, die Frontal21 vorliegen. Darin heißt es: „Es ist überhaupt nichts davon zu halten, die Asse Begleitgruppe fortlaufend zu unterrichten.“ Es könne sich „Erklärungsbedarf ergeben, der möglicherweise nicht leistbar wäre.“
„Ein politischer Fehler“
In der Tat: Die Asse gilt heute als hochgefährlich, weil sie mit Wasser vollzulaufen droht. Der dort gelagerte radioaktive Müll muss so schnell wie möglich aus dem Bergwerk geborgen werden, empfahl zuletzt auch das Bundesamt für Strahlenschutz. Das kostet die Steuerzahler Milliarden – und die Atomwirtschaft kann weiterhin nicht erklären, wo dieser und anderer Atommüll gelagert werden soll.
Zitat„Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Objektivität der Atomaufsicht wird in Frage gestellt.“Rainer Baake, Deutsche Umwelthilfe
Nun ist Hennenhöfer als oberster Atomaufseher zurück im Regierungsapparat. Dort soll er unter anderem entscheiden, welche Kernkraftwerke sicher sind oder nicht. Demnach müsste Hennenhöfer auch seinen ehemaligen Arbeitgeber überwachen. Deshalb wirft die Deutsche Umwelthilfe (DUH) Hennenhöfer Befangenheit vor. „Die Berufung von Herrn Hennenhöfer ist ein politischer Fehler“, sagte Bundesgeschäftsführer Rainer Baake im Frontal21 – Interview. „Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Objektivität der Atomaufsicht wird in Frage gestellt, wenn ein ehemaliger Eon-Manager jetzt für die Sicherheit der Atomkraftwerke verantwortlich wird.“
Entscheidungen anfechtbar
In einem offenen Brief forderte die DUH Umweltminister Röttgen auf, die Personalie rückgängig zu machen. Der Minister hält aber an dem ehemaligen Toplobbyisten fest. Der DUH teilt er mit , die frühere Arbeit Hennenhöfers begründeten „keine allgemeine Befangenheit für die Tätigkeit als für Reaktorsicherheit zuständiger Abteilungsleiter.“
Doch es bestehen auch rechtliche Bedenken gegen die Beteiligung Hennenhöfers an atomrechtlichen Verwaltungsverfahren. Darauf verweist der Kassler Uni-Vizepräsident Alexander Rossnagel im Frontal21-Interview: „Paragraf 20 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sieht vor, dass ein Beamter nicht tätig werden darf in Angelegenheiten, in der er vorher Partei war.“ Für Hennenhöfer hieße dies, dass „der Leiter der Atomabteilung bei allen wichtigen Fragen, nicht mitwirken kann“. Bei Entscheidungen zu Laufzeiten von Kernkraftwerken, der Übertragung von Reststrommengen sowie der Endlagerung gehe das Ministerium das Risiko ein, dass Hennenhöfers Entscheidungen vor Gericht erfolgreich angefochten werden können.
Zitat„Das riecht stark nach Lobbyist im Staatsauftrag.“Winfried Wolf, Initiative „Bahn für alle“
Ex-Bankmanager im Verkehrsministerium
Doch solche Bedenken scheint auch der neue Bundesverkehrsminister nicht zu teilen. Im November 2009 wird der Jurist Klaus-Dieter Scheurle zum beamteten Staatssekretär berufen. Öffentlich erklärt Minister Peter Ramsauer (CSU) damals: Er werde zusammen mit Scheurle, die Verkehrspolitik auf neue Füße stellen. „Von der Infrastruktur bis zur Bahnpolitik werden wir neue Weichen stellen.“ Scheurle kennt sich aus mit Bahnprojekten und Infrastruktur. Jahrelang war er als Manager der Großbank Credit Suisse tätig und hat sich dort für die umstrittene Privatisierung der Deutschen Bahn stark gemacht. In einem vertraulichen Vortrag Scheurles von 2006, das Frontal21 vorliegt, kritisiert der damalige Bankmanager Scheurle den „Einfluss staatlicher Stellen“, „gesetzliche Auflagen“ und die „Regulierung“ bei der Privatisierung.
