Meine Wohnung stinkt mir
finanztest 04/2000
Holzschutzmittel, Schimmel oder Formaldehyd Mieter können Giften in der Wohnung schlecht ausweichen. Sie sind aber nicht schutzlos.
Ungesundes Wohnen
Wohngifte
Miete mindern bei Wohngiften
Als Karl-Heinz Engel* 1984 nach langer Suche eine Wohnung fand, war er glücklich. Dass er bereits in der ersten Heizperiode einen hartnäckigen "Winterschnupfen" bekam, fand er nicht verdächtig. Doch die Schleimhautreizungen wurden immer schlimmer, die Entzündungen wanderten von der Nase in die Lunge. Eine Ärztin, die sein Blut untersuchte, fand darin einen regelrechten Giftcocktail: Das Doppelte der tolerierbaren Konzentration an Lindan, das Dreifache an polychlorierten Biphenylen (PCB) sowie auffällige DDT- und Hexachlorbenzolwerte. Alles giftige Substanzen, die empfindliche Menschen schon in geringer Dosis krank machen können. Karl-Heinz Engel tippte auf seine Wohnung als Quelle der Giftstoffe, da er mit solchen Giften sonst nicht in Berührung gekommen war.
Giftige Baustoffe
Viele Baumaterialien, die zunächst als unbedenklich galten, erwiesen sich später als äußerst ungesund. Bekannte Beispiele sind Asbest in Wänden oder DDT in Holzverkleidungen. Dass die Stoffe ungesund sind, ergab sich, als immer mehr Hausbewohner erkrankten. "Sick-Building-Syndrom" lautet der aus dem Amerikanischen stammende Name der Krankheit, die durch Gifte in der Wohnung verursacht wird. Können diese Stoffe nicht entfernt werden, ist der Auszug häufig die letzte Möglichkeit.
Nachdem sich sein Vermieter auf Nachfragen nicht gerührt hatte, wollte auch Karl-Heinz Engel aus dem Mietvertrag heraus. Da die Krankheitsursachen nur schwer zu ermitteln waren, riet sein Anwalt ihm zur fristgemäßen Kündigung.
Fristlose Kündigung
Das Bürgerliche Gesetzbuch erlaubt aber auch die fristlose Kündigung, wenn die Gesundheit des Mieters erheblich gefährdet ist. Für rechtens hielten die Gerichte den sofortigen Auszug unter anderem bei starkem Schimmelbefall (Amtsgericht Flensburg, Az: 63 C 246/95), giftigen Ausdünstungen von Mikroben, (Landgericht Berlin, Az: 67 S 87/97) und bei Belastungen durch Formaldehyd, Lindan und PCP (Landgericht Lübeck, Az: 14 S 135/97).
Bevor der Mieter fristlos kündigen kann, muss er zunächst die erhebliche Gesundheitsgefährdung belegen. Und auch dann kommt eine fristlose Kündigung nur in Betracht, wenn die Substanzen für jedermann gefährlich sind. Reagiert nur ein Einzelner darauf allergisch, reicht das nicht.
Mieter können auch dann nicht sofort ausziehen, wenn eine ungesunde Substanz nur in einer Ecke der Wohnung vorhanden ist und allein dort ihre ungesunden Wirkungen entfaltet. Es muss immer die ganze Wohnung unbewohnbar sein, schimmelt es nur im abschließbaren Wintergarten, scheidet die fristlose Kündigung aus.
Entgiftung verlangen
Lassen sich die gefährlichen Substanzen mit wenig Aufwand entfernen, ist die fristlose Kündigung ebenfalls nicht möglich. Der Mieter muss den Hauswirt dann zunächst auf die Mängel hinweisen und ihm eine angemessene Frist zum Beseitigen setzen. So gestand das Landgericht Hamburg einem Mieter das Recht zu, den Austausch von Bleirohren zu verlangen, die das Trinkwasser zu sehr belasteten (Az: 16 S 33/88).
Erst wenn die gesetzte Frist erfolglos verstrichen ist, kann der Mieter sofort kündigen. Er kann aber auch zur Selbsthilfe greifen und von sich aus einen Handwerker engagieren. Dafür kann der Mieter vom Vermieter sogar einen Vorschuss verlangen.
