von Dundee » Dienstag 27. September 2005, 14:53
Im "Deutschen Ärzteblatt" veröffentlichte Dr. Hanns Rüdiger Röttgers vom Amt für Gesundheit und Umweltmedizin in Verden an der Aller den Artikel "Psychisch Kranke in der Umweltmedizin". Dem Autor reichen ganze zwei Literaturstellen aus, um die Krankheit MCS anzuzweifeln. Er spricht von "unerklärlichen Phänomen und versucht zu beweisen, dass bei Umwelt-Patienten psychoreaktive Entstehungsmechanismen vorliegen. Die ZfU hat Reaktionen von Umweltmedizinern, Toxikologen und Betroffenen eingefangen.
Unerklärliche Phänomene
"Viele Patienten klagen über Störungen, die sie schädlichen Umwelteinflüssen zuschreiben, ohne dass auch bei sorgfältiger Untersuchung eine Belastung durch Noxen oder Allergene nachweisbar wäre. Die Beschwerden und psychischen Befunde dieser Patienten entsprechen häufig denen hypochondrischer und konversionsneurotischer Erkrankungen (…)." So fasst Dr. Hanns-Rüdiger Röttgers seine Ausführungen über umweltkranke Patienten zusammen.
Röttgers hat seinen Artikel geschickt aufgebaut. Sein Ausgangspunkt ist, dass das Gros der Patienten in umweltmedizinischen Beratungsstellen keine "toxikologisch fassbaren Einflüsse" aufweise. Daher versucht Röttgers einen "psychoreaktiven Entstehungsmechanismus" für die uncharakteristischen Beschwerden bei dieser Patientengruppe nachzuweisen.
Reale Umweltbelastungen oder "die vermeintliche chronische Amalgamvergiftung durch Zahnfüllungen" erleben die Patienten nach Röttgers Meinung "als Bedrohungen, wie sie für den vormodernen Menschen unerklärliche Phänomene, Geister und Naturgewalten waren". Dies führe dann sehr schnell zu Phobien oder einer Wahnentwicklung im Sinne einer Paranoia, was Röttgers mit einer Kasuistik zu belegen versucht.
Und weil nun also "hypochondrische und angstneurotische Entwicklungen" häufig der Hintergrund der Beschwerden sind, stellt Röttgers "die postulierte Krankheit MCS begründet in Frage". Als Beleg zitiert er dazu ganze zwei Literaturstellen aus den Jahren 1990 und 1992.
Dabei lässt er unberücksichtigt, dass die psychischen Auffälligkeiten von Betroffenen möglicherweise eine Folge auf ihr MCS-Leiden und die erfahrene Diskriminierung sind. Kein Wort verliert Röttgers zu den gängigen Definitionen der MCS, wonach die Erkrankung schon bei Dosierungen erworben wird, die weit unterhalb derjenigen liegen, die bei der Allgemeinbevölkerung Gesundheitsstörungen verursachen. Auch neuere Erklärungsansätze wie das TILT (Toxicant Induced Loss of Tolerance)-Modell von Nicholas Ashford nimmt der Autor nicht zur Kenntnis.
Dafür greift er den im Deutschen Ärzteblatt gepflegten "Nozebo-Effekt" auf, wonach aus einer Erwartungshaltung heraus nach Umwelteinflüssen ohne kausalen Zusammenhang Verhaltensänderungen auftreten. Das Chronic Fatigue Syndrom (CFS) steckt er bei dieser Gelegenheit gleich mit in die MCS-Schublade.
Die behandelnden Ärzte machen seiner Ansicht zwei Fehler: Entweder suchen sie nach verifizierbaren Schadstoffexpositionen oder sie übernehmen das Krankheitsmodell des Patienten. im ersten Fall können bei fehlendem positiven Nachweis dem Patienten kein angemessenes Hilfangebot unterbreitet, im zweiten Fall kommt es zu "unüberlegten Krankheitsbegriffen wie der ... Muliple Chemical Sensitivity".
Als Ausweg bleibe daher nur, die Bedingungen der Erkrankung, ihre Psychodynamik und die aufrechterhaltenden Faktoren zu erkennen. Dies erlaube dem Patienten "einen ,geordneten Rückzug' vom Symptom … und eine angemessene psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung zu beginnen".
Alles nur Behauptungen
Für das anhaltende Gerede zum Nocebo-Effekt als Ursache für Umwelterkrankungen hat Dr. Röttgers keine objektiven Beweise in der Hand - alles nur Behauptungen! Leider saugen sich die Gutachter das Gerede vom Nocebo-Effekt im Deutschen Ärzteblatt hinein und verinnerlichen dies.
