Sondergutachten des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen Umwelt und Gesundheit
Risiken richtig einschätzen
Seite 157-158
http://www.umweltrat.de/02gutach/downlo02/sonderg/SG_Umwelt_Gesundheit_1999.pdf
Wer in diesem Sachverständigenrat saß ist auf Seite 10 des Berichtes zu lesen.
MCS FORSCHUNG
Bei der bestehenden Diskrepanz zwischen gesichertem Wissen über Multiple Chemikalien-Überempfindlichkeit und öffentlicher Einschätzung ihrer Bedeutung reklamiert der Umweltrat allerdings Forschungsbedarf auf der Grundlage guter wissenschaftlicher Praxis. Diese Forschung sollte insbesondere umfassen:
– Dokumentation von Patienten mit Multipler Chemikalien- Überempfindlichkeit nach einheitlichen klinisch-diagnostischen, wissenschaftlich fundierten Kriterien unter Wahrung der datenschutzrechtlichen Anforderungen (Einwilligung der Patienten, ggf.
Anonymisierung).
– Evaluierung der Fälle durch ein multidisziplinäres,unabhängiges Gremium mit dem Ziel, ein einheitliches Syndrom zu definieren und relevante Subgruppen abzugrenzen.
– Objektivierung von vermuteten Umweltexpositionen durch geeignete Meßverfahren, ggf. Entwicklung von Provokationsverfahren zur Abschätzung krankheitsrelevanter Umweltexpositionen.
– Epidemiologische Studien zu Inzidenz und Prävalenz von Multipler Chemikalien-Überempfindlichkeit und deren Einflußfaktoren, insbesondere von psychosozialen (Lebensstil-)Faktoren sowie Identifizierung und Charakterisierung von empfindlichen Untergruppen
auf molekulargenetischer Basis.
– Entwicklung experimenteller Testverfahren für Untersuchungen zur Pathophysiologie von Multipler Chemikalien-Überempfindlichkeit bei definierten Endpunkten zur Validierung der gegenwärtigen Hypothesen sowohl auf naturwissenschaftlicher als auch auf psychologischer Ebene.
385. Das vorgeschlagene multidisziplinäre und unabhängige Gremium könnte nach dem Vorbild des „Dokumentationszentrum schwerer Hautreaktionen in der Bundesrepublik Deutschland“ gebildet werden. Das Dokumentationszentrum wurde 1990 im Rahmen des
Förderprogramms „Gesundheitsforschung 2000“ des Bundesministeriums für Forschung und Technologie (BMFT) initiiert und wird seit 1995 vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Projektbasis finanziert. Seit der Gründung besteht eine
Mischfinanzierung, die verschiedene, im Bereich der Arzneimittelsicherheit engagierte Arzneimittelhersteller einschließt. Das Dokumentationszentrum erfaßt alle hospitalisierten Fälle mit schweren blasenbildenden Hautreaktionen, die von ca. 1 700 Kliniken und Abteilungen in Deutschland gemeldet werden, und erstellt das populationsbezogene Register, das es erlaubt, Inzidenzen
und Prävalenzen zu errechnen. Die Diagnosestellung wird auf der Basis anonymisierter Daten von einem unabhängigen
dermatologischen Expertengremium zweimal jährlich validiert und klassifiziert, und in einem zweiten Schritt wird der Zusammenhang mit ätiologischen Faktoren wie z.B. der Einnahme von Arnzeimitteln hergestellt.
Ein wissenschaftlicher Beirat begleitet das Dokumentationszentrum hinsichtlich der Gesamtplanung des Projektes sowie seiner Auswertung insbesondere in datenschutzrechtlichen, biostatistischen und epidemiologischen Fragen.
Die Ergebnisse werden dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft sowie den Arzneimittelherstellern gemeldet und unmittelbar umgesetzt. Ein vergleichbares, temporäres und unabhängiges Gremium könnte nach Auffassung des Umweltrates im Hinblick auf Fälle Multipler Chemikalien-Überempfindlichkeit
die Forschungsaktivitäten in Deutschland bündeln, wissenschaftlich begleiten und durch die Beurteilung aller anonymisierten Fälle nicht nur eine Klassifikation erarbeiten, sondern auch eine Brücke zwischen Schulmedizin und Ökologischer Medizin schlagen.