REHABILITATIONSBEDÜRFTIGKEIT

REHABILITATIONSBEDÜRFTIGKEIT

Beitragvon Juliane » Donnerstag 4. Februar 2010, 19:41

LEITLINIEN ZUR REHABILITATIONSBEDÜRFTIGKEIT BEI
PSYCHISCHEN STÖRUNGEN
- für den Beratungsärztlichen Dienst der Deutschen Rentenversicherung Bund


Seite 26


"Für verschiedene Beschwerdebilder, die ebenso mit körperlichen wie mit psychischen

Symptomen einhergehen (z. B. das „Chronische Müdigkeitssyndrom“, das

„Sick Building Syndrom“, die „Fibromyalgie“ oder das „unspezifische umweltbezogene

Überempfindlichkeitssyndrom“), lassen sich bislang keine eindeutigen

ursächlichen Erklärungen finden, so dass eine korrekte diagnostische Zuordnung

schwer fällt. Sie werden im Kapitel 6 näher ausgeführt. Auch unfallreaktive

Beschwerdebilder sind teilweise schwer diagnostisch zuzuordnen, beispielsweise

Schleudertraumata, bei denen nach geringfügigeren körperlichen Einwirkungen z. B.

im Rahmen leichterer Auffahrunfälle nicht selten unverhältnismäßig stark ausgeprägte

Beschwerden geschildert werden, siehe hierzu auch „Leitlinien zur Rehabilitationsbedürftigkeit

neurologischer Erkrankungen“.




Seite 57 ff

6 Beschwerdebilder, die mit psychischen Symptomen einhergehen

können

6.1 Chronic Fatigue-Syndrom, Umweltbezogene Körperbeschwerden

Die unter den Begriffen Chronic Fatigue-Syndrom (CFS) bzw. Umweltbezogene

Körperbeschwerden wie z. B. Multiple Chemical Sensitivity-Syndrom (MCS), Idiopathic

Environmental Intolerances (IEI) oder Sick Building Syndrom (SBS)

zusammengefassten Beschwerdebilder haben wegen der problematischen

Vermengung von symptomatischer Ebene, Syndrom-Ebene und nosologischer Zuordnung

bislang keinen Eingang in die international gängigen Klassifikationssysteme

gefunden. Auch die ICD-10 geht bei CFS bzw. MCS/IEI/SBS wegen der fehlenden

wissenschaftlichen Evidenz nicht von eigenständigen Krankheitsentitäten aus, zumal

toxikologisch und immunologisch keine die Symptomatik erklärenden Befunde

vorliegen.

Beim Chronic Fatigue-Syndrom, dessen klinisches Bild sich in vielen Bereichen mit

dem der Multiple Chemical Sensitivity überschneidet, wird in der Fachliteratur auf die

Ähnlichkeit mit dem unter Neurasthenie operationalisierten Krankheitsbild (F48.0)

verwiesen (siehe Kapitel 5.1.7). Für das Chronic Fatigue-Syndrom wurden Kriterien

entwickelt, die zur Diagnosestellung herangezogen werden können:

1. Klinisch gesicherte, unerklärbare, persistierende oder rezidivierende

Erschöpfung, welche

• neu oder zeitlich bestimmbar eingetreten ist,

• nicht Folge einer anhaltenden Überlastung ist,

• sich nicht wesentlich durch Ruhe bessert und

• zu einer deutlichen Reduktion des früheren Niveaus der Aktivitäten

in Ausbildung/Beruf sowie im sozialen oder persönlichen

Bereich führt;



2. Vorhandensein von vier oder mehr der folgenden Symptome, die alle für

mindestens sechs aufeinanderfolgende Monate persistierend oder

rezidivierend nebeneinander bestanden haben müssen und der Erschöpfung

nicht vorausgegangen sein dürfen:

• selbstberichtete Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses

oder der Konzentration, die schwer genug sind, eine deutliche

Reduktion des früheren Aktivitätsniveaus in Ausbildung/Beruf

sowie im sozialen oder persönlichen Bereich zu verursachen

• Halsschmerzen

• druckempfindliche Hals- und Achsellymphknoten

• Muskelschmerzen

• Kopfschmerzen

• Schmerzen mehrerer Gelenke ohne Schwellung und Rötung

• Kopfschmerzen eines neuen Typs, Musters oder Schweregrades

• keine Erholung im Schlaf

• Zustandsverschlechterung für mehr als 24 Stunden nach Anstrengungen.