Maria und Bruno Hennek, Selbsthilfegruppe Chemikalien- und Holzschutzmittelgeschädigte, Rudolf-Clausius-Str. 1, 97080 Würzburg.
Audruck einer Luxusmedizin
Wo führt es hin, wenn ich jeden psychotherapiere? Es ist doch zu fragen, ob die Therapie in einem vertretbaren Zeitraum zu einem vertretbaren Ergebnis führt. Was hier gefordert wid, ist Ausdruck einer Luxusmedizin. Der Nutzen für die Allgemeinheit bleibt auf der Strecke: 100 Leute müssen bezahlen, damit einer seine Seele gepflegt bekommt.
Außerdem droht die Umweltmedizin zur Rechtsprechungsmedizin zu werden. Viele Umweltschäden laufen hinaus, einen Rechtsanspruch geltend zu machen - gegen wen oder was auch immer.
Dr. Roland Riedl-Seifert, Facharzt für Kinderheilkunde, Jugendmedizin, Allergologie und Umweltmedizin, Kurt-Schumacher-Str. 11, 34117 Kassel.
Psychiater sicherlich eher am Ende benötigt
Natürlich erscheint es zunächst kostengünstig und einfach zu sein, Beschwerdebilder, die durch Umwelteinflüsse verursacht sein könnten, bestimmen psychiatrische Krnkheitsbildern zuzuordnen. Diese psychiatrische Einordnung eines Krankheitsbildes ist aber nur dann zulässig, wenn alle in Frage kommenden möglichen schädigenden Umwellteinflüsse untersucht worden sind. Der Psychiater wird aber sicherlich nicht am Anfang, sondern eher am Ende einer umweltbedingten Erkrankung benötigt.
Röttgers Forderung nach einer angemessenen berücksichtigung psychiatrischer Probleme in den umweltmedizinischen Curricula steht im Gegensatz zum "Aktionsprogramm Umwelt und Gesundheit" von Bundesumwelt- und Bundesgesundheitsministerium von 1999. Dieses hält fest, dass in der Qualitätssicherung und der Evaluation umweltmedizinischer Erkrankungen bei den angewandten diagnostischen und therapeutishen Verfahren Defizite bestehen.
Prof. Hans Schweinsfurth, Carl-Thiem-Klinikum Cottbus, Schriftleiter der ZfU, Thiemestr. 111, 03048 Cottbus.
Inkompetenz und Ignoranz
Die Kenntnis über die Wirkung kleiner Mengen nach jahrelanger Einwirkung nimmt zu. Offensichtlich sind aber viele Mediziner nur bereit etwas als Phänomen wahrzunehmen und eine Kausalität zu akzeptieren, wenn es eine mechanistische Erklärung auf dem Boden unseres naturwissenschaftlichen Weltbildes gibt.
Bei Gesundheitsstörungen, die möglicherweise umweltbedingt oder komplexer Natur sind, stecken sie in einem Dilemma, das sie aber nicht realisieren. Hinzu kommt möglicherweise noch Inkompetenz und Ignoranz durch mangelnde Erfahrung im Umgang mit toxischen Stoffen und deren gesundheitlichen Auswirkungen.
Dr. Michael P. Jaumann, HNO-Arzt, Umweltmedizin, Vorstandsmitglied im dbu, Marktstr. 25, 73033 Göttingen.
"Wir empfehlen die Literatur"
Nach unseren Erfahrungen müssen die umweltbedingt kranken Patienten zunächst eine "Odyssee durch die gesamte Schulmedizin" durchlaufen, bevor - manchmal eher zufällig - eine umweltbedingte Ursache überhaupt in Betracht gezogen wird. Häufig führt dann die Beseitung der Noxen mit einer Häufigkeit bis zu 80 Prozent zu einer spontanen Besserung der Beschwerden oder sogar zu einer vollständigen, langanhaltenden Restitution der früheren Gesundheit.
Wir empfehlen hierzu die Wahrnehmung der reichlic vorhandenen Literatur aus den fachlich qualifizierten umweltmedizinischen Bereichen, an der auch wir nicht unwesentlcih beteiligt sind. Eine umfangreiche Literaturliste bieten wir gerne an.
PD Carsten Alsen-Hinrichs, Dr. Anke Bauer, Prof. Otmar Wassermann, Institut für Toxikologie, Universität Kile, Brunswiker Str. 10, 24105 Kiel.
Dt Ärztebl 97,13 (2000) A-835–840
Dr. Hanns Rüdiger Röttgers vom Amt für Gesundheit und Umweltmedizin in Verden an der Aller, war zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Artikels im Urlaub und daher für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
Summary: This article reflects a publication in the journal "Deutsches Ärzteblatt", which needs only two references in order to doubt, whether MCS is a desease. There is no word that mental disorders of environmental ill patients could also be an effect of their illness.