MCS, CFS Reha Leitlinien

LEITLINIEN ZUR REHABILITATIONSBEDÜRFTIGKEIT BEI PSYCHISCHEN STÖRUNGEN
- für den Beratungsärztlichen Dienst der Deutschen Rentenversicherung Bund
Berlin, 16. März 2005 (2. Fassung)/1.10.2005
(Auszug)
6 Beschwerdebilder, die mit psychischen Symptomen einhergehen können
6.1 Chronic Fatigue-Syndrom, Umweltbezogene Körperbeschwerden
Die unter den Begriffen Chronic Fatigue-Syndrom (CFS) bzw. Umweltbezogene
Körperbeschwerden wie z. B. Multiple Chemical Sensitivity-Syndrom (MCS), Idiopathic
Environmental Intolerances (IEI) oder Sick Building Syndrom (SBS)
zusammengefassten Beschwerdebilder haben wegen der problematischen
Vermengung von symptomatischer Ebene, Syndrom-Ebene und nosologischer Zuordnung
bislang keinen Eingang in die international gängigen Klassifikationssysteme
gefunden. Auch die ICD-10 geht bei CFS bzw. MCS/IEI/SBS wegen der fehlenden
wissenschaftlichen Evidenz nicht von eigenständigen Krankheitsentitäten aus, zumal
toxikologisch und immunologisch keine die Symptomatik erklärenden Befunde
vorliegen.
Beim Chronic Fatigue-Syndrom, dessen klinisches Bild sich in vielen Bereichen mit
dem der Multiple Chemical Sensitivity überschneidet, wird in der Fachliteratur auf die
Ähnlichkeit mit dem unter Neurasthenie operationalisierten Krankheitsbild (F48.0)
verwiesen (siehe Kapitel 5.1.7). Für das Chronic Fatigue-Syndrom wurden Kriterien
entwickelt, die zur Diagnosestellung herangezogen werden können:
1. Klinisch gesicherte, unerklärbare, persistierende oder rezidivierende
Erschöpfung, welche
• neu oder zeitlich bestimmbar eingetreten ist,
• nicht Folge einer anhaltenden Überlastung ist,
• sich nicht wesentlich durch Ruhe bessert und
• zu einer deutlichen Reduktion des früheren Niveaus der Aktivitäten
in Ausbildung/Beruf sowie im sozialen oder persönlichen
Bereich führt;
Rehabilitationsbedürftigkeit – Psychische Störungen
58
2. Vorhandensein von vier oder mehr der folgenden Symptome, die alle für
mindestens sechs aufeinanderfolgende Monate persistierend oder
rezidivierend nebeneinander bestanden haben müssen und der Erschöpfung
nicht vorausgegangen sein dürfen:
• selbstberichtete Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses
oder der Konzentration, die schwer genug sind, eine deutliche
Reduktion des früheren Aktivitätsniveaus in Ausbildung/Beruf
sowie im sozialen oder persönlichen Bereich zu verursachen
• Halsschmerzen
• druckempfindliche Hals- und Achsellymphknoten
• Muskelschmerzen
• Kopfschmerzen
• Schmerzen mehrerer Gelenke ohne Schwellung und Rötung
• Kopfschmerzen eines neuen Typs, Musters oder Schweregrades
• keine Erholung im Schlaf
• Zustandsverschlechterung für mehr als 24 Stunden nach Anstrengungen.
Jede aktive medizinische Störung, die eine chronische Erschöpfung erklären könnte
wie z. B. Hypothyreose, Schlafapnoe, Narkolepsie, Medikamentennebenwirkungen,
fortgeschrittene HIV-Infektion, Malignom, nicht ausgeheilte Hepatitis muss ausgeschlossen
sein. Gleiches gilt für jede frühere oder aktuelle Diagnose einer
Depression mit psychotischen oder melancholischen Anteilen, Zyklothymie, Schizophrenie
und anderen paranoiden Störungen, Demenz, Essstörungen, Alkohol- oder
Drogenmissbrauch in den letzten beiden Jahren vor Beginn der chronischen
Erschöpfung und zu jedem Zeitpunkt danach sowie Adipositas per magna mit einem
BMI von 45 und mehr.
In der wissenschaftlich anerkannten Fachliteratur herrscht Einigkeit darüber, dass
sowohl CFS- als auch MCS-/IEI-/SBS-Betroffene überdurchschnittlich häufig
psychische Beeinträchtigungen wie Ängstlichkeit, Depressivität und diffuse,
unterschiedlich ausgeprägte Körpersensationen aufweisen. Eine psychische
Ätiologie sowohl bei CFS als auch bei MCS/IEI/SBS erscheint in vielen Fällen wahrscheinlich.
Zumindest lassen die bisherigen klinischen Erfahrungen in universitären
Fachambulanzen und stationären Fachabteilungen eine hohe psychische Komorbidität
bei dieser Patientengruppe als gesichert erscheinen.
Verschiedene Autoren stellen zudem fest, dass unter MCS/IEI klinische
Fehldiagnosen subsumiert werden, das heißt, dass bei einem Teil der Betroffenen
Frühformen psychischer Erkrankungen vorliegen. Insofern sind primär Erkrankungen
wie Angststörungen (F40-41), affektive Störungen (F32-34) und wahnhafte
Störungen (F20-25) differenzialdiagnostisch zu erwägen.
