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Beitragvon Juliane » Sonntag 24. Oktober 2010, 08:37

Zitat


"Fallbeschreibung einer multiplen chemischen Sensitivität (MCS)

D. Wieners, X. Baur


Vorgestellt wird der Fall einer 31jährigen Bürogehilfin, die erstmals 1994 Störungen der Merk- und Leistungsfähigkeit, der Informationsaufnahme und der Konzentrationsfähigkeit entwickelte. Die beschriebenen Symptome lassen auf ein MCS schließen. Eine Anerkennung als Berufskrankheit nach der aktuellen Liste des Anhangs der BKV und §9 SGB VII ist nicht möglich.


Vorgeschichte

Die 31jährige Bürogehilfin entwickelte erstmals 1994 Störungen der Merk- und Leistungsfähigkeit, der Informationsaufnahme und der Konzentrationsfähigkeit. Häufiger verlegte sie Dinge; an ihrem Arbeitsplatz vergaß sie Handlungsabsichten, Erledigungen und musste sich vieles aufschreiben. Außerdem schweiften ihre Gedanken schnell ab. Bei Gesprächen verlor sie häufig den inhaltlichen Faden und bemerkte Wortfindungsstörungen. Ferner kam es zu Veränderungen der Stimmungslage mit depressiven Phasen und zu einer erhöhten Reizbarkeit.

Im Rahmen einer neurologisch-psychiatrischen Untersuchung im Februar 1998 berichtete die Patientin über ein pelziges Gefühl im Hals, rezidivierende Schwellungen der Zunge und Augenbindehäute, Muskelschmerzen, eine erhöhte Geruchsempfindlichkeit gegenüber Parfums, Waschmitteln und Zeitungen. Sie klagte über häufige Durchfälle und Schlafstörungen. In der Wohnung hatte sie sämtliche Möbel und die Teppiche mit einer Folie abgedeckt, um sich vor deren Ausdünstungen zu schützen. Als ein Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft sie zu Hause besuchte, traf er sie mit einer Sauerstoffmaske an, die sie offensichtlich regelmäßig trug.

Die Patientin hatte bereits 26 Ärzte konsultiert und führt über alle Behandlungsdaten Buch. Eine Positronen-Emissions-Tomographie (PET; bildgebendes Verfahren unter Nutzung der bei Positronenverfall entstehenden Photonen, z.B. zur Untersuchung der Durchblutung und der Stoffwechselvorgänge in einzelnen Hirnabschnitten) Anfang 1998 zeigte angeblich eine "großflächige Störung der Glucoseverwertung frontal mit ausgeprägter Betonung orbital beidseits und inferior rechtsseitig" . Zuletzt wurden ärztlicherseits die psychiatrisch-neurologischen Diagnosen . Polyneuropathie, Myopathie und Ataxie mit erheblicher cerebraler Schädigung. gestellt.

Nach Ansicht der Patientin ist das Beschwerdebild auf eine Vergiftung zurückzuführen, die sie sich durch die berufliche Tätigkeit zugezogen habe.
Sie war von 1993 bis 1997 im Büro einer Fachhochschule tätig und schied infolge ihrer Beschwerden aus. Laut Aktenlage wurden an ihrem Arbeitsplatz, einem Neubau, zeitweilig Schädlingsbekämpfungmittel aus der Substanzgruppe der Pyrethroide eingesetzt.

Untersuchungsbefunde
Die Patientin war bei der Untersuchung klar, attent und geordnet.

Sie gab eine Geruchs-, Licht- und Lärmüberempfindlichkeit an, ferner Sehstörungen, Dröhnen im Kopf bei lauten Geräuschen, zeitweises Kribbeln und Juckreiz der Gesichtshaut. In der neurologischen Untersuchung vom Januar 1998 fand sich eine handschuh- und sockenförmige herabgesetzte Empfindlichkeit (Hypästhesien) im Sinne einer Polyneuropathie. Die Prüfung der Koordination erbrachte eine unruhige Mimik und Psychomotorik sowie eine deutliche Ataxie bei den Blindversuchen.

In weiteren Tests fanden sich Hinweise auf eine mögliche Störung der sprachlichen Informationsverarbeitung und eine cerebrale Insuffizienz bzw. erworbene cerebrale Schädigung der Intelligenzfunktion im Bereich visueller Wahrnehmung.

