Medizinische Studien

Medizinische Studien

Beitragvon Maria » Sonntag 19. August 2007, 10:16

[b]Medizinische Studien[/b]

Von wegen "schwarz auf weiß"!

"Erfolgreich getestet": Das halten Kunden gemeinhin für ein Gütesiegel für Diätmittel, Vitaminpillen, Lebensmittelzusätze und Medikamente. Doch medizinische Studien geraten zunehmend ins Zwielicht. Denn manche Pharmafirmen lassen nichts unversucht, um schlechte Studienergebnisse vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Diese Betrügereien können für Patienten lebensgefährlich sein.

Die Manipulation besteht manchmal schon in der Auswahl der Daten, die bekannt gegeben werden: Beim Rheumamedikament Vioxx waren den Studienmachern die gefährlichen Nebenwirkungen bekannt, aber sie machten sie nicht öffentlich - weil Firmenangestellte an der Studie beteiligt waren. Negative Ergebnisse zu zensieren, scheint bei Pharmafirmen gang und gäbe zu sein. Die Zahlen werden so lange gedreht und gewendet, bis sie vorteilhaft erscheinen: Ist das Studienergebnis negativ, werden positive Nebenbefunde ausgegraben, nur Teile des Resultats genannt oder einfach alles unterschlagen.
Pillendreher - Zahlendreher

Auch zeitliche Manipulationen können Ergebnisse schönen: Sechs-Monats-Studien zum Medikament Celebrex wurden beispielsweise auf zwölf Monate hochgerechnet und das schlechte - bereits vorliegende - Ergebnis unterschlagen. "Gute" Effekte erzielt man auch mit einer zu kurzen Studiendauer: Bei einem Medikament gegen Inkontinenz wählte man eine so kurze Zeitspanne, dass das Beckenbodentraining als unwirksam erschien - obwohl man damit nach vier bis sechs Wochen sehr gute Ergebnisse erzielt.

Medikamentenvergleichsstudien sind für Betrügereien geradezu ideal: Das neue Präparat erscheint im besten Licht, wenn das alte Medikament durch Über- oder Unterdosierung ohne Wirkung blieb - oder man nimmt gleich ein Placebo. Auch mit Korruption kommt man ans Ziel: Mediziner erhalten Honorare für pseudowissenschaftliche Marketingstudien oder Uni-Professoren lukrative Zusatzeinkünfte für gut bezahlte Vorträge auf Kongressen und Fortbildungen. Laut den Korruptionswächtern von Transparency International "versickerten" letztes Jahr in Deutschland zwischen sechs und 20 Milliarden Euro durch Korruption in der Gesundheitsbranche. Der Pharmalobbyismus in Deutschland ist stark.


Gefälschte Studien

Transparency International geht davon aus, dass im Jahr 2004 in Deutschland "mindestens 40 Prozent der zur Zulassung vorgelegten klinischen Daten geschönt oder gefälscht worden sind und dass Studien mit negativen Ergebnissen in der Regel unveröffentlicht bleiben."

So mancher Arzt oder Professor lässt sich ködern. Die Universität Kopenhagen hat 370 Medizinstudien analysiert und herausgefunden: Bezahlen Firmen die Medizinstudien, schneidet das neue Medikament in der Hälfte der Untersuchungen besser ab als das alte. Sind Geldgeber hingegen neutral, passiert dies nur in etwa jedem sechsten Fall.

Wege aus der Misere

Um diesen Sumpf trocken zu legen, hat die Kassenärztliche Vereinigung in Bayern begonnen, Pharmareferenten für eigene Zwecke abzuwerben. Diese beraten jetzt Ärzte und sollen die Macht der Pharmafirmen untergraben. Angeblich mit ersten Erfolgen. Ein Problem ist auch, dass es in Deutschland kein zentrales Studienregister gibt, in dem alle Daten einsehbar wären. Wer sich über Studienergebnisse informieren will, muss sich durch Berge von Fachliteratur graben. Das sind pro Jahr rund zwei Millionen Artikel in über 10.000 medizinischen Zeitschriften. Diese enthalten auch die Teil- und Endergebnisse der 20.000 bis 30.000 jährlich laufenden Studien. Verfechter der wissenschaftlich fundierten, auch Evidenz-basiert genannten, Medizin haben der Korruption den Kampf angesagt. Eine internationale Arbeitsgruppe hat sich unter dem Namen "Cochrane" zusammengetan und erfasst Studienergebnisse, sichtet Literatur und schreibt Übersichtsartikel über bestimmte Studienthemen.

Fehlende Randgruppenstudien

80 Prozent aller Arzneimittel, die auf Neugeborenenintensivstationen angewendet wurden, beruhen auf reinen Erfahrungswerten der behandelnden Ärzte. "Das ist eigentlich ein Skandal, den man nicht oft genug publizieren und der Öffentlichkeit bekannt machen kann", so Dietrich Reinhardt, Kinderarzt und Leiter der Haunerschen Kinderklinik in München.

Im Studien-Dschungel

Studien kosten viel Zeit und Geld. Investitionen, die sich für Pharmafirmen nur bei Massenkrankheiten lohnen. Studien für Kinder, ältere Menschen und Patienten mit seltenen Krankheiten gelten als nicht lukrativ und sind deshalb selten. Doch gerade bei Kindern verlaufen Krankheiten anders als bei Erwachsenen und erfordern daher eigentlich eigene Studien. Denn nur mit klinischen Studien sei ein Fortschritt in der Medizin möglich, sagt Stefan Burdach, Leiter der Münchner Universitätskinderklinik der TU im Krankenhaus Schwabing: "Sonst wissen wir auch in zehn Jahren noch nicht, welche Behandlung besser ist." Doch unter einem weltweiten Umsatz von 300 Millionen Dollar denkt keine Pharmafirma über die Entwicklung eines Medikaments nach.

Auch wenn das Sammeln von Erfahrungswerten keine wissenschaftlichen Studien ersetzen kann, so gibt es der Medizin doch immer wieder wichtige Aufschlüsse: Ein Aufschrei ging durch die Bevölkerung, als der Krebsforscher und Epidemiologe Dieter Hölzel seine Daten der letzten zwanzig Jahre über die Chemotherapie verglich und feststellte, dass die Fortschritte bis heute nur sehr gering sind. Laut Hölzels Daten wurde noch nie untersucht, ob die Chemotherapie bei bestimmten fortgeschrittenen Krebsarten überhaupt sinnvoll ist. Das medizinische Wissen kann nur in einem internationalen interdisziplinären Forschernetzwerk für alle nutzbar gemacht werden, meint Hölzel.

* Quelle: Das Notizbuch


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