Als kulturgebundenes Erklärungsmodell wird weiterhin ein ”belief system” diskutiert,
mit dessen Hilfe unspezifische Körperbeschwerden individuell interpretiert werden
und das von Medien, Heilpraktikern, Ärzten und verschiedenen Institutionen etabliert
und unterstützt wird.
Rehabilitationsbedürftigkeit – Psychische Störungen
59
Von einer neuronalen Chemie-Hypothese ausgehend, werden bei den
umweltbezogenen Körperstörungen u. a. eine biologische Konditionierung bei der
Exposition gegenüber Gerüchen und Atemwegsirritantien sowie immunologischallergische
Mechanismen diskutiert. Die zugrunde liegende Überempfindlichkeit
könnte durch verschiedene Ursachen wie z. B. psychosozialen Stress hervorgerufen
werden. Allerdings lässt sich die häufig eintretende Chronifizierung und
Generalisierung nicht mit einem ausschließlich toxikologisch-allergologischen Ansatz
erklären.
Klinische, umweltmedizinische und laborchemische Untersuchungen erbringen in der
Regel auch keinen Nachweis einer Exposition, eines Kausalzusammenhangs
zwischen Exposition und Ausmaß der Beschwerden und/oder von organisch
begründbaren Erkrankungen, die die Beschwerden ausreichend erklären könnten. In
dieser Hinsicht und auch anhand des Bedürfnisses des Patienten, sich zur Abklärung
der Beschwerden wiederholt an Ärzte, Umweltambulanzen oder andere Behandler zu
wenden, bestehen Ähnlichkeiten zu den somatoformen Störungen (F45).
Psychopathologische Merkmale
Konzentrations- und Gedächtnisstörungen werden oft geklagt, die Stimmung kann
herabgesetzt sein. Die psychischen oder neuropsychologischen Symptome werden
von den Betroffenen trotz ausgeprägten Krankheitsgefühls jedoch nicht als eigenständige
psychische Problematik, sondern als Folge einer vermuteten neurotoxischen
oder anderen organischen Veränderung durch Umweltexposition
angesehen. Das Denken kann auf die organische Ursachenattribution eingeengt
sein. Ängste sind nicht selten.
Auswirkungen auf Aktivitäten und Teilhabe
Durch die Ängste hinsichtlich des weiteren Beschwerdeverlaufs und das daraus
resultierende Vermeidungsverhalten bis hin zum sozialen Rückzug kann die Teilhabe
am Berufs- und familiären Leben z. T. erheblich beeinträchtigt sein.
Prognose und Verlauf
Die Prognoseabschätzung darüber, ob eventuell bestehende Leistungseinbußen der
Versicherten als irreversibel bzw. chronisch anzusehen sind, kann nur im Einzelfall
und nicht allein auf der Grundlage einer umstrittenen diagnostischen Kategorie vorgenommen
werden.
Behandlungsmöglichkeiten
Eine gelegentliche kurzfristige Vermeidung der vermeintlich schädigenden Umwelteinflüsse
im Sinne der Angstminderung und Beziehungsstabilisierung kann im Einzelfall
sinnvoll sein. Die Forderung nach einer grundsätzlichen Vermeidung von
(hypothetischen) Trigger-Substanzen im Berufsleben (Nocebo) als mögliche neurotoxische
Einwirkung ist wissenschaftlich jedoch nicht begründbar. Die sogenannte
„Ausleitung“ von Quecksilber, das Vermeiden von Nahrungsmitteln und chemischen
Stoffen, der Umbau des Hauses oder ein Umzug sind mit erheblichen psychischen,
sozialen und finanziellen Folgen verbunden, bei nicht nachgewiesener Wirksamkeit
dieser Maßnahmen.
Mittel- und langfristig ist dem Patienten eine Re-Exposition i. S. einer behavioralen
Therapie zur Auseinandersetzung mit den scheinbar schädigenden Agenzien
(stufenweise Desensibilisierung bzw. Expositionstherapie) zu raten. Bei entsprechenRehabilitationsbedürftigkeit
– Psychische Störungen
60
dem Schweregrad ist ein stationärer Psychotherapieversuch indiziert. Allerdings
stößt dessen Realisierung wegen des Umweltvermeidungsverhaltens und
mangelnder Akzeptanz durch die Betroffenen häufig auf Probleme.
Sozialmedizinische Bewertung
Aufgrund der Chronizität und der Ausprägung der psychosozialen Beeinträchtigungen
kann Rehabilitationsbedürftigkeit abgeleitet werden. Hinsichtlich der medizinischen
Rehabilitation in psychosomatisch/psychotherapeutischen Facheinrichtungen
ist anzumerken, dass die differenzielle Zuweisung von Versicherten zu
diesen Leistungen auf der Grundlage eines ganzheitlichen Krankheitsverständnisses
erfolgt und die hier angebotene Behandlung dem gegenwärtig anerkannten Wissensstand
entspricht. Unter verhaltensanalytischen Aspekten kommt insbesondere
der Überwindung von Verstärkungs- und Vermeidungsreaktionen eine Bedeutung zu,
wenn die Patienten lernen sollen, soziale Fertigkeiten zu trainieren und die Änderung
kognitiver Erwartungen und dysfunktionaler ”belief systems” einzuüben.