Beurteilung
Die von der Patientin geschilderten Beschwerden sprechen für das Vorliegen einer Multiple Chemical Sensitivity (MCS; heute bevorzugter Begriff: idiopathische Umwelt-Unverträglichkeit, (idiopathic environmental intolerance IEI)). Diese stellt eine erworbene Multiorgansymptomatik dar, welche durch Überempfindlichkeiten gegenüber zahlreichen Stoffgruppen (z.B. Lösungsmitteln, Pestiziden, Textilien, Nahrungsmittelzusätzen, Erdölprodukten) charakterisiert ist. Ein rezidivierender Verlauf mit einer Verschlimmerung unter bestimmten Auslösesituationen ist ein wesentliches Merkmal. Die Beschwerden treten bei niedrigsten Konzentrationen auf, die in der allgemeinen Bevölkerung keine Reaktionen hervorrufen, z. B Aufschlagen eines frisch gedruckten Kataloges oder Betreten einer Möbelabteilung. Häufig kommt es dabei zu einer dramatischen Symptomatik und einem hohen Leidensdruck (Altenkirch 1998). Typische Beschwerden sind Kopfschmerzen, Müdigkeit, allgemeine Schwäche, Konzentrationsstörungen, Reizungen der Schleimhäute des Auges und des Rachens sowie Verdauungsstörungen. Stets sind mehrere Organe oder Organsysteme betroffen. In der Regel lassen sich mit gängigen diagnostischen Verfahren keine pathologischen Befunde erheben. Die Pathogenese dieser Beschwerdebilder ist bislang weitgehend unklar und scheint heterogen zu sein (Wolf 1995; Bernstein 1996). Nach einer Auswertung von Wolf (1998) existieren derzeit keine Hinweise darauf, dass die Beschwerden auf toxische oder immunologische Prozesse zurückzuführen sind. Häufig scheinen psychische Faktoren beteiligt zu sein. Von einigen Autoren wird vermutet, dass früher stattgefundene hohe Schadstoffexpositionen, die mit Symptomen einhergingen, zu einer Konditionierung ähnlich dem Pawlow-Reflex führen können.

Differentialdiagnostisch ist an ein Sick Building Syndrom (SBS) zu denken. Es handelt sich dabei um eine reversible Befindlichkeitsstörung. Das SBS tritt vor allem in vollklimatisierten, künstlich belüfteten Gebäuden auf. Gruppendynamische Prozesse sind hierbei von besonderer Bedeutung. Nach internationaler Konvention liegt ein SBS vor, wenn mehr als 10 bis 20 % der Nutzer eines Gebäudes über ortsbezogene Beschwerden wie Atemwegsreizungen, Erschöpfungszustände, allgemeine Irritabilität und Ängstlichkeit klagen (Wiesmüller 1997). Die Beschwerden sind an die Anwesenheit in den Räumen gebunden und verschwinden am Wochenende (Altenkirch 1998). Beim SBS handelt es sich um einen Symptomkomplex aus zahlreichen Einzelfaktoren, die unterschiedlich ausgeprägt sein können. Häufig wird ein Zusammenhang mit flüchtigen organischen Verbindungen (zum Beispiel mit Formaldehyd oder Lösungsmitteln) hergestellt, ohne dass für diese Stoffgruppen Grenzwertüberschreitungen gefunden werden.

Unsere Patientin war im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als Bürogehilfin keinen nennenswerten Belastungen ausgesetzt. Dies gilt auch für das zeitweilig eingesetzte Schädlingsbekämpfungsmittel aus der Stoffgruppe der "naturidentischen" Pyrethroide. Eine Pyrethroid-Vergiftung manifestiert sich unmittelbar nach Exposition durch Brennen und Juckreiz der Atemwegsschleim-häute, durch Haut- und Augenreizungen oder auch durch ein Taubheitsgefühl des Gesichtes. Daneben treten unspezifische Symptome wie Kopfschmerz, Schwindel, Übelkeit oder Schwäche auf. Diese Beschwerden zeigen sich stets innerhalb von wenigen Stunden bis zwei Tagen vollreversibel. Bisher konnte keine Speicherung von Pyrethroiden im Gehirn nachgewiesen werden. Die Frage einer chronischen Erkrankung durch eine langfristige Belastung in Innenräumen kann zur Zeit nicht endgültig beantwortet werden. Hierzu existieren unterschiedliche Ansichten; eindeutige Beweise liegen nicht vor (Appel et al. 1994).

