Aus aktuellem Anlass ein Textausschnitt aus dem Artikel
"Wenn Parfüm zur Ohnmacht führt"
"Wenn Parfum zur
Ohnmacht führt
MancheMenschen vertragen keine Chemikalien
Von Frauke Haß
Doch was ist MCS? Professor Thomas
Eikmann vom Institut für Hygiene
und Umweltmedizin an der Uni
Gießen fasst es so zusammen: „Es
gibt MCS-Patienten, aber MCS als
Krankheitsbild gibt es nicht.“
„Wir haben MCS noch nicht
nachgewiesen“, sagt Eikmann,
räumt aber ein, dass von allen Patienten,
die die Umweltambulanz
aufsuchen, im Schnitt fünf Prozent
übrig bleiben, „bei denen wir
offen lassen müssen, was sie haben“.
Aber bei denmeisten Patienten,
die für sich reklamierten,wegen Chemikalien-
Belastung in der
Umwelt erkrankt zu sein, „finden
sich in deren Umgebung nur die
üblichenSchadstoff-Konzentrationen,
denen wir alle ausgesetzt
sind: Sie haben auch kein besonderes
Geruchsvermögen“. Der Stoffwechsel
sei normal. „Alles, was
die Patienten angeben, können
wir wissenschaftlich nicht nachweisen“,
bilanziert Eikmann.
„Sie psychiatrisieren mich!“
Den Vorwurf kennt Eikmann zur
Genüge:„Die Patienten wollen unbedingt
einen Bezug zum Umweltbereich
herstellen. Psychische Ursachen lehnen sie ab.“
Eikmann unterscheidet
zwischen somatischen
und psychosomatischen Ursachen
für die Symptome der Patienten:
„Echte psychiatrische liegen unter
einem Prozent.“ Zu den somatischen gehörten Schilddrüsenüberfunktion,
Allergien, chronische
Lungenerkrankungen, Rheuma,
Asthma, chronischer Schnupfen,
selten auch ein Immundefekt.
Warum viele Betroffene Geruchswahrnehmungen inS ymptome
umsetzten, „wissenwir nicht“,
sagtEikmann.Da genüge es,an einer
Parfümerie vorbeizugehen,
Autoabgase oder Putzmittel zu
schnuppern oder eine frische Zeitung
aufzuschlagen – und schon
gehe es los: Müdigkeit,Konzentrationsstörungen,
Kopfschmerzen,
brennendeAugen,RachenundNasenschleimhäute,
Atemnot, Ohnmacht,
kribbelnde Hände, Füße,
Beine, geschwollene Füße, Gelenk-
und Ganzkörperschmerzen.
Farb-oderKlebstoff-Ausgasungen
in einer frisch renovierten
Wohnung können auch eine Ursache
sein. Eine leicht zu behebende:
„Da helfen manchmal schon
vierWochen Urlaub.“
In der Krankengeschichte vieler
MCS-Patienten fänden sich schon
vor den MCS-Symptomen psychische
Probleme, so Eikmann:
„Die Patienten lehnen das allerdings
klar ab.“
Thomas Eikmann weiß genau,
wie sehr die Patienten leiden.
„Wenn jemand chronisch Schmerzen
hat, hat das psychische Folgen:
Er ist deprimiert, hat Angst:
„Viele gehen nicht mehr aus dem
Haus. Sie bauen sich aufwendige
Schutzvorrichtungen, tragen
Atemschutzmasken.“
Die Verhaltenstherapie,
die die Gießener anbieten,
soll den Patienten helfen,
„wieder normal zu leben“.
Eikmann ärgert sich über manche
niedergelassenen Ärzte: „Die
diagnostizieren MCS und verschreiben
Vitaminpräparate. Dabei
klärt die Diagnose MCS gar
nichts, weder,was für eine Krankheit
jemand hat, noch, was man
dagegen tun kann.“
Manche Patienten
hätten eine Bindung an ihre
Ärzte, „wie an eine Sekte“.
Sein Team versuche den Patienten andere
Erklärungsmuster zu geben,
„um sie aus dem Teufelskreis herauszukriegen“.
So sollen sie versuchen,
Gerücheauszuhalten, „ohne
gleich umzufallen. Die müssen
aus der sozialen Isolierung raus.“
Das sieht auch Nowak so. „Es
bringt nichts, sich den Kopf darüber
zu zerbrechen, warum etwas
nichtgeht.WirmüssendenBetroffenen
helfen, sich Teile desAlltags
zurück zu erobern.“ Vielleicht gebe
es für eine Sekretärin, die Parfüm-
Ausgasungen nicht ertragen
kann, ein separates Büro mit alten
Möbeln, die nicht mehr riechen.
Oder sie kann einenTeilderArbeit
zu Hause erledigen."
Dieser Text entstammt dem Artikel "Wenn Parfüm zur Ohnmacht führt", der am 3. Novemer 2007 in der FR erschien.