von Alex » Montag 26. September 2005, 20:32
Dr. Kurt Müller / Isny - Methoden der Diagnostik und Therapie
12.
Ich gehe mit den umwelterkrankten Patienten um,Umwelterkrankungen handhabe ich nach einem rationalen Verständnis, das sich ich von der Beschäftigung mit anderen, bislang in ihren kausalen Zusammenhängen nicht völlig verstandenen Erkrankungen, nicht unterscheidet. Wobei der weitaus größte Teil aller bekannten Krankheiten in ihren Ursachen nicht völlig verstanden ist. Die komplexe Erfassung von Daten setzt voraus, daß der Patient sich mit seinem Beschwerdebild zunächst angenommen fühlen kann. Diese Vertrauensbasis ist erforderlich, wenn es zu einem unbehinderten Informationsaustausch zwischen Patient und Arzt kommen soll.
· Phase 1
Anamneseerhebung, Gebrauch von Fragebogen, Einbeziehung von Vorbefunden, körperliche Untersuchung, Formulierung der ersten Arbeits-hypothese.
· Phase 2
Konsiliarische Einbeziehung anderer Disziplinen und grundlegende Laborunter-suchungen. Fokusierung der Anamnese auf spezifische Punkte. Formulierung der zweiten Arbeitshypothese.
· Phase 3
Gegebenenfalls Humanbio- bzw. Umweltmonitoring. Wenn möglich Inspektion des Expositionsumfelds.
· Phase 4
Effekt- und Empfindlichkeitsmonitoring, früher durch Plazebo kontrollierte Expositionstestungen, inzwischen zunehmende Verlagerung auf zelluläres Effektmonitoring unter Einbeziehung von Zytokinprofilen.
· Phase 5
Formulierung der endgültigen Diagnosen und Gestaltung therapeutischer Konzepte. In allen Schritten werden neueste Forschungsresultate modulierend auf den Ablauf frühzeitig einbezogen.
13.
Wie bei allen chronischen Erkrankungen kommt psychotherapeutischen Maßnahmen auch bei Umweltpatienten eine Bedeutung zu. Es handelt sich hierbei um keine Methode der Diagnostik. Psychiatrische und psychologische Methoden sind hinsichtlich ihrer diagnostischen Bedeutung für Umweltpatienten nicht validiert. Für die somatische Diagnostik kann auf etablierte Verfahren zurückgegriffen werden, die methodisch derzeit in besonders intensiver Weise auf die besonderen Ansprüche der Umwelterkrankung modifiziert werden. In erster Linie sind zu nennen:
· Immunologische Untersuchungen einschließlich der Bestimmung von
Zytokinprofilen
· Qualitative und quantitative Analyse der Detoxifikationssysteme
· Humangenetische Profile dieser Systeme
· Biomonitoring
· Radiologische und Nuklearmedizinische Verfahren (PET, SPECT)
· Expositionstestungen
· Psychometrische Untersuchungen
14.
Es gibt eine große Zahl von Kliniken, die mit entsprechenden Konzepten behandeln. Kostenträger sind alle GKV und die Renten-versicherungsträger. Dennoch liegen bislang keine Daten über eine größere Zahl psychotherapeutisch behandelter Umweltpatienten im Vergleich zu einer anders behandelten Vergleichsgruppe vor. Von den ambulant tätigen Umweltmedizinern, die andere Behandlungsverfahren einsetzten wollen, wird allerdings genau eine solche Studie a priori gefordert, was in der ambulanten Medizin aus vielen Gründen nicht leistbar ist.
15.
Expositionsminimierung ist ein wesentlicher Bestandteil der Therapie umweltkranker Patienten. Insofern müssen besondere Anforderungen an das bauliche und räumliche Konzept einer Klinik gestellt werden. Personal, Nahrungsangebot und Hygienemaßnahmen müssen dieser besonderen Situation entsprechen.
16.
Will man den Wert verschieden diagnostischer und therapeutischer Ansätze erkennen, gelingt dies nur, wenn die verschiedenen Verfahren auch nebeneinander angewendet werden können. Beispielhaft kann man sich die Entwicklung im Verständnis allergischer Erkrankungen vor Augen halten. Obwohl man in den 60er Jahren noch sehr weit entfernt war, vom heutigen pathogenetischen Verständnis allergischer Krankheiten, hat man dennoch von politischer Seite und von Seite der Versicherungsträger einen offenen diagnostischen und therapeutischen Umgang mit diesen Erkrankungen gefördet. Es hat sich dies als äußerst nützlich erwiesen, da das Grundlagenverständnis an den Universitäten zu diesem Zeitpunkt denkbar schlecht war. Auf diesem Weg konnten wichtige Erkenntnisse schneller in die Lehre eingebracht werden, so daß sie heute selbstverständlicher Gegenstand sind. Eine vergleichbar offene und vielschichtige Strategie bietet sich für den Umgang mit Umwelterkrankung an.