"Es gibt diese Patienten - und sie leiden! "

"Es gibt diese Patienten - und sie leiden! "

Beitragvon Juliane » Dienstag 5. Mai 2009, 22:56

"UMWELTASSOZIIERTE SYNDROME AM BEISPIEL DER MULTIPLEN CHEMIKALEN-EMPFINDLICHKEIT (MCS)

Umwelt-bezogene Beschwerdebilder gab es seit jeher (z. B. die frühere Chlorose, von der heute niemand mehr spricht). Der Bezug zur Umwelt ist vor allem durch die individuelle Sichtweise des Patienten gegeben, daher der Begriff "umwelt-assoziiertes Syndrom". Am häufigsten finden sich derzeit die Multiple Chemikalien-Empfindlichkeit (MCS), das Chronische Müdigkeits-Syndrom (CFS), die Fibromyalgie sowie das Sick-Building-Syndrom. Gelegentlich damit in Verbindung gebracht auch das Burn out-Syndrom.

- Bei der Multiplen Chemikalien-Empfindlichkeit (MCS) fühlen sich die Betroffenen von Gerüchen und anderen Innenraumluft-Komponenten beeinträchtigt, z. B. in Kaufhäusern, aber auch zu Hause oder am Arbeitsplatz. Dabei berichten sie über Befindlichkeits- und Gesundheitsstörungen, während andere im gleichen Umfeld keine Besonderheiten registrieren. Das Phänomen hat viele Dimensionen und wird deshalb auch kontrovers diskutiert. Die einen wollen dabei konkrete Chemikalien-Expositionen und ihre nachweisbaren (?) Konsequenzen berücksichtigt sehen, die anderen sprechen von Befindlichkeitsstörungen, wie sie ohnehin in der Bevölkerung am häufigsten anzutreffen sind.

Bisher sind folgende Klassifikations-Vorschläge gemacht worden:

Beschwerdebilder, die durch (wiederholte chemische) Exposition reproduzierbar folgende Krankheitszeichen auslösen:

- neurologische Symptome wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrations- und Schlafstörungen,
- seelische Symptome wie Reizbarkeit, Depressionen, Angst, Verwirrtheit und Gedächtnisstörungen,
- Haut- und Schleimhautsymptome wie Juckreiz, Hautbrennen, Augenreizungen und Husten sowie
- allgemeine Beschwerden wie Durchfall, Verstopfung, Übelkeit, Herzschmerzen, Angst- und Beklemmungsgefühle, Atemnot und grippale Beschwerden.

Das Beschwerdebild muss chronisch (dauerhaft) sein und die Symptome sollen durch schon geringe Konzentrationen der entsprechenden Agenzien ausgelöst werden (was bei anderen Menschen keinerlei Reaktionen auszulösen pflegt). Beispiele: Industrie-Chemikalien, Nahrungsmittel-Additive, Pestizide, Arzneimittel, Innenraum-Luftschadstoffe, Lösungsmittel, Alkohole, Parfum, Kosmetika, Kleidung, Plastik, Chlor, Amalgam, Kfz-Abgase, Ozon, Benzin, ionisierende und elektromagnetische Strahlen.

Wird der (subjektive oder objektivierbare) Schädigungs-Bereich gemieden, kommt es zur Besserung oder vollständigen Genesung.

Man schätzt, dass die Multiple Chemikalien-Empfindlichkeit (MCS) etwa 0,2 bis 4% der Erwachsenen betrifft. Auf Deutschland bezogen wären das etwa 300.000 Personen.

Die Ursachen und Hintergründe sind ein weites Feld. Beispiele: unentdeckte traditionelle Krankheiten (Vergiftungen, Immundefekte), eine allgemeine vegetativ-nervöse Übererregbarkeit, die Fehlverarbeitung traumatischer Erlebnisse, seelische Störungen mit hypochondrischen, hysterischen und zwanghaft-phobischen Zügen, psychosomatische Störungen, chronische Vergiftungen durch Lösungsmittel, Pestizide u. a. Ferner Hormon- und Stoffwechselstörungen, Reizung der Atemwege mit entsprechender Immun-Reaktion, Fehlregulation nervlich ausgelöster Entzündungen, Rückwirkung auf das Zentrale Nervensystem, Fehlregulation des Abwehrsystems, die Erhöhung der Erregbarkeit bestimmter Gehirnzentren (z. B das limbische System) u. a.

Die Wissenschaftler, die sich damit beschäftigen, favorisieren unterschiedliche Organ-Systeme vom Metabolismus (Stoffwechsel) bis zu neurohormonellen Veränderungen im Gehirn. Die bisher vorliegenden wenigen kontrollierten Studien mit MCS-Patienten zeigen aber auch, dass die meisten in den entsprechenden Untersuchungen nicht (!) zwischen Placebo-Exposition und Noxen-Exposition unterscheiden können, d. h. ob nur eine harmlose Schein-Belastung oder eine echte Belastung vorliegt. Ob ein genetischer Hintergrund existiert ist bisher fraglich (Empfindlichkeits-Vererbung, entweder real-organisch oder rein seelisch als eingebildete Überempfindlichkeit).