Dennoch wird sich bei einem Teil der Betroffenen auch nach Ausschöpfung aller
rehabilitativen Bemühungen eine Berentung wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
nicht vermeiden lassen. Dies kann aus sozialmedizinischer Sicht allerdings nur auf
der Grundlage einer umfassenden Gesamtbeurteilung der qualitativen und
quantitativen Leistungsfähigkeit erfolgen, in die die verschiedenen Gesichtspunkte
einschließlich der tatsächlich ermittelbaren Fähigkeitsstörungen Eingang finden
müssen.
…
6.3 Fibromyalgie
Bei der Fibromyalgie (M79.0) handelt es sich um eine Erkrankung, die durch über
mindestens drei Monate andauernde Schmerzempfindungen an Muskeln und
Sehnen in mindestens drei Körperregionen und Druckschmerzen an mindestens elf
von 18 Punkten (sog. tender points) gekennzeichnet ist. Unspezifische Symptome
wie Müdigkeit, Schlafstörungen und depressive Verstimmungen können hinzutreten.
Überwiegend sind Frauen mittleren Alters betroffen. Die Ursache der Störung ist
unklar, klinische und paraklinische Kriterien für das Vorliegen einer rheumatischen
oder sonstigen organischen Erkrankung sind in der Regel nicht vorhanden. Bei der
sekundären Fibromyalgie finden sich in der Anamnese ein akutes Schmerzereignis
Rehabilitationsbedürftigkeit – Psychische Störungen
63
(z. B. Trauma, Bandscheibenvorfall) oder eine andere, mit Schmerzen verbundene
Erkrankung (z. B. rheumatoide Arthritis) als Auslöser der Störung. Diskutiert wird in
allen Fällen eine zentralnervöse Schmerzverarbeitungsstörung auf neurobiologischer
und lerntheoretischer Basis; die Unterscheidung von einer somatoformen Schmerzstörung
ist häufig nicht möglich. Differenzialdiagnostisch müssen sowohl organische
Erkrankungen als auch psychische Störungen mit Schmerzsymptomatik gegenüber
der Fibromyalgie abgegrenzt werden.
Psychopathologische Merkmale
Die ausgeprägten Schmerzempfindungen prägen das Krankheitsbild, darüber hinaus
können Schlafstörungen mit Tagesmüdigkeit und rascher Erschöpfbarkeit,
Stressintoleranz, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Rückzugs- und
Schonungsverhalten sowie Ängstlichkeit und depressive Symptome hinzutreten.
Häufig werden vielfältige körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen,
Verdauungsstörungen, Herzrasen, Kälteempfindlichkeit und orthostatische Beschwerden
geklagt.
Auswirkungen auf Aktivitäten und Teilhabe
Die Beeinträchtigung der persönlichen Aktivitäten Fibromyalgie-Betroffener und der
Teilhabe am sozialen Leben in den verschiedenen Bereichen kann erheblich sein.
Sie ist einerseits von der Intensität der Schmerzen und der akzessorischen
Symptome abhängig, andererseits sind der Grad der Chronifizierung der
Beschwerden sowie die Einstellung der Betroffenen und ihres Umfeldes zu der Erkrankung
von Bedeutung. Nicht selten resultieren aus der Symptomatik in
Verbindung mit inadäquater, weil oft rein organmedizinisch ausgerichteter
Behandlung und sekundärem Krankheitsgewinn zunehmende persönliche und
soziale Einschränkungen bis hin zu Aufgabe der Erwerbstätigkeit, sozialer Isolation
und Teilnahmslosigkeit oder auch weitgehender Hilfsbedürftigkeit bei
Alltagsverrichtungen.
Prognose und Verlauf
Die Prognose der Fibromyalgie ist bezüglich einer Heilung eher ungünstig. Oft vergehen
mehrere Jahre, bis die Erkrankung in ihrer Komplexität erkannt und einer
multimodalen Behandlung zugeführt wird. Letzteres scheitert jedoch nicht selten an
einem einseitigen Krankheitsverständnis sowohl der Betroffenen als auch vieler
Behandler, welches psychosomatische Wechselwirkungen nicht berücksichtigt. Eine
Chronifizierung der Schmerzsymptomatik ist häufig die Folge, umso wichtiger sind
frühzeitig einsetzende differenzierte Therapiestrategien. Sekundär kann es zur
Entwicklung manifester psychischer Störungen (Depressionen, Angststörungen,
Abhängigkeitserkrankungen), seltener auch körperlicher Beeinträchtigungen
(Inaktivitätsatrophie) kommen. Prognostisch ungünstig wirkt sich eine
Rentenproblematik bei den Betroffenen aus.
Behandlungsmöglichkeiten
Der erste Schritt in der Fibromyalgie-Behandlung ist die Akzeptanz der Realität der
Schmerzempfindung auch ohne Nachweis eines organischen Korrelates. Durch
diese therapeutisch zu vermittelnde Einstellung tritt oft bereits eine Entlastung der
Betroffenen ein, die teilweise unter erheblichem Rechtfertigungsdruck stehen. Die
eigentliche Behandlung umfasst physikalische Maßnahmen einschließlich des Erlernens
einer Ausdauersportart, differenzierte medikamentöse Strategien unter Beachtung
des Risikos einer Abhängigkeitsentwicklung sowie psychologisch-psychotheraRehabilitationsbedürftigkeit
– Psychische Störungen
64
peutische Verfahren unter Einschluss entspannender, körpertherapeutischer und
verhaltenstherapeutischer Aspekte. Die Behandlung kann ambulant oder stationär
erfolgen. Kontraindiziert sind längere Schonung, langdauernde und hochdosierte
Analgetikatherapie ohne Einbettung in ein umfassendes Behandlungskonzept und
ein operatives Vorgehen ohne Vorliegen einer konkreten Indikation.
