Zivilschadenshaftungsrecht umw. Gesundheitsschäden

Zivilschadenshaftungsrecht umw. Gesundheitsschäden

Beitragvon Penelope » Freitag 29. Juli 2005, 08:08

Zivilschadenshaftungsrecht bei umweltbedingten Gesundheitsschäden

Beweislast/Luftverschmutzung
Der Bundesgerichtshof hat in einem Oldenburger Umweltprozess ein bemerkenswertes Urteil gesprochen (Aktenzeichen: VI ZR 372/95, verkündet am 17.06.1997). Darin heisst es: “Dabei ist es auch zu bedenken, dass eine Einhaltung von Einzelgrenzwerten der TA-Luft nichts darüber auszusagen vermag, on möglicherweise gerade die eigentümliche Kombination emittierter Stoffe gesundheitsschädliche Wirkung haben kann.

Im Klartext: Selbst wenn ein Unternehmen alle einzelnen Schadstoff-Grenzwerte einhält, kann durch die Kombination dieser Schadstoffe, also durch den “Giftmix” eine Erkrankung der Anwohner hervorgerufen werden. Damit kann sich ein Unternehmen schadensersatzpflichtig machen.
Beweislastumkehr in einem Umweltverfahren.
Ausserdem urteilten die BGH - Richter: “ Eine Beweiserleichterung für die Kausalitätsfrage im Einzelfall gegebenenfalls auch eine Beweislastumkehr, kommt bei festgestellter Überschreitung der durch Verwaltugsvorschriften (auch durch die Bestimmung und Auflagen im Rahmen einer Betriebgenehmigung) festgelegten Emissions- und Imissionswete in Betracht.
Mit anderen Worten: Wenn feststeht, dass ein Unternehmen Gesetze missachtet hat, muss nicht mehr der Bürger mit teuren Gutachten nachweisen, dass er dadurch einen Schaden erlitten hat. Vielmehr muss in einem Prozess nun das Unternehmen versuchen zu beweisen, dass es für den Schaden nicht verantwortlich ist. Das ist die sog. “Umkehr der Beweislast” , die Umweltverbände seit Jahren gefordert haben.
Der Oldenburger Rechtsprofessor Jürgen Taeger kommentiert diese Passage des Urteils so: “Die Geschädigten sind ja gar nicht in der Lage, nach zu vollziehen was wirklich im Unternehmen im einzelnen passiert ist. Sie wissen nicht wie die Produktion abläuft. Wenn sich herrausstellt, dass Grenzwerte überschritten worden sind, dann soll es Sache des Unternehmens sein zu beweisen, dass er alles getan hat, um Schäden dritter zu verhindern.”
Bei dem Prozess ging es um ein 17jähriges Mädchen. Es reagiert überaus empfindlich auf alle Chemikalien. Es ist daher nicht mehr in der Lage, etwa in einem Geschäft einzukaufen oder zur Schule zugehen. Ihr Schlaf-Wach-Rhytmus ist extrem gestört manchmal schlät sie 30 Stunden an einem Stück. Als Verursacher der Krankheit sehen die Eltern die Abgase der Oldenburger FirmaP Peguform an , die Stosstangen für Volkswagen herstellt und lackiert. Die Familie wohnte in der Nähe des Werkes, bis sie vor den Abgasen floh. Sie verklagte Peguform in einem Prozessmarathon vor dem Land- und Oberlandesgericht. Die Richter bügelten ihre Schadensersatzklagen glatt ab. Die Firma halte die Grenzwerte ein, es gebe kein Unrecht verkündete sie.
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe rüffelte die Oldenburger Richter in erstaunlicher Deutlichkeit. Er wies sie an, erneut Beweise aufzunehmen. Urteilten eine herbe Kritik daran, dass der Oldenburger Richter bestimmte Beweise, die die Eltern der 17jährigen dem Gericht angboten hatten, überhaupt nicht zur Kenntnis nahmen.
Der Grund für den Prozess: Die Krankheit: Multiple chemische Sensibilität.

Der gesamte Fall ist jedoch nicht nur aus juristischer Sicht bemerkenswert, sondern auch medizinischer.Denn erstmals in Deutschland hat jemand um eine Krankheit prozessiert, die MCS (Multiple Chimical Sensivity) genannt wird. Sie ähnelt der CFS (Chronische Erschöpfungssyndrom).

Weiterführender rechtlicher Hinweis:
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Stressburg hatte in einem 1995 veröffentlichtem Grundsatzurteil ebenfalls über die Beweislast in Umweltprozessen entschieden: Die spanische Klägerin musste in diesem Verfahren nict konkret beweise, dass ihre Tochter an den Schadstoffen aus einer Anklage erkrankte. Den Richtern reichte alleine die Möglichkeit, dass jemand Schaden nimmt. “Selbst im detail auffällig liberal” kommentierte der Heidelberger Anwalt und Experte für internationales Umweltrecht, Lothar Gründlimg, diesen Richterspruch.

Die Richter sahen ausserdem ein Menchenrecht nicht erst dann als verletztz an, wenn jemand erkrankt ist. Es genügt ihrer Ansicht nach schoneine “Belästigung”, die das Privatleben einschränkt. Also kann eine Umweltverschmutzung das Menschenrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie der Wohnung verletzten. Johann Callewaert, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Richterkollegiums, erklärte die Bedeutung des Urteils so: “Damit erkennt der Gerichtshof Umweltschutz zwar noch nicht als Menschenrecht an, aber die Tendenz weist dahin - ein Meilenstein in der Rechtssprechung!” Da die Europäische Menschenrechtkonvention direkt geltendes Recht auch in Deutschland sei, ergeben sich nach seiner Ansicht unmittelbar Folgen für deutsche Umweltprozesse.

Der Europäische Gerichtshof hat die Adresse:
Eurpoean Court of Human Rights
Directorate of Information
F-67075 Strassbourg Cêdex, France
Fax (0033) 8841-2790

Das genannte Urteil hat das Aktenzeichen 41/1993/436/5151 es stammt vom 9.12.1994.
Juristischer Informationsdienst Ulrich Freitag, Möllerstr. 29, 58456 Witten
Penelope
 

MCS Urteil

Beitragvon Labrador » Montag 24. Oktober 2005, 08:57

Ein bemerkenswertes MCS Urteil!
Es ist viel zu wenig bekannt.

Gruß
Labrador
Labrador
 

Zivilschadenshaftungsrecht umw. Gesundheitsschäden

Beitragvon Elloran » Montag 24. Oktober 2005, 09:31

Hallo,

Ich schließe mich meinen Vorgänger an. Wirklich bemerkenswert und ein erster Schritt in die richtige Richtung. Duftstoffe und Pestizide in Heim- und Garten sind ebenfalls eine Belästigung und ich hoffe da tut sich auch was.

Liebe Grüsse
Elloran
 


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