Der Krankheitsverlauf mit fortbestehenden Beschwerden nach Beendigung der Exposition gegenüber Pyrethroiden am ehemaligen Arbeitsplatz als Bürogehilfin spricht im Fall unserer Patientin gegen Gesundheitsstörungen durch diese Einwirkungen, da bei einer Pyrethroidvergiftung die Symptome kurz nach Expositionsende wieder abklingen. Zusammenfassend stellten wir ein MCS fest. Folgende Befunde unserer Patientin sind hierfür typisch: Konzentrationsstörungen, Reizungen der Mund- und Augenschleimhäute, erhöhte Geruchsempfindlichkeit, Schlaf- und Verdauungsstörungen. Beschwerdeauslösend wirkten niedrige Konzentrationen verschie- denster Stoffgruppen in der Umwelt und am Arbeitsplatz. Pathologische Organbefunde ließen sich nicht feststellen. Nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen besteht kein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Beschwerdebild der Patientin und der ausgeübten beruflichen Tätigkeit als Bürogehilfin. Eine Berufskrankheit im Sinne der aktuellen BKV-Liste liegt nicht vor. Auch unter der Annahme einer Multiple Chemical Sensitivity oder eines Sick Building Syndroms sind diese Leiden nicht wie eine Berufskrankheit einzustufen, da beide Erkrankungen nicht in der aktuellen Liste der Berufskrankheiten-Verordnung aufgeführt sind.

Fazit für die Praxis: Bei der Multiple Chemical Sensitivity (MCS) bzw. dem Sick Building Syndrom (SBS) handelt es sich um komplexe Krankheitsbilder mit in der Regel unbekannter Ätiologie und Pathogenese. Im Vordergrund stehen dabei Befindlichkeitsstörungen. Beschwerdeauslösend sind verschiedenste, niedrig konzentrierte chemische Einwirkungen sowohl im beruflichen als auch allgemeinem Umfeld. Der Leidensdruck der Patienten ist sehr hoch und führt zur Konsultation einer Vielzahl von Ärzten und nicht selten zur Berufsaufgabe. Ein ursächlicher Zusammenhang dieser Erkrankungen mit einer bestimmten berufsbezogenen oder außerberuflichen Einwirkung ist in der Regel nicht zu objektivieren.

Literatur:
Altenkirch A: Klinisches Spektrum der Neurotoxizität von organischen Lösungsmitteln. Nervenheilkunde 1998; 17: 362-368
Appel VE, Michalak H, Gericke S: Gesundheitliches Risiko durch Pyrethroide? - Daten über ihre Neurotoxozität, Toxikokinetik und Gesundheitsstörungen beim Menschen. Wissenschaft und Umwelt 1994; 2: 95-108
Bernstein DI: Multiple chemical sensitivity: state of the art symposium. The role of chemical allergens. Regul Toxicol Pharmacol 1996; 24: 28-31
McDonald JC, Armstrong B, Bénard J, Cherry NM, Farant JP: Sick-Building-Syndrome in a Canadian office complex. Archives of enviromental health 1993; 48: 298-304
Wiesmüller GA: Sick Building Syndrom. Allergologie 1997; 7: 347-353 o Wolf C: Umweltallergie - Multiple Chemical Sensitivity. Allergologie 1995; 10: 420-424
Wolf C: "Multiple chemical sensitivity syndrome" . Schweiz Med Wochenschr 1998; 128: 1217-22 "

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Beitragvon Juliane » Sonntag 24. Oktober 2010, 08:42

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"Der arbeitsmedizinische Fall: Non-Immune-Immediate-Contact-Reactions (NIICR) durch Duftstoffe bei idiopathischer Umweltintoleranz einer Beschäftigten in einer Gärtnerei
R. Merget, V. Harth, L. Altmann, T. Brüning