Sozialmedizinische Bewertung
Insbesondere die Chronifizierungstendenz bei der Fibromyalgie stellt ein erhebliches
sozialmedizinisches Problem dar. Je nach Ausprägung und Dauer der Störung
kommt es zu wiederholten und längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten. Eine frühzeitige
ambulante oder stationäre Behandlung nach einem multimodalen Konzept wäre
wünschenswert, scheitert aber nicht selten an der verzögerten Einordnung der
Symptomatik und einem einseitig organmedizinisch ausgerichteten Krankheitsverständnis.
Bei bereits eingetretener Chronifizierung der Beschwerden mit erheblichen
Beeinträchtigungen persönlicher und sozialer Aktivitäten einschließlich der
Berufsausübung ist von einer erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit der
Betroffenen auszugehen. In diesen Fällen liegt Rehabilitationsbedürftigkeit vor.
Von Bedeutung ist, dass die Einschränkungen schmerzbedingt zustande kommen,
eine überdauernde Funktionsbehinderung auf der körperlichen Ebene liegt in der
Regel nicht vor. Rehabilitationsfähigkeit und Rehabilitationsprognose werden
maßgeblich von Ausprägung und Dauer des Beschwerdebildes, von psychischer und
organischer Komorbidität sowie von der Compliance der Betroffenen bezüglich eines
multimodalen, psychosomatische Aspekte berücksichtigenden Rehabilitationskonzeptes
bestimmt. Es sollte die Auswahl einer Rehabilitationseinrichtung erfolgen,
die über ein breites Spektrum physikalischer, medikamentöser und psychotherapeutischer
Behandlungsmethoden verfügt. Ziel der Rehabilitation ist die Vermittlung
eines mehrdimensionalen Krankheitsverständnisses und von Strategien im Umgang
mit dem Schmerz, denn völlige Schmerzfreiheit ist meist nicht erreichbar. Es wird
sich aber auch nach der Durchführung einer Rehabilitationsbehandlung eine
vorzeitige Berentung aufgrund eines anhaltenden Beschwerdebildes und anhaltender
Leistungseinschränkungen nicht immer vermeiden lassen. Entgegen der Annahme
vieler Betroffener führt eine vorzeitige Berentung allerdings nicht zu einem
Nachlassen der Schmerzsymptomatik, sondern eher zu einer Schmerzverstärkung
als Folge zunehmender Inaktivität.
Autoren der ersten Fassung der Leitlinie:
Dr. Heide Grigo, Christiane Härdel, Dr. Hanno Irle, Dr. Christiane Korsukéwitz, Dr. Renate
Rosenberger, Dr. Ada Scheuchenstein-Bokorov, Dr. Manfred Rohwetter. Alle Autoren sind
bzw. waren Mitarbeiter der BfA.
Autoren der zweiten Fassung der Leitlinie:
Dr. Susanne Amberger, Dr. Jörg Beisel, Katja Fischer, Dr. Stefan Hoppe, Dr. Hanno Irle, Dr.
Manfred Rohwetter, Gabriele Sandner. Alle Autoren sind bzw. waren ärztliche Mitarbeiter der
BfA aus dem Fachbereich Medizin bzw. der Abteilung Rehabilitation der BfA.
Darüber hinaus erfolgte eine Abstimmung mit dem Grundsatzreferat der Abteilung Rehabilitation
der BfA „Recht der Rehabilitation und Teilhabe am Arbeitsleben“, mit Dr. Christiane
Korsukéwitz, Leitende Ärztin der BfA, Dr. Thomas Hillmann, Abteilungsarzt der Abteilung
Rehabilitation der BfA, sowie mit den Ärztlichen Dezernenten Christiane Härdel und Dr.
Horst Schneiders-Markworth sowie den Beratenden Dezernatsärztinnen der BfA Christine
Kraft-Bauersachs, Dr. Heide Grigo und Annelore Gelfert-Dücker.
Eine Beratung fand statt durch Dr. Eberhard V. Grosch, LVA Hannover und Dr. Reinhard
Legner, LVA Niederbayern-Oberpfalz sowie durch Rehabilitationskliniker Dr. Burkhard
Cicholas, Rehabilitationsklinik Frankenhausen der BfA, Bad Frankenhausen, Prof. Dr. Dipl.-
Psych. Michael Linden, Rehabilitationsklinik Seehof der BfA, Teltow, und Dr. Dieter Olbrich,
Reha-Zentrum Bad Salzuflen der BfA, Bad Salzuflen.