Jede aktive medizinische Störung, die eine chronische Erschöpfung erklären könnte

wie z. B. Hypothyreose, Schlafapnoe, Narkolepsie, Medikamentennebenwirkungen,

fortgeschrittene HIV-Infektion, Malignom, nicht ausgeheilte Hepatitis muss ausgeschlossen

sein. Gleiches gilt für jede frühere oder aktuelle Diagnose einer

Depression mit psychotischen oder melancholischen Anteilen, Zyklothymie, Schizophrenie

und anderen paranoiden Störungen, Demenz, Essstörungen, Alkohol- oder

Drogenmissbrauch in den letzten beiden Jahren vor Beginn der chronischen

Erschöpfung und zu jedem Zeitpunkt danach sowie Adipositas per magna mit einem

BMI von 45 und mehr.

In der wissenschaftlich anerkannten Fachliteratur herrscht Einigkeit darüber, dass

sowohl CFS- als auch MCS-/IEI-/SBS-Betroffene überdurchschnittlich häufig

psychische Beeinträchtigungen wie Ängstlichkeit, Depressivität und diffuse,

unterschiedlich ausgeprägte Körpersensationen aufweisen. Eine psychische

Ätiologie sowohl bei CFS als auch bei MCS/IEI/SBS erscheint in vielen Fällen wahrscheinlich.

Zumindest lassen die bisherigen klinischen Erfahrungen in universitären

Fachambulanzen und stationären Fachabteilungen eine hohe psychische Komorbidität

bei dieser Patientengruppe als gesichert erscheinen.

Verschiedene Autoren stellen zudem fest, dass unter MCS/IEI klinische

Fehldiagnosen subsumiert werden, das heißt, dass bei einem Teil der Betroffenen

Frühformen psychischer Erkrankungen vorliegen. Insofern sind primär Erkrankungen

wie Angststörungen (F40-41), affektive Störungen (F32-34) und wahnhafte

Störungen (F20-25) differenzialdiagnostisch zu erwägen.

Als kulturgebundenes Erklärungsmodell wird weiterhin ein ”belief system” diskutiert,

mit dessen Hilfe unspezifische Körperbeschwerden individuell interpretiert werden

und das von Medien, Heilpraktikern, Ärzten und verschiedenen Institutionen etabliert

und unterstützt wird.



Von einer neuronalen Chemie-Hypothese ausgehend, werden bei den

umweltbezogenen Körperstörungen u. a. eine biologische Konditionierung bei der

Exposition gegenüber Gerüchen und Atemwegsirritantien sowie immunologischallergische

Mechanismen diskutiert. Die zugrunde liegende Überempfindlichkeit

könnte durch verschiedene Ursachen wie z. B. psychosozialen Stress hervorgerufen

werden. Allerdings lässt sich die häufig eintretende Chronifizierung und

Generalisierung nicht mit einem ausschließlich toxikologisch-allergologischen Ansatz

erklären.

Klinische, umweltmedizinische und laborchemische Untersuchungen erbringen in der

Regel auch keinen Nachweis einer Exposition, eines Kausalzusammenhangs

zwischen Exposition und Ausmaß der Beschwerden und/oder von organisch

begründbaren Erkrankungen, die die Beschwerden ausreichend erklären könnten. In

dieser Hinsicht und auch anhand des Bedürfnisses des Patienten, sich zur Abklärung

der Beschwerden wiederholt an Ärzte, Umweltambulanzen oder andere Behandler zu

wenden, bestehen Ähnlichkeiten zu den somatoformen Störungen (F45).

Psychopathologische Merkmale

Konzentrations- und Gedächtnisstörungen werden oft geklagt, die Stimmung kann

herabgesetzt sein. Die psychischen oder neuropsychologischen Symptome werden

von den Betroffenen trotz ausgeprägten Krankheitsgefühls jedoch nicht als eigenständige

psychische Problematik, sondern als Folge einer vermuteten neurotoxischen

oder anderen organischen Veränderung durch Umweltexposition

angesehen. Das Denken kann auf die organische Ursachenattribution eingeengt

sein. Ängste sind nicht selten.

Auswirkungen auf Aktivitäten und Teilhabe

Durch die Ängste hinsichtlich des weiteren Beschwerdeverlaufs und das daraus

resultierende Vermeidungsverhalten bis hin zum sozialen Rückzug kann die Teilhabe

am Berufs- und familiären Leben z. T. erheblich beeinträchtigt sein.