Die im BGFA untersuchte Versicherte ist seit 1995 in einer Gärtnerei beschäftigt. Seit 2000 bestehen u.a. Atembeschwerden, die auf eine allergische Reaktion, hervorgerufen durch Duftstoffe und Parfüms hindeuten. Das BGFA sollte gutachterlich zu der Frage Stellung nehmen, ob eine Berufskrankheit nach Nr. 4301 der Berufskrankheitenverordnung vorliegt. Bei den im BGFA durchgeführten Untersuchungen konnte keine eindeutige bronchiale Hyperreaktivität festgestellt werden. Auffällig waren positive Reaktionen bei Ablesung des Epikutantests nach 30 Minuten insbesondere mit Duftstoffmix bzw. der Einzelsubstanz Zimtaldehyd. Diese Hautreaktionen entsprechen am ehesten so genannten Non-Immune-Immediate-Contact-Reactions (NIICR). Eine Bedeutung dieser NIICR für die Atemwegsbeschwerden der Versicherten konnte durch Provokationstestung mit Zimtaldehyd nicht dargestellt werden.
Duft- und Aromastoffe gehören zu den häufigsten Auslösern eines allergischen Kontaktekzems (1). Inwieweit sie Atemwegserkrankungen verursachen können, ist bislang unklar.

Vorgeschichte
Die zum Zeitpunkt der Begutachtung 47-jährige Versicherte war im Jahre 1975 zunächst einige Monate auf einer Hühnerfarm tätig. Von 1975 bis 1978 arbeitete sie in einer Gaststätte und Bäckerei. Seit 1995 ist sie in einer Gärtnerei beschäftigt, wo sie als Verkäuferin für Außenpflanzen in einer großen, gut belüfteten und unbeheizten Halle arbeitet. Dort verkauft sie Bäume, Sträucher sowie Beet- und Balkonpflanzen.

Nach Angaben der Versicherten bestehe seit ca. 2000 generalisiertes Hautjucken nach dem Duschen mit Quaddelbildungen im Gesicht und an der Schulter. Weiterhin leide sie unter Kopfschmerzen, Schmerzen in der Kieferhöhle, Ohren- und Halsjucken, Zungenschwellung, brennende Lippen, trockene Nase, Nasenjucken, Augentränen sowie Atembeschwerden. Die Beschwerden werden hervorgerufen durch Einwirkung von Duftstoffen, Parfüms, Gesichtscremes, Deos, Waschpulver und vielen anderen Produkten, die stark riechen. Insbesondere süßlicher Geruch werde als unangenehm empfunden und führe zu trockenen Nasenschleimhäuten, Augentränen und Kurzatmigkeit. Die Atembeschwerden sind nicht saisonal betont. Gelegentlich werden b-Sympathikomimetika eingenommen. Eine Medikamenten- oder Nahrungsmittelallergie wird verneint.

Bis auf eine chronische Lumbago (Schmerzen im Lendenwirbelbereich) bestanden keine wesentlichen weiteren Krankheiten. Die Versicherte gibt einen Nikotinkonsum von etwa zwei Zigaretten pro Tag an. Sie führte weiterhin aus, dass der Vater an Asthma verstorben sei und in der Verwandtschaft von neun Geschwistern zwei Brüder und zwei Schwestern, weiterhin eine Nichte und eine Großnichte unter Pollenasthma leiden.

Der Hausarzt berichtete, dass sich die Versicherte erstmals 1998 wegen einer bronchitischen Infektion der unteren Luftwege vorstellte, danach kam es gelegentlich zu weiteren leichteren Infekten der unteren Luftwege. 2004 trat ausgeprägte Kurzatmigkeit auf, so dass eine pneumologische Mitbehandlung wegen asthmoider Zustände während der Tätigkeit in der Gärtnerei notwendig wurde. Der Hautarzt erstattet 2004 schließlich eine ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit, in der ein Asthma allergicum angezeigt wurde. Es wurden zu diesem Zeitpunkt positive RAST-Klassen auf Eibe, Lebensbaum, Primel, Hyazinthe, Hausstaubmilben und Blumenmischungen bei einem Gesamt-IgE von 362 U/mL beschrieben. Im Rahmen eines vierwöchigen Urlaubs kam es zur Rückläufigkeit der Beschwerden.

