FOCUS Magazin | Nr. 19 (1999)
UMWELTMEDIZIN - SENSIBLE NASEN, DICKE LUFT
Was 1999 zu MCS im Focus gesagt wurde von Experten
"...Ende April trafen sich Vertreter beider Denkrichtungen im Berliner Robert Koch-Institut, um im Auftrag des Umweltbundesamts nach einer gemeinsamen Basis für die weitere Erforschung von MCS zu suchen.
Mysteriöse Krankheit. MCS-Patienten reagieren mit einer ganzen Kaskade von Symptomen, wenn ihre hypersensiblen Nasen chemische Stoffe schnuppern – in Dosierungen, die nach den Kriterien der Toxikologie für Menschen unbedenklich sind. Das Krankheitsbild kann im Einzelfall gut 20 Symptome umfassen, die häufig zu dem schwer bestimmbaren Bereich der Körperbefindlichkeit zählen: erhöhtes Schlafbedürfnis, Leistungsminderung, innere Unruhe, Reizbarkeit, Schwindel oder starkes Schwitzen.
Der Münchner Toxikologe Thomas Zilker bezeichnet MCS-Patienten daher als psychisch kranke Ökochonder: „Ich gönne den Leuten ja, daß sie etwas brauchen, das sie für ihr Schicksal verantwortlich machen können.“ Sein Toxikologen-Kollege Thomas Eikmann von der Uni Gießen erkennt den Leidensdruck von MCS-Patienten an. Er will sie nicht psychiatrisieren. Zugleich wettert er gegen Klinische Ökologen. „Die setzen einfach voraus, daß Chemikalien die Ursache der Erkrankung sind“, beklagt er. Dieser Nachweis fehle aber noch...
...Gerd Kobal, Pharmakologe an der Universität Erlangen, meint dazu: „Offensichtlich reagieren MCS-Kranke bei chemischer Belastung noch sensibler.“ Ihre Nasenschleimhaut schwillt dann eindeutig stärker an als die gesunder Probanden. Er empfiehlt, genauer zu untersuchen, inwieweit der direkte Draht des Riechnervs zum Gehirn (siehe Kasten S. 177) die Krankheit unterstützt.
Vermutungen und erste Belege. Außerhalb der großen Forschungsprogramme untersucht Rainer Fabig, Hamburger Umweltmediziner, seine MCS-Patienten auf Durchblutungsstörungen im Gehirn als Folge einer Chemikalienbelastung. Computertomographien – SPECT-Aufnahmen (siehe Kasten Seite 182) – dienen ihm als Belege. 81 Prozent von bisher 114 Gehirnschnitten MCS-Kranker weisen größere, besonders schlecht durchblutete Zonen aus. Allerdings kommt auch die Kontrollgruppe auf satte 62 Prozent.
Der amerikanische Mediziner Gunnar Heuser meint deshalb: „Diese Aufnahmen sind nur ein weiterer Schlüssel zum Krankheitsbild und kein eindeutiger Beleg.“ Heuser läßt solche Patienten dann im Ausschlußverfahren untersuchen – unter anderem neuropsychologisch. „Wir wollen ja die wirklich Chemikalienkranken herausfinden“, meint er...
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Erlerntes Verhalten ablegen. Um solche Extremfälle zu verhindern, sind für Schwarz psychologische Betreuung und Diagnostik fester Bestandteil der Behandlung: „Im Laufe der Zeit entwickeln viele MCS-Patienten ein konditioniertes Verhalten. Schon bevor sie an Orte kommen, an denen sie Belastungen vermuten, setzen die Reaktionen ein.“
Schwarz durchbricht diesen Teufelskreis. Seine Patienten finden in Bredstedt eine möglichst chemikalienfreie Atmosphäre vor: Fliesenboden, schaumstofffreie Betten, Wäsche aus unbehandelter Baumwolle oder Leinen. Neben dem runden roten Handyverbotsschild hängt am Eingang der Hinweis: „Nur ohne Parfüm, Haarspray, Deo, Haarshampoo und andere duftende Kosmetika betreten.“ In der Therapie führt Schwarz die Umweltkranken wieder so weit wie möglich in ihren Alltag zurück. Ein Patient setzte beispielsweise jahrelang keinen Fuß mehr in Kaufhäuser. Nach wenigen Monaten Therapie geht er wieder shoppen. „Allein mit Psychotherapie und Expositionsvermeidung, wie manche Kollegen meinen, wäre das aber nicht zu schaffen“, ist Schwarz überzeugt...
FOCUS Magazin | Nr. 19 (1999)
UMWELTMEDIZIN
SENSIBLE NASEN, DICKE LUFT
Montag 10.05.1999, 00:00 · von Beatrice Lugger
http://www.focus.de/gesundheit/news/umweltmedizin-sensible-nasen-dicke-luft_aid_177630.html