Prognose und Verlauf

Die Prognoseabschätzung darüber, ob eventuell bestehende Leistungseinbußen der

Versicherten als irreversibel bzw. chronisch anzusehen sind, kann nur im Einzelfall

und nicht allein auf der Grundlage einer umstrittenen diagnostischen Kategorie vorgenommen

werden.

Behandlungsmöglichkeiten

Eine gelegentliche kurzfristige Vermeidung der vermeintlich schädigenden Umwelteinflüsse

im Sinne der Angstminderung und Beziehungsstabilisierung kann im Einzelfall

sinnvoll sein. Die Forderung nach einer grundsätzlichen Vermeidung von

(hypothetischen) Trigger-Substanzen im Berufsleben (Nocebo) als mögliche neurotoxische

Einwirkung ist wissenschaftlich jedoch nicht begründbar. Die sogenannte

„Ausleitung“ von Quecksilber, das Vermeiden von Nahrungsmitteln und chemischen

Stoffen, der Umbau des Hauses oder ein Umzug sind mit erheblichen psychischen,

sozialen und finanziellen Folgen verbunden, bei nicht nachgewiesener Wirksamkeit

dieser Maßnahmen.

Mittel- und langfristig ist dem Patienten eine Re-Exposition i. S. einer behavioralen

Therapie zur Auseinandersetzung mit den scheinbar schädigenden Agenzien

(stufenweise Desensibilisierung bzw. Expositionstherapie) zu raten. Bei entsprechen

dem Schweregrad ist ein stationärer Psychotherapieversuch indiziert. Allerdings

stößt dessen Realisierung wegen des Umweltvermeidungsverhaltens und

mangelnder Akzeptanz durch die Betroffenen häufig auf Probleme.

Sozialmedizinische Bewertung

Aufgrund der Chronizität und der Ausprägung der psychosozialen Beeinträchtigungen

kann Rehabilitationsbedürftigkeit abgeleitet werden. Hinsichtlich der medizinischen

Rehabilitation in psychosomatisch/psychotherapeutischen Facheinrichtungen

ist anzumerken, dass die differenzielle Zuweisung von Versicherten zu

diesen Leistungen auf der Grundlage eines ganzheitlichen Krankheitsverständnisses

erfolgt und die hier angebotene Behandlung dem gegenwärtig anerkannten Wissensstand

entspricht. Unter verhaltensanalytischen Aspekten kommt insbesondere

der Überwindung von Verstärkungs- und Vermeidungsreaktionen eine Bedeutung zu,

wenn die Patienten lernen sollen, soziale Fertigkeiten zu trainieren und die Änderung

kognitiver Erwartungen und dysfunktionaler ”belief systems” einzuüben.

Dennoch wird sich bei einem Teil der Betroffenen auch nach Ausschöpfung aller

rehabilitativen Bemühungen eine Berentung wegen verminderter Erwerbsfähigkeit

nicht vermeiden lassen. Dies kann aus sozialmedizinischer Sicht allerdings nur auf

der Grundlage einer umfassenden Gesamtbeurteilung der qualitativen und

quantitativen Leistungsfähigkeit erfolgen, in die die verschiedenen Gesichtspunkte

einschließlich der tatsächlich ermittelbaren Fähigkeitsstörungen Eingang finden

müssen."


Aktualisierungen sind in dreijährigen Abständen vorgesehen.

http://infomed.mds-ev.de/sindbad.nsf/51293108f720804cc12571e700442bde/f5274db2008f1559c1257110002c1fff/$FILE/RVBund-LL_Rehabed_psychische_st%C3%B6rungen_051001.pdf
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Beitragvon Maria » Donnerstag 4. Februar 2010, 21:39

Hierzu erspare ich mir weiteren Kommentar!
Maria
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REHABILITATIONSBEDÜRFTIGKEIT

Beitragvon Maria Magdalena » Donnerstag 4. Februar 2010, 22:07

Eine diagnostische Zuordnung gibt es sehr wohl! Im DIMDI. Und diese ist körperlich, auf keinen Fall psychisch! Und diagnostische Kriterien gibt es auch.

Die Rentenversicherung sollte besser keine Vortäuschung falscher Tatsachen begehen. Vorsicht! Das ist nämlich gesetzeswidrig! Betrug ist Betrug.

Das \"unspezifische umweltbezogene Überempfindlichkeitssyndrom\" gibt es gar nicht, diese Bezeichnung ist ein Phantasiegebilde, geistiger Dünnschiss und rechtlich irrelevant.
Maria Magdalena
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