Untersuchungen am BGFA
In dem Gutachten sollte zu der Frage Stellung genommen werden, ob eine Berufskrankheit nach Nr. 4301 der Berufskrankheitenverordnung vorliegt.
Pricktests wurden an der Volarseite beider Unterarme mit den häufigsten Umweltallergenen, Kräutern und Blumen (verschiedene Hersteller), kommerziellen Epikutantestsubstanzen (nur die Substanzen, die bei der Sofortablesung des Epikutantests eine Reaktion zeigten; HAL, Düsseldorf und HERMAL, Reinbek) und mit von HERMAL zur Verfügung gestellten Einzelsubstanzen des Duftstoff-Mix (Eugenol, Eichenmoos absolue, Isoeugenol, Alpha-Amylzimtaldehyd, Geraniol, Zimtaldehyd FCC, Hydroxycitronellal und Zimtalkohol) durchgeführt. Für ausgewählte Substanzen (Perubalsam, Duftstoff-Mix, Methylisothiazolon, Salicylaldehyd, Benzaldehyd, Benzoesäure, Sorbinsäure, Zimtaldehyd und Zimtalkohol) führten wir eine Zeitkinetik mit Ablesung nach 10, 20, 30, 60, 120, 180 und 240 Minuten durch.

Epikutantests wurden mit der Europäischen Standardreihe, der Duftstoffreihe, den Salbengrundlagen und Emulgatoren (HAL), Duftstoff-Mix (HERMAL), Einzelsubstanzen des Duftstoff-Mix (HAL) und mit von HERMAL zur Verfügung gestellten Einzelsubstanzen des Duftstoff-Mix (s. o.) am Rücken durchgeführt. Die Ablesungen erfolgten für die Europäische Standardreihe, die Duftstoffreihe sowie die Salbengrundlagen und Emulgatoren nach 30 Minuten, 24, 48 und 72 Stunden. Wie beim Pricktest führten wir eine Zeitkinetik für ausgewählte Substanzen auch im Epikutantest durch (s.o.).

Die Lungenfunktionsprüfung wurde mit dem Masterlab der Fa. Viasys Healthcare, Höchberg, durchgeführt. Methacholin wurde mittels Provotest II der Fa. Pari, Starnberg, vernebelt. Die Messung der Lungenfunktion im Rahmen des Methacholin-Tests erfolgte sowohl bodyplethysmographisch als auch spirometrisch. Das Hyperreaktivitätskriterium war eine PD20FEV1 < 0,46 mg inhaliertes Methacholin.

Der inhalative Provokationstest mit Zimtaldehyd (Fa. HERMAL) erfolgte mit einem APSpro-Vernebler der Fa. Viasys Healthcare (kumulierte Dosis 0,4 µg bis 36 mg Zimtaldehyd in Ethanol 70%), wobei als Negativkontrolle das Lösungsmittel verwendet wurde. Die Selbsteinschätzung der Versicherten bezüglich der Empfindlichkeit gegenüber Umweltreizen wurde mit einem Fragebogen ermittelt, der die Reaktion auf insgesamt 67 Umweltreize abfragt, die auf einer abgestuften Skala von "gar nicht zutreffend" (=0) bis "sehr zutreffend" (=5) bewertet werden. Der Fragebogen zu Geruchswirkungen erfasst die Reaktion auf zehn Umweltgerüche, die auf einer abgestuften Skala erfragen, ob der Versicherten durch diese Gerüche übel wird ("fast nie" = 1 bis "beinahe immer" = 5). Die Riechtestung erfolgte mit Sniffing Sticks durch die drei Module "Schwellentest für n-Butanol", "Diskriminationstest" und "Identifikationstest" (2).

