Gift in Flugzeugen

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12.08.2010 ARD Home
Fluggesellschaften reden Problem giftiger Kabinenluft klein
Fluggesellschaften fürchten Debatte über Kabinenluft
Die Vergiftungsgefahr fliegt immer mit.Macht Fliegen krank?
Diese Frage stellen sich in jüngster Zeit immer mehr Flugbegleiter und Piloten. Der Hintergrund: Hunderte von ihnen berichten über schwere Erkrankungen bis hin zur Berufsunfähigkeit. Die Schuld geben sie Öldämpfen, die in die Flugzeugkabine gelangen. Ein Problem, das auch von deutschen Fluggesellschaften öffentlich bisher kleingeredet wird. Jetzt allerdings liegt NDR Info ein vertrauliches Papier vor, das zeigt, wie die Airlines wirklich denken.
Von Peter Hornung, NDR Info
Regina Eckholt fliegt schon seit Jahren nicht mehr - sie ist krank. Die 33-Jährige war jahrelang Stewardess bei Condor, flog auf der Boeing 757. "Bei mir ging das damals los mit Kopfschmerzen, Herzrasen, Übelkeit und ganz extremem Schwindel", sagt sie. "Daraufhin bin ich ins Krankenhaus gekommen. Dort wurde festgestellt, dass es eine Entzündung im Nervensystem ist." Was sie krank gemacht hat, glaubt Regina Eckholt zu wissen - die Luft im Flugzeug. Die wird bei modernen Flugzeugen an den Triebwerken gezapft. Nachgewiesen ist, dass dabei unter bestimmten Umständen Öldämpfe und mit ihnen Schadstoffe wie das Nervengift TCP in die Kabine gelangen könnten.
[Bildunterschrift: Bei modernen Flugzeugen wird die Luft für die Kabine an den Triebwerken abgezapft. ]
Strittig ist allerdings, wie viel Gift in der Luft ist - und ob es einen Zusammenhang zwischen Öldämpfen und Erkrankungen gibt. Den nämlich bestreiten Lufthansa, Air Berlin und Co. Doch ein vertrauliches Papier des Bundesverbandes deutscher Fluggesellschaften (BDF), das NDR Info vorliegt, zeigt, dass man sich in den Vorstandsetagen der Airlines durchaus große Sorgen macht - um den Ruf des eigenen Unternehmens.
"Das Problem betrifft Tausende Flugzeuge weltweit"
Jörg Handwerg, Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit, hat das Dokument gelesen. Er sagt: "Der Eindruck ist, dass hier eine sehr große Angst vorhanden ist, dass sich das negativ aufs Geschäft auswirken kann. Das ist ein Problem, das Tausende von Flugzeugen weltweit betrifft, und man möchte kein Geld ausgeben."
Es sind nur drei Seiten, aber die haben es in sich. Die großen deutschen Fluggesellschaften sorgen sich darin, dass in der Öffentlichkeit eine große Debatte über das Thema "Vergiftete Kabinenluft" beginnen könnte. Man fürchtet "ein potenzielles Aufflammen der öffentlichen Diskussion vor der Feriensaison".
Branchenverband spricht von einem "allerersten Entwurf"
[Bildunterschrift: Der BDF wollte das interne Papier nicht öffentlich kommentieren. ]
Der Branchenverband BDF werde zu den Inhalten des internen Papiers nicht Stellung beziehen, sagte Sprecherin Carola Scheffler. Das Dokument mit Datum vom 16. Juni 2010 sei lediglich ein "allererster Entwurf". Dennoch steht außer Frage, dass die Befürchtungen auch nach rund acht Wochen noch aktuell sind.
Genährt werden die Ängste der Airlines durch einen Bericht des ARD-Magazins Plusminus und eine Arbeitsschutzkonferenz zum Thema Kabinenluft, veranstaltet von der Gewerkschaft ver.di Mitte Mai, bei der auf eine Untersuchung des Problems gedrängt wurde.
Zudem beobachtet man mit Sorge die Auswirkungen eines australischen Gerichtsurteils vom April 2010, mit dem einer Stewardess eine hohe Entschädigung zugesprochen worden war. Die Frau war durch Öldämpfe im Flugzeug krank geworden. "Das rechtskräftige Urteil in Australien könnte zum Präzedenzfall werden und somit auch Besatzungsmitglieder bei deutschen Fluggesellschaften zu Klagen 'motivieren'", heißt es dazu im Verschlusspapier des Branchenverbandes.