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Winfried Wolf von der Initiative „Bahn für alle“ hat für die Personalie Scheurle deshalb kein Verständnis: „Wenn ein Mann von einem Investmenthaus zum deutschen Verkehrsminister kommt, der auf der Agenda hat, soll die Bahn privatisiert werden, dann riecht es stark nach Lobbyist im Staatsauftrag.“ Scheurle weist den Vorwurf des Lobbyismus gegenüber Frontal21 zurück. „Das ist kein Lobbyismus, weil ich einen Beratungsauftrag zu erfüllen hatte“, argumentiert der Staatssekretär. Die Gespräche seien im Interesse der Abgeordneten und im Interesse des Bundes gewesen, der an einer Bahnprivatisierung interessiert war in diesen Jahren. Verfassungsrechtler Preuß sieht dagegen die Gefahr, „dass unter der Tarnkappe von Staatlichkeit und damit von Neutralität und Gemeinwohlorientierung konkrete interessengebundene Entscheidungen durchgesetzt werden“. Dies sei eine „Verletzung von elementaren Grundsätzen demokratischerer Kultur.“
Lobbyist im Gesundheitsministerium
Diese Grundsätze sieht er auch im Bundesgesundheitsministerium in Gefahr. Minister Phillip Rösler (FDP) berief mit Zustimmung des Kabinetts im Februar Christian Weber zum Leiter der Abteilung Politische Grundsatzfragen. Dort wird die angekündigte große Gesundheitsreform vorbereitet. Bis vor kurzem war Weber Spitzenlobbyist der Privaten Krankenkassen. Rund 20 Jahre lang kämpfte er im Auftrag des Verbandes der Privaten Krankenkassen (PKV) gegen das solidarische Gesundheitswesen, das er jetzt reformieren soll. Von Solidarität hielt Weber bislang wenig. In seinen Lobbypapieren zu PKV und gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) schreibt Weber: „Solidarität und Wettbewerb sind echte Gegensätze.“ Außerdem regt Weber immer wieder an, den Umfang der Leistungen in der GKV „zu überprüfen und Leistungen in Eigenverantwortung – zu überführen.“ Im Klartext: Wer es sich leisten kann, soll sich privat versichern. Allen anderen droht Leistungskürzung.
Auch Christian Weber wechselte die Seiten.
Dabei scheinen die von Weber propagierten privaten Kassen längst nicht so erfolgreich wie oft behauptet. Denn eine vor wenigen Tagen veröffentlichte Studie im Auftrag der Bundesregierung zieht ein eindeutiges Fazit zur privaten Krankenversicherung. Die biete insgesamt keinen besseren Schutz vor steigenden Beiträgen, verursache dabei aber höhere Kosten als die GKV. Außerdem sei eine bessere medizinische Versorgung von Privatpatienten nicht nachgewiesen, schreiben die Forscher des IGES-Instituts, unter ihnen der ehemalige Wirtschaftsweise Professor Bernd Rürup. Oppositionspolitiker wie der Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach, fühlen sich durch die Studie bestätigt und glauben, dass die Private Krankenversicherung noch mehr Probleme habe als das gesetzliche System. “ Das ist eine Erkenntnis, die natürlich dem Minister nicht gefällt und noch weniger dem Lobbyisten, Herrn Weber.“, so Lauterbach.
Eine ganz normale Personalie?
Auf Nachfrage von Frontal21 teilt das Gesundheitsministerium mit: Weber sei eine ganz normale Personalie. Er sei ein Experte – verpflichtet dem Gemeinwohl. Verfassungsrechtler Meyer hingegen bezweifelt, dass langjährige Lobbyisten wie Weber den Mantel des Interessvertreters abstreifen können: „Wenn dieser Mensch in einem Ministerium in eine entscheidende Rolle berufen wird, kann er nicht sagen: Ich vergesse, was ich vorher gesagt oder gedacht habe“, so Meyer. Vielmehr sei er geprägt von seiner vorherigen Tätigkeit und das werde sich im Amt auswirken.
quelle http://frontal21.zdf.de/ZDFde/inhalt/27/0,1872,8037979,00.html
http://mantovan9.wordpress.com/2010/03/06/lobbyisten-am-hebel-der-macht/