Ergebnisse
Die körperliche Untersuchung der Versicherten zeigte keine Auffälligkeiten. Im Labor wurde eine leicht erhöhte GPT (38 U/l), im Blutbild eine Leukozytose (11,6/nl), im Differenzialblutbild eine absolute (0,58/nl) und relative Eosinophilie (5%) festgestellt. Das Gesamt-IgE war auf 301 kU/L erhöht. Im Serum konnten keine spezifischen IgE-Antikörper (CAP-Klasse) gegenüber Gräser, Bäumen, Schimmelpilzen und Hausstaubmilben nachgewiesen werden. Im Methacholintest zeigte sich ein Anstieg des spezifischen Atemwegswiderstandes ohne signifikanten Abfall der Einsekundenkapazität (FEV1) und somit keine eindeutige bronchiale Hyperreaktivität.
Im Epikutantest wurde eine positive Sofortreaktion (Testablesung nach 30 Minuten) gegenüber Perubalsam, (Chlor-) Methylisothiazolon, Salicylaldehyd, Benzaldehyd und gegenüber Duftstoff-Mix (HAL und HERMAL) bzw. eine Spätreaktion nach 24, 48 und 72 Stunden gegenüber Dibromdicyanobutan/Phenoxyethanol festgestellt. Im Epikutantest mit Einzelstoffen des Duftstoff-Mixes ergab sich sowohl mit den kommerziellen Substanzen von HAL als auch mit den von HERMAL zur Verfügung gestellten Substanzen ausschließlich eine Sofortreaktion gegenüber Zimtaldehyd. In der Zeitkinetik des Epikutantests zeigten sich positive Reaktionen mit Benzoesäure und Zimtaldehyd mit einem Zeitverlauf wie in Abb. 2 dargestellt. Diskrete Reaktionen zeigten sich zu variablen Zeiten auch mit Perubalsam, Duftstoffmix, Salicylaldehyd, Benzaldehyd und Sorbinsäure. Die Form entsprach dabei einem Erythem mit zentraler "Quaddel" im Hautniveau.



Die Pricktestung mit den häufigsten Umweltallergenen, Kräutern und Blumen sowie den getesteten Substanzen der Standardreihe und der Duftstoffreihe war negativ. Mit den Einzelsubstanzen des Duftstoff-Mix zeigte sich eine Reaktion bei Zimtalkohol und Zimtaldehyd. Die Zeitkinetik zeigte etwa identische Reaktionen wie im Epikutantest bei Benzoesäure und Zimtaldehyd, wobei die diskreten Reaktionen gegenüber weiteren getesteten Substanzen (s.o.) weniger häufig als im Epikutantest zu beobachten waren.

Der inhalative Provokationstest mit Zimtaldehyd (kumulierte Dosis 0,4 µg bis 36 mg Zimtaldehyd in Ethanol 70%) führte zu Husten und Würgereiz ohne bronchiale Obstruktion. Das für die inhalative Provokation genutzte Lösungsmittel Ethanol (Negativkontrolle) führte zu keiner bronchialen Reaktion (3).

Die durch Fragebögen erfasste selbstberichtete Sensitivität auf allgemeine Umweltreize und auf Gerüche war extrem gesteigert, die mit Sniffing Sticks getestete Riechleistung zeigte eine etwas erniedrigte Geruchsschwelle für n-Butanol, während die Geruchsidentifikation und -diskrimination unauffällig waren.