Peter Hornung, NDR, über Hinweise auf giftige Dämpfe in Flugzeugkabinen
Download der Videodatei .
Mögliche Gefahr schon durch einmaliges Einatmen
Doch es könnte noch schlimmer kommen, fürchten die deutschen Airlines.
Bisher waren es nämlich vor allem Flugbegleiter und Piloten, die sich öffentlich gegen ihre Arbeitgeber wandten und Untersuchungen forderten.
Doch von Gift in der Kabinenluft seien eben nicht nur Besatzungen betroffen, sagt Cockpit-Sprecher Handwerg.
"Das betrifft ganz bestimmt auch "Passagiere", denn auch das sind Menschen, die durch diese Giftstoffe beeinflusst werden können", sagt er. "Es gibt ja auch Vielflieger - und manche Menschen haben sogar schon nach einmaligem Einatmen dieser Giftstoffe gesundheitliche Beeinträchtigungen."
Berichte über kranke Passagiere wären für die Fluggesellschaften offenbar der GAU. Eine "neue Dimension" der öffentlichen Debatte droht laut dem BDF-Papier, wenn "durch die Medien sich das Thema vom bisherigen Betroffenenkreis Besatzungsmitglieder zum Betroffenenkreis Passagiere verlagern würde. Eine in die Richtung abdriftende kontroverse Diskussion würde zu massivem Reputationsverlust der deutschen Fluggesellschaften führen und vermutlich Passagierrückgänge nach sich ziehen." In dem Dokument wird eine "gemeinsame Sprachregelung" aller deutschen Fluggesellschaften angemahnt.
Dass einzelne Besatzungsmitglieder wie Regina Eckholt ernsthaft erkrankt sind, bestreiten indes weder Fluggesellschaften noch Hersteller. Doch Zwischenfälle mit Öldampf seien selten, heißt es unisono, und es gebe keinen Beweis, dass sie die Ursache für die Erkrankungen seien.
Erste Fluggesellschaften beugen vor
[Bildunterschrift: Öldämpfe und Schadstoffe können in die Flugkabine gelangen. ]
Dennoch: Von sechs deutschen Airlines haben zumindest Air Berlin und Condor erste "technische Präventivmaßnahmen" getroffen, wie es in dem vertraulichen Papier heißt. Die Kabinenluft zu filtern, sei jedoch "aus technischen Gründen nicht möglich". Stimmt nicht, sagt die Vereinigung Cockpit: Filter würden entwickelt, nur habe noch keiner Interesse daran gezeigt.
Der Text des Branchenverbandes jedenfalls zeige, so Cockpit-Sprecher Handwerg, wie die Airlines wirklich zu dem Thema stehen. "Man möchte das Problem nicht anerkennen, und man möchte deswegen auch nach Möglichkeit keine wirklich unabhängigen Untersuchungen haben", sagt er. "Und das bemängeln wir natürlich. Wir fordern eine unabhängige und umfassende Untersuchung der Kausalkette Kontamination der Luft bis hin zum Krankheitsbild."
Condor hatte zwar nach einer Messung in seinen Flugzeugen Entwarnung gegeben - doch der Untersuchungsbericht als Ganzes ist unter Verschluss. Unabhängige Untersuchungen werden noch immer als Bedrohung gesehen. Eine Passage des vertraulichen BDF-Papiers ist entlarvend - es geht darum, dass womöglich staatliche Stellen aktiv werden. "Besonderes Augenmerk" heißt es da, "ist auf die Beteiligung der Berufsgenossenschaft Verkehr und der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen an der Arbeitsschutzkonferenz zu richten. Hier könnte eine zusätzliche Dynamik entstehen, wenn beide Institutionen weitere Untersuchungen vornehmen."
"Plusminus-Beitrag" zum aerotoxischen Syndrom (16.03.2010) [daserste]
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Aerotoxisches Syndrom: Gift im Flieger? (29.03.2010) [wdr]
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Weltatlas: Deutschland [Flash|HTML] .
