Zwangsbehandlung: Auf “Assisted Decision Making” kommt es an
Mo 10 Dez 2012 Maximilian Steinbeis
Wie bringt man das Interesse psychisch Kranker, nicht gegen ihren Willen zwangsbehandelt zu werden, und die Notwendigkeit, sie ihrer Krankheit nicht wehrlos auszuliefern, unter einen Hut? Der Bundestag berät, ausgelöst durch Urteile von BVerfG und BGH, über eine gesetzlichen Regelung dieser Frage, die zum Schwierigsten gehört, was ein Gesetzgeber überhaupt regeln kann und muss. Um so besser, dass er sich jetzt doch entschieden hat, ein paar Experten einzuladen und ihre Positionen anzuhören. Heute findet die Sachverständigenanhörung statt.
Um das Dilemma noch einmal auf den Punkt zu bringen: Manche psychischen Krankheiten bringen es mit sich, dass man gerade das, was einem aus psychiatrischer Sicht gegen die Krankheit oder ihre Begleiterscheinungen oder Folgen helfen würde, um keinen Preis will. Die Stimmen im Kopf der Psychosepatientin sagen ihr, dass die Ärzte und Pfleger mit ihren Spritzen und Tabletten sie vergiften wollen. Der Anorektiker sträubt sich mit Händen und Füßen gegen alles, was ihn vor dem Hungertod retten könnte.
Die Zeiten, wo man ihren Willen einfach als “verrückt” und damit irrelevant beiseiteschieben konnte, sind gottlob vorbei; dafür sorgt neben den besagten BVerfG- und BGH-Urteilen auch die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen.
Aber was heißt das? Ist den Rechten der Psychotikerin, die das Personal anzugreifen droht, besser gedient, wenn man sie stattdessen fesseln oder in ein Isolierzimmer sperren muss? Verlangt es das Recht des Anorektikers, dass seine Ärzte warten, bis er bewusstlos wird, bevor sie sich trauen, ihm Nahrung zuzuführen?
Der Gesetzentwurf betrifft den Fall, dass ein Betreuer bestellt ist (also wohl nicht die akutpsychiatrischen Fälle, in denen die Nothilfe bzw. die Unterbringungsgesetze der Länder die Rechtsgrundlage bilden). Es sieht vor, dass dann der Betreuer an Stelle des Patienten in die Behandlung einwilligen muss. Der Betreuer darf das nur, wenn die Behandlung notwendig, erforderlich und verhältnismäßig ist und wenn das Betreuungsgericht es genehmigt.
In der Begründung ist zwar davon die Rede, dass der Patient vorher angehört werden muss, und nach Betreuungsrecht muss der Betreuer auch mit dem Patienten vorher reden. Aber reicht das, um die Zahl der Fälle zu minimieren, in denen um den Willen des Patienten sozusagen ein Bypass gelegt wird und andere an seiner Stelle bestimmen, was gut und notwendig für ihn ist und was nicht? Wie groß ist die Versuchung im Klinikalltagsstress, in punkto Patientenwillen bloß der Form genügezutun und ansonsten Arzt und Betreuer unter “vernünftigen” Leuten ausmachen zu lassen, ob zwangsbehandelt wird oder nicht?
Mir ist heute ein ganz aktuelles Urteil aus Irland in die Hände gefallen, das diese Konstellation betrifft. Im Fall M.X. v. Health Service Executive hatte der High Court über die Verfassungsmäßigkeit der irischen Regelung zur Zwangsbehandlung zu entscheiden und tat dies (das ist für sich genommen schon interessant) im Lichte der UN-Konvention zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen sowie der EMRK. Der Autor des Urteils kommt dabei zu dem Schluss, dass die Verfassung gebietet, dem Patienten so weit wie möglich bei der Willensbildung zu helfen, anstatt seinen Willen zu ersetzen.
If a patient lacks capacity, does it not follow that, in order to vindicate these rights, the patient should, where necessary, be assisted in expressing their view as part of the decision-making process? It cannot be said that such a process is impractical. I think the constitutional duty involved here is a positive one.
Dazu muss man wissen, dass es in Irland keinen Betreuer gibt und der Arzt allein entscheidet (dafür muss, anders als in Deutschland, ein zweiter Psychiater die Maßnahme genehmigen). Die Teilnahme eines Betreuers dürfte diesem “assisted decision making” wohl näherkommen als das irische Verfahren.
Aber auch dem deutschen Gesetzgeber wäre zu empfehlen (wie dies auch mehrere der heute angehörten Sachverständigen tun), im Gesetzeswortlaut eindeutig klar zu stellen, dass es auf “assisted decision making” ankommt: Vor der Zwangsbehandlung muss es den Versuch gegeben haben, die Zustimmung des Patienten zu erhalten – und zwar nicht nur als Formalie, sondern ernsthaft und dokumentiert.
Soweit das sowieso psychiatrische Praxis ist, entsteht ja kein Schaden. Soweit nicht, macht das den ganzen Unterschied.
http://www.verfassungsblog.de/zwangsbehandlung-auf-assisted-decision-making-kommt-es-an/ - Editiert von Kira am 05.01.2013, 10:14 -