Aktualisierungen sind in dreijährigen Abständen vorgesehen.
http://infomed.mds-ev.de/sindbad.nsf/c16c5495cff945c1002567cb0043187a/f5274db2008f1559c1257110002c1fff/$FILE/RVBund-LL_Rehabed_psychische_st%C3%B6rungen_051001.pdf
- für den Beratungsärztlichen Dienst der Deutschen Rentenversicherung Bund
Berlin, 16. März 2005 (2. Fassung)/1.10.2005
(Auszug)
6 Beschwerdebilder, die mit psychischen Symptomen einhergehen können
6.1 Chronic Fatigue-Syndrom, Umweltbezogene Körperbeschwerden
Die unter den Begriffen Chronic Fatigue-Syndrom (CFS) bzw. Umweltbezogene
Körperbeschwerden wie z. B. Multiple Chemical Sensitivity-Syndrom (MCS), Idiopathic
Environmental Intolerances (IEI) oder Sick Building Syndrom (SBS)
zusammengefassten Beschwerdebilder haben wegen der problematischen
Vermengung von symptomatischer Ebene, Syndrom-Ebene und nosologischer Zuordnung
bislang keinen Eingang in die international gängigen Klassifikationssysteme
gefunden. Auch die ICD-10 geht bei CFS bzw. MCS/IEI/SBS wegen der fehlenden
wissenschaftlichen Evidenz nicht von eigenständigen Krankheitsentitäten aus, zumal
toxikologisch und immunologisch keine die Symptomatik erklärenden Befunde
vorliegen.
Beim Chronic Fatigue-Syndrom, dessen klinisches Bild sich in vielen Bereichen mit
dem der Multiple Chemical Sensitivity überschneidet, wird in der Fachliteratur auf die
Ähnlichkeit mit dem unter Neurasthenie operationalisierten Krankheitsbild (F48.0)
verwiesen (siehe Kapitel 5.1.7). Für das Chronic Fatigue-Syndrom wurden Kriterien
entwickelt, die zur Diagnosestellung herangezogen werden können:
1. Klinisch gesicherte, unerklärbare, persistierende oder rezidivierende
Erschöpfung, welche
• neu oder zeitlich bestimmbar eingetreten ist,
• nicht Folge einer anhaltenden Überlastung ist,
• sich nicht wesentlich durch Ruhe bessert und
• zu einer deutlichen Reduktion des früheren Niveaus der Aktivitäten
in Ausbildung/Beruf sowie im sozialen oder persönlichen
Bereich führt;
Rehabilitationsbedürftigkeit – Psychische Störungen
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2. Vorhandensein von vier oder mehr der folgenden Symptome, die alle für
mindestens sechs aufeinanderfolgende Monate persistierend oder
rezidivierend nebeneinander bestanden haben müssen und der Erschöpfung
nicht vorausgegangen sein dürfen:
• selbstberichtete Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses
oder der Konzentration, die schwer genug sind, eine deutliche
Reduktion des früheren Aktivitätsniveaus in Ausbildung/Beruf
sowie im sozialen oder persönlichen Bereich zu verursachen
• Halsschmerzen
• druckempfindliche Hals- und Achsellymphknoten
• Muskelschmerzen
• Kopfschmerzen
• Schmerzen mehrerer Gelenke ohne Schwellung und Rötung
• Kopfschmerzen eines neuen Typs, Musters oder Schweregrades
• keine Erholung im Schlaf
• Zustandsverschlechterung für mehr als 24 Stunden nach Anstrengungen.
Jede aktive medizinische Störung, die eine chronische Erschöpfung erklären könnte
wie z. B. Hypothyreose, Schlafapnoe, Narkolepsie, Medikamentennebenwirkungen,
fortgeschrittene HIV-Infektion, Malignom, nicht ausgeheilte Hepatitis muss ausgeschlossen
sein. Gleiches gilt für jede frühere oder aktuelle Diagnose einer
Depression mit psychotischen oder melancholischen Anteilen, Zyklothymie, Schizophrenie
und anderen paranoiden Störungen, Demenz, Essstörungen, Alkohol- oder
Drogenmissbrauch in den letzten beiden Jahren vor Beginn der chronischen
Erschöpfung und zu jedem Zeitpunkt danach sowie Adipositas per magna mit einem
BMI von 45 und mehr.
In der wissenschaftlich anerkannten Fachliteratur herrscht Einigkeit darüber, dass
sowohl CFS- als auch MCS-/IEI-/SBS-Betroffene überdurchschnittlich häufig
psychische Beeinträchtigungen wie Ängstlichkeit, Depressivität und diffuse,
unterschiedlich ausgeprägte Körpersensationen aufweisen. Eine psychische
Ätiologie sowohl bei CFS als auch bei MCS/IEI/SBS erscheint in vielen Fällen wahrscheinlich.
Zumindest lassen die bisherigen klinischen Erfahrungen in universitären
Fachambulanzen und stationären Fachabteilungen eine hohe psychische Komorbidität
bei dieser Patientengruppe als gesichert erscheinen.
Verschiedene Autoren stellen zudem fest, dass unter MCS/IEI klinische
Fehldiagnosen subsumiert werden, das heißt, dass bei einem Teil der Betroffenen
Frühformen psychischer Erkrankungen vorliegen. Insofern sind primär Erkrankungen
wie Angststörungen (F40-41), affektive Störungen (F32-34) und wahnhafte
Störungen (F20-25) differenzialdiagnostisch zu erwägen.