Stand: 12.08.2010 00:02 Uhr
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37 Kommentare zur Meldung Neuester Kommentar von 'nico99x' am 12.08.2010 13:40 Uhr:
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Fluggesellschaften reden Problem giftiger Kabinenluft klein
Fluggesellschaften fürchten Debatte über Kabinenluft
Die Vergiftungsgefahr fliegt immer mit.Macht Fliegen krank?
Diese Frage stellen sich in jüngster Zeit immer mehr Flugbegleiter und Piloten. Der Hintergrund: Hunderte von ihnen berichten über schwere Erkrankungen bis hin zur Berufsunfähigkeit. Die Schuld geben sie Öldämpfen, die in die Flugzeugkabine gelangen. Ein Problem, das auch von deutschen Fluggesellschaften öffentlich bisher kleingeredet wird. Jetzt allerdings liegt NDR Info ein vertrauliches Papier vor, das zeigt, wie die Airlines wirklich denken.
Von Peter Hornung, NDR Info
Regina Eckholt fliegt schon seit Jahren nicht mehr - sie ist krank. Die 33-Jährige war jahrelang Stewardess bei Condor, flog auf der Boeing 757. "Bei mir ging das damals los mit Kopfschmerzen, Herzrasen, Übelkeit und ganz extremem Schwindel", sagt sie. "Daraufhin bin ich ins Krankenhaus gekommen. Dort wurde festgestellt, dass es eine Entzündung im Nervensystem ist." Was sie krank gemacht hat, glaubt Regina Eckholt zu wissen - die Luft im Flugzeug. Die wird bei modernen Flugzeugen an den Triebwerken gezapft. Nachgewiesen ist, dass dabei unter bestimmten Umständen Öldämpfe und mit ihnen Schadstoffe wie das Nervengift TCP in die Kabine gelangen könnten.
[Bildunterschrift: Bei modernen Flugzeugen wird die Luft für die Kabine an den Triebwerken abgezapft. ]
Strittig ist allerdings, wie viel Gift in der Luft ist - und ob es einen Zusammenhang zwischen Öldämpfen und Erkrankungen gibt. Den nämlich bestreiten Lufthansa, Air Berlin und Co. Doch ein vertrauliches Papier des Bundesverbandes deutscher Fluggesellschaften (BDF), das NDR Info vorliegt, zeigt, dass man sich in den Vorstandsetagen der Airlines durchaus große Sorgen macht - um den Ruf des eigenen Unternehmens.
"Das Problem betrifft Tausende Flugzeuge weltweit"
Jörg Handwerg, Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit, hat das Dokument gelesen. Er sagt: "Der Eindruck ist, dass hier eine sehr große Angst vorhanden ist, dass sich das negativ aufs Geschäft auswirken kann. Das ist ein Problem, das Tausende von Flugzeugen weltweit betrifft, und man möchte kein Geld ausgeben."
Es sind nur drei Seiten, aber die haben es in sich. Die großen deutschen Fluggesellschaften sorgen sich darin, dass in der Öffentlichkeit eine große Debatte über das Thema "Vergiftete Kabinenluft" beginnen könnte. Man fürchtet "ein potenzielles Aufflammen der öffentlichen Diskussion vor der Feriensaison".
Branchenverband spricht von einem "allerersten Entwurf"
[Bildunterschrift: Der BDF wollte das interne Papier nicht öffentlich kommentieren. ]
Der Branchenverband BDF werde zu den Inhalten des internen Papiers nicht Stellung beziehen, sagte Sprecherin Carola Scheffler. Das Dokument mit Datum vom 16. Juni 2010 sei lediglich ein "allererster Entwurf". Dennoch steht außer Frage, dass die Befürchtungen auch nach rund acht Wochen noch aktuell sind.
Genährt werden die Ängste der Airlines durch einen Bericht des ARD-Magazins Plusminus und eine Arbeitsschutzkonferenz zum Thema Kabinenluft, veranstaltet von der Gewerkschaft ver.di Mitte Mai, bei der auf eine Untersuchung des Problems gedrängt wurde.
