BGFA - Berufsgenossenschaftliches Forschungsinstitut für Arbeitsmedizin Institut der Ruhruniversität Bochum
Syndrom oder Berufskrankheit
Eine Differentialdiagnostische Abgrenzung
Eine Graphik-Designerin klagt seit Jahren über Hustenattacken, Augenrötungen und -Schwellungen beim Umgang mit Chemikalien, wie z.B. den im Beruf verwendeten Stiften. Später kam es dann bei der Wahrnehmung von Parfums oder dergleichen zu Würgereiz, Schwindel und Atemnot. Dies führte schließlich zur Aufgabe der beruflichen Tätigkeit. Sie befindet sich nun am liebsten im Wald, während ein Gang durch eine belebte Innenstadt zur Qual wird. Bei den Untersuchungen fanden sich in der Allergiediagnostik und im Lungenfunktionstest Normalbefunde.
Das Krankheitsbild wurde als hypochondrische Störung mit Umweltphobie in Form eines Multiple oder Low-Level Chemical Sensitivity - Syndroms klassifiziert.
Mittels detaillierter diagnostischer Verfahren, wie sie das BGFA einsetzt, lassen sich unspezifische Syndrome von Berufskrankheiten verläßlich abgrenzen. Als Besonderheit ergab sich:
unspezifische somatische und psychische Symptome werden nicht selten irrtümlich den Berufskrankheiten zugerechnet
durch willkürliche Festsetzung von Normwerten, z.B. des Quecksilberspiegels in Urin und Blut, resultieren Fehldiagnosen
vorliegende Berufskrankheiten werden aufgrund ungeeigneter, nicht validierter und/oder unvollständiger Diagnostik nicht erkannt. Berufskrankheiten werden oft nicht in die Differentialdiagnose einbezogen. Dadurch können erforderliche Präventionsstrategien auch nicht rechtzeitig zum Einsatz gebracht werden.
umfangreiche selbstgeschriebene, wiederholt ergänzte und korrigierte Krankheitsverläufe sind ein Hinweis darauf, dass der Patient sich von der Medizin allein gelassen fühlt, aber einen enormen Leidensdruck verspürt. Immer wieder versucht der Patient seine Situation bei seiner Meinung nach kompetenten Ansprechpartnern auszudrücken. Findet sich keine Möglichkeit zur Aussprache, werden Krankheitsverlauf und Symptome schriftlich fixiert. Diese Darstellungen können als Appell zu mehr Hinwendung zum Patienten verstanden werden. Die Zuwendung zu einer Vielzahl ärztlicher Fachdisziplinen und zu nicht evaluierten Aussenseitermethoden ist in diesem Stadium die Regel.
Eine Systematik in der Diagnostik und Therapie bei Vorliegen umweltbedingter, psychosomatischer oder psychischer Erkrankungen muß erarbeitet werden. Außenseitermethoden sollten erst nach Evaluierung und wissenschaftlicher Bestätigung ihrer Wirksamkeit in Diagnostik und Therapie integriert werden. Berufskrankheiten müssen auch vom Allgemeinarzt stärker als Differentialdiagnose berücksichtigt werden. Auf ihre Definition und Diagnostik in Zusammenarbeit mit dem Betriebsarzt und Arbeitsmediziner sollte im hausärztlichen Bereich stärker hingewiesen werden.