Als kulturgebundenes Erklärungsmodell wird weiterhin ein ”belief system” diskutiert,
mit dessen Hilfe unspezifische Körperbeschwerden individuell interpretiert werden
und das von Medien, Heilpraktikern, Ärzten und verschiedenen Institutionen etabliert
und unterstützt wird.
Rehabilitationsbedürftigkeit – Psychische Störungen
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Von einer neuronalen Chemie-Hypothese ausgehend, werden bei den
umweltbezogenen Körperstörungen u. a. eine biologische Konditionierung bei der
Exposition gegenüber Gerüchen und Atemwegsirritantien sowie immunologischallergische
Mechanismen diskutiert. Die zugrunde liegende Überempfindlichkeit
könnte durch verschiedene Ursachen wie z. B. psychosozialen Stress hervorgerufen
werden. Allerdings lässt sich die häufig eintretende Chronifizierung und
Generalisierung nicht mit einem ausschließlich toxikologisch-allergologischen Ansatz
erklären.
Klinische, umweltmedizinische und laborchemische Untersuchungen erbringen in der
Regel auch keinen Nachweis einer Exposition, eines Kausalzusammenhangs
zwischen Exposition und Ausmaß der Beschwerden und/oder von organisch
begründbaren Erkrankungen, die die Beschwerden ausreichend erklären könnten. In
dieser Hinsicht und auch anhand des Bedürfnisses des Patienten, sich zur Abklärung
der Beschwerden wiederholt an Ärzte, Umweltambulanzen oder andere Behandler zu
wenden, bestehen Ähnlichkeiten zu den somatoformen Störungen (F45).
Psychopathologische Merkmale
Konzentrations- und Gedächtnisstörungen werden oft geklagt, die Stimmung kann
herabgesetzt sein. Die psychischen oder neuropsychologischen Symptome werden
von den Betroffenen trotz ausgeprägten Krankheitsgefühls jedoch nicht als eigenständige
psychische Problematik, sondern als Folge einer vermuteten neurotoxischen
oder anderen organischen Veränderung durch Umweltexposition
angesehen. Das Denken kann auf die organische Ursachenattribution eingeengt
sein. Ängste sind nicht selten.
Auswirkungen auf Aktivitäten und Teilhabe
Durch die Ängste hinsichtlich des weiteren Beschwerdeverlaufs und das daraus
resultierende Vermeidungsverhalten bis hin zum sozialen Rückzug kann die Teilhabe
am Berufs- und familiären Leben z. T. erheblich beeinträchtigt sein.
Prognose und Verlauf
Die Prognoseabschätzung darüber, ob eventuell bestehende Leistungseinbußen der
Versicherten als irreversibel bzw. chronisch anzusehen sind, kann nur im Einzelfall
und nicht allein auf der Grundlage einer umstrittenen diagnostischen Kategorie vorgenommen
werden.
Behandlungsmöglichkeiten
Eine gelegentliche kurzfristige Vermeidung der vermeintlich schädigenden Umwelteinflüsse
im Sinne der Angstminderung und Beziehungsstabilisierung kann im Einzelfall
sinnvoll sein. Die Forderung nach einer grundsätzlichen Vermeidung von
(hypothetischen) Trigger-Substanzen im Berufsleben (Nocebo) als mögliche neurotoxische
Einwirkung ist wissenschaftlich jedoch nicht begründbar. Die sogenannte
„Ausleitung“ von Quecksilber, das Vermeiden von Nahrungsmitteln und chemischen
Stoffen, der Umbau des Hauses oder ein Umzug sind mit erheblichen psychischen,
sozialen und finanziellen Folgen verbunden, bei nicht nachgewiesener Wirksamkeit
dieser Maßnahmen.
Mittel- und langfristig ist dem Patienten eine Re-Exposition i. S. einer behavioralen
Therapie zur Auseinandersetzung mit den scheinbar schädigenden Agenzien
(stufenweise Desensibilisierung bzw. Expositionstherapie) zu raten. Bei entsprechenRehabilitationsbedürftigkeit
– Psychische Störungen
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dem Schweregrad ist ein stationärer Psychotherapieversuch indiziert. Allerdings
stößt dessen Realisierung wegen des Umweltvermeidungsverhaltens und
mangelnder Akzeptanz durch die Betroffenen häufig auf Probleme.
Sozialmedizinische Bewertung
Aufgrund der Chronizität und der Ausprägung der psychosozialen Beeinträchtigungen
kann Rehabilitationsbedürftigkeit abgeleitet werden. Hinsichtlich der medizinischen
Rehabilitation in psychosomatisch/psychotherapeutischen Facheinrichtungen
ist anzumerken, dass die differenzielle Zuweisung von Versicherten zu
diesen Leistungen auf der Grundlage eines ganzheitlichen Krankheitsverständnisses
erfolgt und die hier angebotene Behandlung dem gegenwärtig anerkannten Wissensstand
entspricht. Unter verhaltensanalytischen Aspekten kommt insbesondere
der Überwindung von Verstärkungs- und Vermeidungsreaktionen eine Bedeutung zu,
wenn die Patienten lernen sollen, soziale Fertigkeiten zu trainieren und die Änderung
kognitiver Erwartungen und dysfunktionaler ”belief systems” einzuüben.