Diskussion
Die Versicherte ist seit 1995 als Verkäuferin in einer Gärtnerei tätig. Sie verkauft insbesondere Bäume, Sträucher sowie Balkon- und Beetpflanzen. Sie klagt seit ca. vier bis fünf Jahren über eine komplexe Symptomatik mit Hautjucken, Quaddelbildung, Kopfschmerzen, Kieferhöhlenbeschwerden, Parästhesien im Ohren-, Hals- und Lippenbereich und Zungenschwellungen. Die Nasenschleimhäute sind trocken, sie habe Augentränen und Atembeschwerden, insbesondere nach Einwirkung von süßlichen Duftstoffen. Ein eindeutiger Arbeitsbezug zeigte sich nicht, die Versicherte berichtete jedoch über Duftstoffe, die bei der Arbeit aus Pflanzen emittiert werden. Es konnte keine eindeutige bronchiale Hyperreaktivität festgestellt werden, so dass eine obstruktive Atemwegserkrankung trotz der anamnestischen Angaben, die auf eine solche schließen lassen, nicht zweifelsfrei bestätigt werden konnte. Im Methacholintest war ein signifikanter Anstieg des spezifischen Atemwegswiderstandes ohne signifikanten Abfall der Einsekundenkapazität auffällig. Trotz eines erhöhten Gesamt-IgE gelang es nicht, im RAST oder in der Pricktestung eine Sensibilisierung gegenüber Gräsern/Frühblühern, Bäumen, Schimmelpilzen und Hausstaubmilben darzustellen. Die Kontaktsensibilisierung gegenüber Dibromdicyanobutan/Phenoxyethanol zeigte keine erkennbare berufliche Ursache. Weiterhin imponierten im Epikutantest Soforttypreaktionen gegenüber verschiedenen Substanzen, u. a. Duftstoff-Mix, so dass eine weitere Abklärung durchgeführt wurde. Zu den am häufigsten hautsensibilisierenden Komponenten des Duftstoff-Mixes werden in der Literatur die Kontaktallergene Zimtalkohol und Zimtaldehyd gezählt (4). In der Epikutantestung konnten wir multiple Sofortreaktionen insbesondere gegenüber Duftstoff-Mix, Zimtaldehyd und Benzoesäure darstellen. Die Reaktionen der Versicherten gegenüber Duftstoff-Mix waren in der Epikutan- bzw. Pricktestung different. Die Nativsubstanz Zimtaldehyd zeigte in beiden Testungen eine positive Reaktion, wobei die Quaddelbildung am ehesten einer toxischen Reaktion im Hautniveau entsprach. Diese sind in der Literatur gehäuft nach lokaler Exposition gegenüber Zimtaldehyd, Benzoesäure und Sorbinsäure sowohl bei Allergikern als auch bei Nichtallergikern beschrieben (5), die klinische Bedeutung dieser Reaktionen ist bislang jedoch wenig verstanden. Zur Abklärung der Atembeschwerden führten wir bei der Versicherten einen inhalativen Provokationstest mit Zimtaldehyd mittels Vernebler durch, da sowohl im Epikutantest in der Sofortablesung als auch im Pricktest eindeutig positive Reaktionen zu erzielen waren und in einer epidemiologischen Studie unter Zimtarbeitern eine hohe Prävalenz von Atemwegssymptomen bestand (6). Bei der Versicherten zeigte sich zwar eine Symptomatik mit Husten und Würgereiz, eine bronchiale Obstruktion konnte jedoch nicht ausgelöst werden. Insgesamt ist somit davon auszugehen, dass die Hautreaktionen am ehesten den in der Literatur beschriebenen Non-Immune-Immediate-Contact-Reactions (NIICR) entsprechen (7). Eine Assoziation zwischen einer Asthmaerkrankung, die zudem nicht eindeutig vorlag, und NIICR konnte nicht dargestellt werden. Diese NIICRs haben für die Atembeschwerden der Versicherten vermutlich keine Bedeutung, zumindest sind sie nicht als Auslöser einer obstruktiven Atemwegserkrankung i. S. einer Berufserkrankung anzusehen. Wir stellten die Diagnosen einer idiopathischen, teils physikalischen Urticaria und Umweltintoleranz (MCS-Syndrom). Zusammengefasst sahen wir im vorliegenden Fall die medizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK 4301 als nicht gegeben. Die Assoziation zwischen Umweltintoleranz und NIICR bleibt in epidemiologischen Studien zu prüfen."

Danksagung
Wir danken der Fa. HERMAL, die uns die Einzelsubstanzen freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.
http://www.ipa.ruhr-uni-bochum.de/publik/info0305/amfall0305.php
Juliane
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Beitragvon kf-forum » Sonntag 24. Oktober 2010, 12:21

Tja so werden MCS-Patienten letztendlich abgestempelt und Rente gibts nicht.
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Beitragvon mirijam » Sonntag 24. Oktober 2010, 14:08

Zitat aus dem ersten Post (s. o.)

"Beurteilung
Die von der Patientin geschilderten Beschwerden sprechen für das Vorliegen einer Multiple Chemical Sensitivity (MCS; heute bevorzugter Begriff: idiopathische Umwelt-Unverträglichkeit, (idiopathic environmental intolerance IEI))."

"Der Krankheitsverlauf mit fortbestehenden Beschwerden nach Beendigung der Exposition gegenüber Pyrethroiden am ehemaligen Arbeitsplatz als Bürogehilfin spricht im Fall unserer Patientin gegen Gesundheitsstörungen durch diese Einwirkungen, da bei einer Pyrethroidvergiftung die Symptome kurz nach Expositionsende wieder abklingen."

Siehe oben.

Frage: Stimmen diese Aussagen?
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