"Die Bedeutung genetischer Mutationen und
ihrer Diagnostik für Prävention und Therapie
multifaktoriell bedingter Krankheiten –
Aktueller Stand und Perspektiven für Public
Health
Gutachten für die Kooperationsgruppe „Public Health
Genetics“ am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung
der Universität Bielefeld
Wolfram Henn
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2.4.2. Lebensstilorientierte Dispositionsfaktoren
Unter Sammelbegriffen wie „Lifestyle“, „Wellness“ und „Anti-Aging“ hat
sich in den vergangenen Jahren ein zum Teil in der Grauzone zum Kommerz
angesiedelter Zweig der Medizin entwickelt, der zunehmend auch genetische
Aspekte einzubeziehen beginnt (Haga et al. 2003)......
In Deutschland wird von einem Unternehmen eine Typisierung des
Glutathion-S-Transferasegens GST-M1 mit, unter anderem, „chronischem
Müdigkeitssyndrom“, „multipler chemischer Sensitivität“ und „Nikotinsucht“
in Verbindung gebracht, ohne dass hierfür nachvollziehbare biologische
Bezüge vom Anbieter beschrieben oder aus der Literatur verfügbar wären
[Immundiagnostik].
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2.4.4. Expositionsbezogene Dispositionsfaktoren
Ein in, auch in kommerzieller Hinsicht, rasanter Entwicklung befindlicher
Zweig der Genetik multifaktorieller Krankheiten sind Varianten in metabo-
lischen oder immunologischen Resistenzfaktoren gegen exogene chemische
Noxen oder infektiöse Agenzien.
Im Vordergrund aktueller diagnostischer Angebote stehen hier mit der
Fremdstoff-Metabolisierung assoziierte Varianten von Cytochrom P450
(CYP1A1/A2), Glutathion-S-Transferase (GST-M1/P1/T1) und N-Acetyl-
Transferase (NAT1/2)......
Tatsächlich können derartige Metabolismusvarianten in klinisch relevanter
Weise die Reaktionen des Organismus auf chemisch definierte Substanzen
beeinflussen, die über die entsprechenden Stoffwechselwege abgebaut werden.
Dies kann speziell für Pharmakotherapien oder toxische Belastungen
am Arbeitsplatz bedeutsam sein, wo sich die Exposition auf einen genau
bekannten Einzelstoff bezieht (siehe 2.5.). Bei den Expositionen, auf
die sich die privaten Anbieter von Gentests auf von ihnen sogenannte
„Entgiftungsenzyme“ beziehen, ist aber genau dies nicht der Fall: Sowohl
Tabakrauch wie auch Verdauungsprodukte stellen Gemische von Hunderten
chemischer Einzelsubstanzen dar, die über verschiedene metabolische
Wege abgebaut werden. Entsprechend kann die Bestimmung eines einzelnen
genetischen Parameters kaum Aufschluss über die individuelle
Verträglichkeit solcher Substanzgemische geben, geschweige denn präventive
Optionen aufzeigen. In dieser Unklarheit konsequent werden diesen
Genvarianten klinisch kaum definierbare Krankheitsbilder wie „chronisches
Müdigkeits-Syndrom“ oder „multiple chemische Sensitivität“ zugeordnet
[Immundiagnostik]."
http://www.loegd.nrw.de/1pdf_dokumente/1_allgemeine-dienste/wissenschaftliche_reihe/wr24-1_genetik-in-ph_grundlagen.pdf