Dennoch wird sich bei einem Teil der Betroffenen auch nach Ausschöpfung aller
rehabilitativen Bemühungen eine Berentung wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
nicht vermeiden lassen. Dies kann aus sozialmedizinischer Sicht allerdings nur auf
der Grundlage einer umfassenden Gesamtbeurteilung der qualitativen und
quantitativen Leistungsfähigkeit erfolgen, in die die verschiedenen Gesichtspunkte
einschließlich der tatsächlich ermittelbaren Fähigkeitsstörungen Eingang finden
müssen.
…
6.3 Fibromyalgie
Bei der Fibromyalgie (M79.0) handelt es sich um eine Erkrankung, die durch über
mindestens drei Monate andauernde Schmerzempfindungen an Muskeln und
Sehnen in mindestens drei Körperregionen und Druckschmerzen an mindestens elf
von 18 Punkten (sog. tender points) gekennzeichnet ist. Unspezifische Symptome
wie Müdigkeit, Schlafstörungen und depressive Verstimmungen können hinzutreten.
Überwiegend sind Frauen mittleren Alters betroffen. Die Ursache der Störung ist
unklar, klinische und paraklinische Kriterien für das Vorliegen einer rheumatischen
oder sonstigen organischen Erkrankung sind in der Regel nicht vorhanden. Bei der
sekundären Fibromyalgie finden sich in der Anamnese ein akutes Schmerzereignis
Rehabilitationsbedürftigkeit – Psychische Störungen
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(z. B. Trauma, Bandscheibenvorfall) oder eine andere, mit Schmerzen verbundene
Erkrankung (z. B. rheumatoide Arthritis) als Auslöser der Störung. Diskutiert wird in
allen Fällen eine zentralnervöse Schmerzverarbeitungsstörung auf neurobiologischer
und lerntheoretischer Basis; die Unterscheidung von einer somatoformen Schmerzstörung
ist häufig nicht möglich. Differenzialdiagnostisch müssen sowohl organische
Erkrankungen als auch psychische Störungen mit Schmerzsymptomatik gegenüber
der Fibromyalgie abgegrenzt werden.
Psychopathologische Merkmale
Die ausgeprägten Schmerzempfindungen prägen das Krankheitsbild, darüber hinaus
können Schlafstörungen mit Tagesmüdigkeit und rascher Erschöpfbarkeit,
Stressintoleranz, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Rückzugs- und
Schonungsverhalten sowie Ängstlichkeit und depressive Symptome hinzutreten.
Häufig werden vielfältige körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen,
Verdauungsstörungen, Herzrasen, Kälteempfindlichkeit und orthostatische Beschwerden
geklagt.
Auswirkungen auf Aktivitäten und Teilhabe
Die Beeinträchtigung der persönlichen Aktivitäten Fibromyalgie-Betroffener und der
Teilhabe am sozialen Leben in den verschiedenen Bereichen kann erheblich sein.
Sie ist einerseits von der Intensität der Schmerzen und der akzessorischen
Symptome abhängig, andererseits sind der Grad der Chronifizierung der
Beschwerden sowie die Einstellung der Betroffenen und ihres Umfeldes zu der Erkrankung
von Bedeutung. Nicht selten resultieren aus der Symptomatik in
Verbindung mit inadäquater, weil oft rein organmedizinisch ausgerichteter
Behandlung und sekundärem Krankheitsgewinn zunehmende persönliche und
soziale Einschränkungen bis hin zu Aufgabe der Erwerbstätigkeit, sozialer Isolation
und Teilnahmslosigkeit oder auch weitgehender Hilfsbedürftigkeit bei
Alltagsverrichtungen.
Prognose und Verlauf
Die Prognose der Fibromyalgie ist bezüglich einer Heilung eher ungünstig. Oft vergehen
mehrere Jahre, bis die Erkrankung in ihrer Komplexität erkannt und einer
multimodalen Behandlung zugeführt wird. Letzteres scheitert jedoch nicht selten an
einem einseitigen Krankheitsverständnis sowohl der Betroffenen als auch vieler
Behandler, welches psychosomatische Wechselwirkungen nicht berücksichtigt. Eine
Chronifizierung der Schmerzsymptomatik ist häufig die Folge, umso wichtiger sind
frühzeitig einsetzende differenzierte Therapiestrategien. Sekundär kann es zur
Entwicklung manifester psychischer Störungen (Depressionen, Angststörungen,
Abhängigkeitserkrankungen), seltener auch körperlicher Beeinträchtigungen
(Inaktivitätsatrophie) kommen. Prognostisch ungünstig wirkt sich eine
Rentenproblematik bei den Betroffenen aus.
Behandlungsmöglichkeiten
Der erste Schritt in der Fibromyalgie-Behandlung ist die Akzeptanz der Realität der
Schmerzempfindung auch ohne Nachweis eines organischen Korrelates. Durch
diese therapeutisch zu vermittelnde Einstellung tritt oft bereits eine Entlastung der
Betroffenen ein, die teilweise unter erheblichem Rechtfertigungsdruck stehen. Die
eigentliche Behandlung umfasst physikalische Maßnahmen einschließlich des Erlernens
einer Ausdauersportart, differenzierte medikamentöse Strategien unter Beachtung
des Risikos einer Abhängigkeitsentwicklung sowie psychologisch-psychotheraRehabilitationsbedürftigkeit
– Psychische Störungen
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peutische Verfahren unter Einschluss entspannender, körpertherapeutischer und
verhaltenstherapeutischer Aspekte. Die Behandlung kann ambulant oder stationär
erfolgen. Kontraindiziert sind längere Schonung, langdauernde und hochdosierte
Analgetikatherapie ohne Einbettung in ein umfassendes Behandlungskonzept und
ein operatives Vorgehen ohne Vorliegen einer konkreten Indikation.