Zudem beobachtet man mit Sorge die Auswirkungen eines australischen Gerichtsurteils vom April 2010, mit dem einer Stewardess eine hohe Entschädigung zugesprochen worden war. Die Frau war durch Öldämpfe im Flugzeug krank geworden. "Das rechtskräftige Urteil in Australien könnte zum Präzedenzfall werden und somit auch Besatzungsmitglieder bei deutschen Fluggesellschaften zu Klagen 'motivieren'", heißt es dazu im Verschlusspapier des Branchenverbandes.
Peter Hornung, NDR, über Hinweise auf giftige Dämpfe in Flugzeugkabinen
Download der Videodatei .
Mögliche Gefahr schon durch einmaliges Einatmen
Doch es könnte noch schlimmer kommen, fürchten die deutschen Airlines.
Bisher waren es nämlich vor allem Flugbegleiter und Piloten, die sich öffentlich gegen ihre Arbeitgeber wandten und Untersuchungen forderten.
Doch von Gift in der Kabinenluft seien eben nicht nur Besatzungen betroffen, sagt Cockpit-Sprecher Handwerg.
"Das betrifft ganz bestimmt auch "Passagiere", denn auch das sind Menschen, die durch diese Giftstoffe beeinflusst werden können", sagt er. "Es gibt ja auch Vielflieger - und manche Menschen haben sogar schon nach einmaligem Einatmen dieser Giftstoffe gesundheitliche Beeinträchtigungen."
Berichte über kranke Passagiere wären für die Fluggesellschaften offenbar der GAU. Eine "neue Dimension" der öffentlichen Debatte droht laut dem BDF-Papier, wenn "durch die Medien sich das Thema vom bisherigen Betroffenenkreis Besatzungsmitglieder zum Betroffenenkreis Passagiere verlagern würde. Eine in die Richtung abdriftende kontroverse Diskussion würde zu massivem Reputationsverlust der deutschen Fluggesellschaften führen und vermutlich Passagierrückgänge nach sich ziehen." In dem Dokument wird eine "gemeinsame Sprachregelung" aller deutschen Fluggesellschaften angemahnt.
Dass einzelne Besatzungsmitglieder wie Regina Eckholt ernsthaft erkrankt sind, bestreiten indes weder Fluggesellschaften noch Hersteller. Doch Zwischenfälle mit Öldampf seien selten, heißt es unisono, und es gebe keinen Beweis, dass sie die Ursache für die Erkrankungen seien.
Erste Fluggesellschaften beugen vor
[Bildunterschrift: Öldämpfe und Schadstoffe können in die Flugkabine gelangen. ]
Dennoch: Von sechs deutschen Airlines haben zumindest Air Berlin und Condor erste "technische Präventivmaßnahmen" getroffen, wie es in dem vertraulichen Papier heißt. Die Kabinenluft zu filtern, sei jedoch "aus technischen Gründen nicht möglich". Stimmt nicht, sagt die Vereinigung Cockpit: Filter würden entwickelt, nur habe noch keiner Interesse daran gezeigt.
Der Text des Branchenverbandes jedenfalls zeige, so Cockpit-Sprecher Handwerg, wie die Airlines wirklich zu dem Thema stehen. "Man möchte das Problem nicht anerkennen, und man möchte deswegen auch nach Möglichkeit keine wirklich unabhängigen Untersuchungen haben", sagt er. "Und das bemängeln wir natürlich. Wir fordern eine unabhängige und umfassende Untersuchung der Kausalkette Kontamination der Luft bis hin zum Krankheitsbild."
Condor hatte zwar nach einer Messung in seinen Flugzeugen Entwarnung gegeben - doch der Untersuchungsbericht als Ganzes ist unter Verschluss. Unabhängige Untersuchungen werden noch immer als Bedrohung gesehen. Eine Passage des vertraulichen BDF-Papiers ist entlarvend - es geht darum, dass womöglich staatliche Stellen aktiv werden. "Besonderes Augenmerk" heißt es da, "ist auf die Beteiligung der Berufsgenossenschaft Verkehr und der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen an der Arbeitsschutzkonferenz zu richten. Hier könnte eine zusätzliche Dynamik entstehen, wenn beide Institutionen weitere Untersuchungen vornehmen."
"Plusminus-Beitrag" zum aerotoxischen Syndrom (16.03.2010) [daserste]
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Aerotoxisches Syndrom: Gift im Flieger? (29.03.2010) [wdr]
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