Miete mindern
Solange die Wohnung verseucht ist, kann auch ein Teil der Miete gekürzt werden, um den unwilligen Vermieter zu Baumaßnahmen zu bewegen. Karl-Heinz Engel minderte seine Miete dagegen, um sich bis zum Ablauf seiner Kündigungsfrist unnötige Ausgaben zu ersparen. Er minderte um immerhin 70 Prozent, was sein Vermieter akzeptierte. Häufig müssen sich die Mieter vor Gericht mit weit weniger zufrieden geben.
Ersatz für Kosten
In drei Fällen können Mieter sogar Schadenersatz verlangen, wenn für sie aufgrund der Giftstoffe in der Wohnung besondere Kosten entstanden sind. Das gilt zum einen dann, wenn die Wohnung schon beim Einzug vergiftet war, egal ob der Vermieter davon wusste oder nicht. Geldersatz gibt es auch, wenn Mängel später entstanden sind und der Eigentümer das verschuldet hat, zum Beispiel weil er fahrlässig giftige Lacke verwenden ließ. Schadenersatz gibt es schließlich auch dann, wenn der Vermieter die Wohnung trotz Fristsetzung nicht saniert hat.
Müssen in diesen Situationen die Wände wegen Schimmelbefalls neu tapeziert werden oder kommt nur der Auszug in Betracht, können die sich daraus ergebenden Kosten zurückverlangt werden.
Giftigkeit beweisen
Ob Mietminderung oder fristlose Kündigung immer wenn es Streit um Gift in der Wohnung gibt, stellt sich ein Problem: Die Gefährlichkeit muss bewiesen werden. Das ist leicht, wenn ein festgelegter Grenzwert für die giftige Substanz überschritten ist. In Wohnungen gibt es einen solchen starren Grenzwert aber nur für das in der Nähe von chemischen Reinigungen auftretende Tetrachlorethen.
Im Übrigen existieren nur Richtwerte, die lediglich ein Indiz für die Gefährlichkeit darstellen. Bei Erreichen dieser Richtwerte muss im Einzelfall geprüft werden, ob die Wohnung tatsächlich Mängel hat, die zum Beispiel eine Mietminderung rechtfertigen. Für Heinz-Jörn Moriske, Experte für Wohnraumgifte im Umweltbundesamt, ist das kein Problem. Schließlich reagierten einzelne Menschen verschieden empfindlich. Diese Unterschiede könnten mit Richtwerten besser als mit Grenzwerten erfasst werden.
Wichtig für Menschen, die unter Wohngiften leiden, deren Gefährlichkeit früher unterschätzt wurde: Der Vermieter kann sich nicht damit entlasten, beim Abschluss des Mietvertrags die damals üblichen Grenz- oder Richtwerte eingehalten zu haben. Wie das Bayerische Oberste Landesgericht unlängst entschied (Az: RE-Miet 6/98), sind Mietminderung und Schadenersatz auch möglich, wenn die Wohnung beim Einzug den damals geltenden Standards entsprach, diese später aber gesenkt wurden.
Wer muss was beweisen?
Dass die Wohnung seine Gesundheit gefährdet, muss immer der Mieter beweisen. Das ist in der Regel nur mit teuren Gutachten machbar. Doch selbst wenn ein solcher Mangel feststeht, darf der Bewohner weder fristlos kündigen noch die Miete kürzen, wenn er selbst Schuld an der Unbewohnbarkeit trägt.
Ein Dauerbrenner ist der Streit um Schimmel in Wohnräumen: Eigentümer werfen den Mietern vor, zu wenig zu lüften und damit für ihre Probleme verantwortlich zu sein. Diese sehen sich dagegen ebenso im Recht und tippen auf Baumängel als Ursache. Kann dann nicht nachgewiesen werden, wer der Verursacher war, kommen die verbleibenden Zweifel dem Mieter zugute. Denn wenn dieser den Schimmelbefall nachgewiesen hat, muss der Vermieter im Gegenzug beweisen, dass der Mieter daran schuld ist.
Kaum giftfreier Wohnraum
Seit seinem Auszug wohnt Karl-Heinz Engel bei Bekannten oder gar im Auto, um sich nicht weiter zu vergiften. Denn seit seine Krankheit voll ausbrach, reagiert er auf viel mehr Gifte schon bei geringsten Konzentrationen allergisch. Entsprechend schwer hat er es nun, neuen Wohnraum zu finden, denn es gibt kaum giftfreie Wohnungen. Außerdem verlieren Vermieter schnell das Interesse, wenn sie vom Streit mit dem letzten Vermieter hören.
http://www.test.de/Ungesundes-Wohnen-Der-unsichtbare-Feind-40010-17482/