Die in Deutschland gesammelten MCS-Fälle gehen meist auf Schadstoffe in der Wohnung, auf Nahrungsmittel bzw. Nahrungsmittel-Rückstände, auf Schadstoffe im Wohnungsumfeld und am Arbeitsplatz zurück sowie auf Medikamente, Dental-Materialien (die vom Zahnarzt verwendet werden) sowie Trinkwasser.

Wenn man MCS-Patienten psychologisch untersucht, dann gibt es schon Unterschiede zum Gesunden, besonders in den Bereichen Somatisierung ("Verkörperlichung von unverarbeiteten seelischen und psychosozialen Problemen"), Zwanghaftigkeit, Depressivität und Ängstlichkeit.

Andererseits aber müssen alle damit befassten Ärzte zugeben: Es gibt diese Patienten - und sie leiden! Sie sind aber auch eine schwierige Klientel, denn wenn sie einmal auf ihre (subjektive Laien-)Diagnose fixiert sind, wird die Situation bald ausweglos, da sich bedrohliche Stoffe tagtäglich und überall auftun.

So geraten viele dieser Patienten in eine bedauernswerte soziale Isolation, verlieren ihren Arbeitsplatz und bringen ihre zwischenmenschlichen, vor allem partnerschaftlichen und familiären Beziehungen in Gefahr.

Deshalb gibt es inzwischen Selbsthilfegruppen und als Einzel-Behandlung vor allem die Verhaltenstherapie.

Zusammenfassende Übersicht aus H.-J. Seidel: Klinische Umweltmedizin, 2005"

http://www.psychosoziale-gesundheit.net/bb/06umweltmedizin.html

H.-J. Seidel:
KLINISCHE UMWELTMEDIZIN
Kurzlehrbuch für angehende und praktizierende Ärzte
Shaker-Verlag, Aachen 2005.
Juliane
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"Es gibt diese Patienten - und sie leiden! "

Beitragvon Annamaria » Mittwoch 6. Mai 2009, 03:38

Eikmann bespricht Seidel, ideologiefrei und ohne Provokation, in Umweltmed Forsch Prax

http://www.ecomed-medizin.de/sj/ufp/Pdf/aId/7814

(Eine Hand wäscht die andere.)


Liebe Juliane, Faust schreibt übrigens auch eine prima eigene Wissenschaft. Aber bitte keine näheren Zitate!

Ich möchte nichts mehr von diesen s-Experten hören.
Zu groß ist meine Befürchtung, dass ihr weiteres wissenschaftliches Wirken für sie den denkbar schlechtesten Verlauf nimmt
und eine Narbe bei ihnen hinterlässt, die zum chronischen Schmerzsyndrom werden kann. Ich hoffe so sehr für diese Experten,
dass sie die vielfältigen Prinzipien salutogenetischer Kraft für sich nutzbar machen können.

Drum schließe ich mit Guggenbichler: Prost und Salutogenese !

(In Anlehnung an http://www.dr-guggenbichler.de/mcs_und_endodontie.htm aus viewtopic.php?t=9531
Annamaria
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"Es gibt diese Patienten - und sie leiden! "

Beitragvon Clarissa » Mittwoch 6. Mai 2009, 07:35

es zeugt zwar wieder mal von ihrer Einstellung aber eines finde ich interessant, man spricht von ca. 300.000 Menschen induLa und das ist eine recht hohe zahl die diese sExperten einräumen.
[b]Im Umkehrschluss heißt das für mich das da draußen 300.000 Menschen dahin vegetieren denen fast jegliche Hilfe versagt wird.[/b]
Und allen Leugnern zum Trotz, im DIMDI
ICD-10-GM Version 2018 - Stand Oktober 2017 ist MCS immer noch im Thesaurus unter
T 78.4 zu finden und wirklich nur dort und an keiner anderen Stelle!
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"Es gibt diese Patienten - und sie leiden! "

Beitragvon Mia » Mittwoch 6. Mai 2009, 08:06

Diese Lektüre erfüllt für mich den Tatbestand der üblen Nachrede und Verleumdung.
Presse- und Meinungsfreiheit hin und her; muss man sich als MCS-Erkrankte/er das gefallen lassen?
Viele können nachweisen,als Auslöser der MCS toxischen Stoffen, zeitweise oder dauerhaft ausgesetzt gewesen zu sein. Das wird einfach ignoriert.
Unglaublich, mit welcher Dreistigkeit diese Patientengruppe erniedrigt und verhöhnt werden darf.

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