Hier eine Kostprobe aus dem Wissensteil der FR vom 13.12.03 "Gen an Gen aus" von Peter Spork:
"Selbst unsere Psyche unterliegt den prägenden Einflüssen der Epigenetik, weiß der Psychobiologe Dirk Hellhammer von der Universität Trier: Die Frage, wie empfindlich wir im Laufe unseres Lebens auf extreme Belastungen reagieren, werde nach seinem Eindruck "zu etwa 70 Prozent in der Zeit vor und nach der Geburt im epigenetischen Muster festgelegt", folgert er aus Beobachtungen bei 1200 Menschen.
Offenbar macht es Kinder später im Leben besonders anfällig für Stressleiden, wenn sie vor der Geburt oder in den ersten Jahren extremer Verwahrlosung, einem Trauma oder Ähnlichem ausgesetzt waren. "Dass es da einen direkten Zusammenhang gibt, ist in-zwischen eindeutig belegt", sagt Hellhammer. So zeigte der Psychologe Michael Meaney von der McGill University im kanadischen Montreal, dass Ratten, die als Neugeborene von ihren Müttern gut umsorgt und viel abgeleckt wurden, später ruhig, mutig und ausgeglichen waren. Vernachlässigte Tiere werden ängstlich und aggressiv. Bei ihnen blockieren Methylgruppen in einem bestimmten Gehirnteil das Gen für die Andockstelle des Stresshormons Cortisol. Ihre Stressreaktion ist gestört. Inzwischen fanden sowohl Meaneys als auch Hellhammers Arbeitsgruppe ähnliche Effekte bei Menschen. "Je nachdem, in was für einer Entwicklungsphase das Gehirn gerade ist, kann ein extremer Stress der Mutter ganz unterschiedliche Folgen für das Kind haben", sagt Hellhammer.
Sein neuestes Beispiel: Am rätselhaften Schmerzleiden Fibromyalgie erkranken überwiegend Frauen und - wie sein Team herausfand - wurde die Mehrheit ungewöhnlich früh geboren. "Vermutlich hatten ihre Mütter im letzten Schwangerschaftsdrittel sehr viel Stress", sagt Hellhammer. "Dadurch gelangte in das fetale Blut sehr viel mütterliches Cortisol." Die eigenen, Cortisol produzierenden Zellen würden dann so programmiert, dass sie später nur noch wenig Stresshormon erzeugen. Trete dann irgendwann im Leben ein Trauma, eine schwere Krankheit oder eine andere extreme Belastung auf, wären durch Cortisol vermittelte Schutzfunktionen zu schwach, was zur Fibromyalgie führe. "Männer sind davon so selten betroffen, weil bei männlichen Feten wahrscheinlich weit weniger mütterliches Cortisol in die Blutbahn gelangt."
Noch wird es dauern, bis sich all diese Vermutungen bestätigen. Spätestens dann, gibt es jedoch neue Argumente, sich gut um seine Kinder zu kümmern, das Rauchen aufzugeben und sich ausgewogen und gesund zu ernähren. Es scheint, als hätten wir unser biomedizinisches Schicksal und das unserer Kinder ein Stück weit selbst in der Hand."