„Körperbeschwerden ohne Befund – eingebildete Krankheit oder echtes Leiden?“
Professor Dr. med. Peter Henningsen, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische
Medizin und Psychotherapie, Klinikum rechts der Isar der TU München, Pressesprecher des
Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM)
Anhaltende und beeinträchtigende Körperbeschwerden, die nicht durch organische Untersuchungsbefunde
erklärt werden können, machen in der hausärztlichen Versorgung bis zu 30 Prozent aller
Patienten aus, auch in der fachärztlichen Versorgung sind sie sehr häufig. Es geht dabei um
Schmerzen unterschiedlicher Lokalisation, Funktionsstörungen wie Schwindel, Verdauungsbeschwerden
und so weiter und um erschöpfungsbezogene Beschwerden. Die betreffenden Patienten
haben nur geringe Lebensqualität, gleichzeitig verursachen sie hohe Kosten im Gesundheitssystem
durch zahlreiche fehlindizierte somatische Diagnostik und Therapie.
In den letzten Jahren sind effiziente psychosomatische Therapieansätze dieser wichtigen Beschwerdeart,
die auch als somatoforme oder funktionelle Körperstörungen bezeichnet werden, entwickelt
worden (Henningsen et al. 2007). Eine ganz neue Studie konnte zeigen, dass mit einer nur zwölfstündigen
psychosomatischen Intervention („PISO-Therapie“) auch solchen Patienten geholfen
werden kann, die bereits chronifiziert an multiplen funktionellen Körperbeschwerden leiden
(Henningsen et al., eingereicht).
Es werden 2011 wichtige Leitlinien zur Diagnostik und Therapie dieser Störungsgruppe veröffentlicht
(siehe auch http://www.funktionell.net). Erstmals werden dabei unterschiedliche Fachgesellschaften der
somatischen Medizin (Internisten, Orthopäden, Neurologen et cetera) zusammen mit Fachgesellschaften
der psychosomatischen Medizin, der Psychiatrie und der klinischen Psychologie solche
Leitlinien festlegen, was angesichts der Zersplitterung der Versorgung dieser Patienten, die zum
Beispiel beim Orthopäden derzeit in der Regel ganz anders behandelt werden als beim
Psychotherapeuten, einen ganz wichtigen Fortschritt bedeutet.
Auch europaweit wird aktuell daran gearbeitet, das Bewusstsein von Ärzten, aber auch von
Gesundheitsplanern und Ökonomen für die hohe Bedeutung dieser Patientengruppe und für die
Notwendigkeit ihrer besseren Versorgung zu erhöhen. Unter der Schirmherrschaft der European
Association of Consultation-Liaison Psychiatry and Psychosomatics ist hierzu derzeit ein Buch bei
Cambridge University Press im Druck, das die derzeitigen Versorgungsprobleme analysiert und
konkrete Vorschläge zur Verbesserung, zum Beispiel durch engere Verschränkung von somatischer
und psychosozialer Medizin, macht (Creed et al. 2011).
http://www.medizinkongress.com/dkpm2011/presse/Pressemappe_Deutscher_Kongress_fuer_Psychsomatische_Medizin_2011_digital.pdf