Sozialmedizinische Bewertung
Insbesondere die Chronifizierungstendenz bei der Fibromyalgie stellt ein erhebliches
sozialmedizinisches Problem dar. Je nach Ausprägung und Dauer der Störung
kommt es zu wiederholten und längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten. Eine frühzeitige
ambulante oder stationäre Behandlung nach einem multimodalen Konzept wäre
wünschenswert, scheitert aber nicht selten an der verzögerten Einordnung der
Symptomatik und einem einseitig organmedizinisch ausgerichteten Krankheitsverständnis.
Bei bereits eingetretener Chronifizierung der Beschwerden mit erheblichen
Beeinträchtigungen persönlicher und sozialer Aktivitäten einschließlich der
Berufsausübung ist von einer erheblichen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit der
Betroffenen auszugehen. In diesen Fällen liegt Rehabilitationsbedürftigkeit vor.
Von Bedeutung ist, dass die Einschränkungen schmerzbedingt zustande kommen,
eine überdauernde Funktionsbehinderung auf der körperlichen Ebene liegt in der
Regel nicht vor. Rehabilitationsfähigkeit und Rehabilitationsprognose werden
maßgeblich von Ausprägung und Dauer des Beschwerdebildes, von psychischer und
organischer Komorbidität sowie von der Compliance der Betroffenen bezüglich eines
multimodalen, psychosomatische Aspekte berücksichtigenden Rehabilitationskonzeptes
bestimmt. Es sollte die Auswahl einer Rehabilitationseinrichtung erfolgen,
die über ein breites Spektrum physikalischer, medikamentöser und psychotherapeutischer
Behandlungsmethoden verfügt. Ziel der Rehabilitation ist die Vermittlung
eines mehrdimensionalen Krankheitsverständnisses und von Strategien im Umgang
mit dem Schmerz, denn völlige Schmerzfreiheit ist meist nicht erreichbar. Es wird
sich aber auch nach der Durchführung einer Rehabilitationsbehandlung eine
vorzeitige Berentung aufgrund eines anhaltenden Beschwerdebildes und anhaltender
Leistungseinschränkungen nicht immer vermeiden lassen. Entgegen der Annahme
vieler Betroffener führt eine vorzeitige Berentung allerdings nicht zu einem
Nachlassen der Schmerzsymptomatik, sondern eher zu einer Schmerzverstärkung
als Folge zunehmender Inaktivität.
Autoren der ersten Fassung der Leitlinie:
Dr. Heide Grigo, Christiane Härdel, Dr. Hanno Irle, Dr. Christiane Korsukéwitz, Dr. Renate
Rosenberger, Dr. Ada Scheuchenstein-Bokorov, Dr. Manfred Rohwetter. Alle Autoren sind
bzw. waren Mitarbeiter der BfA.
Autoren der zweiten Fassung der Leitlinie:
Dr. Susanne Amberger, Dr. Jörg Beisel, Katja Fischer, Dr. Stefan Hoppe, Dr. Hanno Irle, Dr.
Manfred Rohwetter, Gabriele Sandner. Alle Autoren sind bzw. waren ärztliche Mitarbeiter der
BfA aus dem Fachbereich Medizin bzw. der Abteilung Rehabilitation der BfA.
Darüber hinaus erfolgte eine Abstimmung mit dem Grundsatzreferat der Abteilung Rehabilitation
der BfA „Recht der Rehabilitation und Teilhabe am Arbeitsleben“, mit Dr. Christiane
Korsukéwitz, Leitende Ärztin der BfA, Dr. Thomas Hillmann, Abteilungsarzt der Abteilung
Rehabilitation der BfA, sowie mit den Ärztlichen Dezernenten Christiane Härdel und Dr.
Horst Schneiders-Markworth sowie den Beratenden Dezernatsärztinnen der BfA Christine
Kraft-Bauersachs, Dr. Heide Grigo und Annelore Gelfert-Dücker.
Eine Beratung fand statt durch Dr. Eberhard V. Grosch, LVA Hannover und Dr. Reinhard
Legner, LVA Niederbayern-Oberpfalz sowie durch Rehabilitationskliniker Dr. Burkhard
Cicholas, Rehabilitationsklinik Frankenhausen der BfA, Bad Frankenhausen, Prof. Dr. Dipl.-
Psych. Michael Linden, Rehabilitationsklinik Seehof der BfA, Teltow, und Dr. Dieter Olbrich,
Reha-Zentrum Bad Salzuflen der BfA, Bad Salzuflen.
Aktualisierungen sind in dreijährigen Abständen vorgesehen.
http://infomed.mds-ev.de/sindbad.nsf/c16c5495cff945c1002567cb0043187a/f5274db2008f1559c1257110002c1fff/$FILE/RVBund-LL_Rehabed_psychische_st%C3%B6rungen_051001.pdf