von Franz » Samstag 12. April 2008, 08:10
Liebe Elly,
"Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein", schrieb einst Karl Marx. Da hat sich was geändert.
Heute gilt der Spontispruch: "Der Schein bestimmt das Bewusstsein".
Die bunten Magazine und Fernseh- und Internetbilder sind so eine Art Weichspüler fürs Gehirn. Kein Wunder, wenn Menschen bei der Dauerberieselung dann sehr merkwürdige Schönheitsideale übernehmen. Manchmal sieht man solche Hungerhaken, grau und schwarz angemalt in ebensolcher Kleidung, auf Laufstegen poussieren. Da fragt man sich schon mal, was zum Beispiel ein Ureinwohner in Papua Neu Guinea angesichts einer derart krank aussehenden Frau denken würde.
Man kann auch wirklich jeden Schwachsinn vermarkten.
Vor etwa vier Jahren brachte ich die Tochter unserer Nachbarin mal zur Schule. Das Kind war in der vierten Klasse. Am Schulhof angekommen, zeigte das Kind auf einen Klassenkameraden und sagte: "Gell, Onkel Franz, der Paul ist bestimmt ganz arm. Schau mal, der hat Hosen an, die hängen ganz weit runter." Der Junge hatte wirklich Hosen an, die ihm von der Hüfte bis in die Kniekehlen rutschten. Ich wunderte mich,denn die Kinder hier besuchten eine recht teure Privatschule. Dann sah ich mich um und entdeckte bei den älteren Schülern noch viele Schüler, die diese Hosen anhatten. Manche trugen die Hosen so tief sitzend, dass fast der Po unbedeckt war. Zu Hause klärte mich meine Frau auf. Das sei jetzt Mode bei Jugendlichen. Die kleine Nachbarstochter dachte, ihr Klassenkamerad Paul sei arm. Das hat mich an das Andersen Märchen "Des Kaisers neue Kleider" erinnert. Da ruft auch ein Kind "Der Kaiser ist nackt".
Die Hosen dieser Buben richten nicht viel Schaden an. Aber das Abhungern, Aufspritzen und Schnippeln schon. Schlimm, wenn das Selbstwertgefühl an so einem seidenen Faden hängt.