Die DEGAM-Leitlinie Nr.2: Müdigkeit behandelt ein komplexes Problem in der Allgemeinmedizin und kann in der Internet-Präsentation nur in den wesentlichen Empfehlungen dargestellt werden. Für den wissenschaftlichen Hintergrund und gleichermaßen für die Anwendung der Leitlinie in der Praxis empfehlen wir daher dringend die Lektüre der Langfassung und die Nutzung der von uns erarbeiteten und erprobten Umsetzungshilfen.
Es war uns wichtig, die richtige Balance zu finden zwischen dem Hauptanliegen der psychosozialen Betreuung unter Vermeidung einer Fehlleitung im Sinne somatischer Fixierung dieser Patientengruppe und der notwendigen sowie sinnvollen somatischen Diagnostik.
3.7 Chronisches Müdigkeitssyndrom (CFS)
Die Vielzahl von diagnostischen Begriffen, die beim Symptom Müdigkeit benutzt werden, ist verblüffend. Der "niedrige Blutdruck" wird in angelsächsischen Ländern als "German Disease" belächelt. Dort ist die "Myalgic Encephalomyelitis" (ME) als Begriff jedem informierten Laien bekannt. In Frankreich wird oft eine "Asthenie" diagnostiziert, während in Spanien noch die "Lipotimia" dazu kommt.
Auch historisch finden sich zahlreiche Etiketten um das Symptom Müdigkeit mit z.T. ganz verschiedenen kausalen, therapeutischen und sozialen Implikationen: DaCosta's Syndrom, Effort-Syndrom, neurozirkulatorische Asthenie, Neurasthenie, Psychasthenie, Soldiers Heart, Royal Free Disease, Yuppie-Flu usw. Neben dem Kernsymptom scheint die einzige Gemeinsamkeit dieser Diagnosen zu sein, dass sie Kontroversen auslösen...
Bei unspezifischen Befindensstörungen, die ohne pathologische somatische Befunde oft mit starker Beeinträchtigung einhergehen, ist für Patient und Arzt die Versuchung groß, sich vorschnell auf unzureichend belegte (Pseudo-)Diagnosen zu einigen. Diese Etikettierungen entsprechen z.B. biologischen (Eisenmangel, Hypotonie, Hypoglykämie),
umweltmedizinischen (MCS, Amalgambelastung, Allergien),
infektiösen (postvirale Syndrome, Candida) u. a. Hypothesen. Ihnen ist gemeinsam, dass die entsprechenden Zusammenhänge wissenschaftlich nicht dokumentiert oder sogar widerlegt, nicht plausibel und/oder im Einzelfall nicht nachgewiesen sind. Allerdings fühlen sich Patienten häufig mit solchen Diagnosen ernstgenommen und entlastet. Problematisch sind diese Etikettierungen, wenn sie einseitig somatisch ausgerichtet sind oder ein notwendiges abwartendes Offenlassen verhindern. Damit führen sie bei Arzt und Patient oft zu einer eingeengten Perspektive, welche sowohl komplexe psychosoziale Faktoren außer Acht läßt und entsprechende Lösungsmöglichkeiten verstellt 63 wie auch sich anbahnende abwendbar gefährliche Verläufe vorschnell ausschließt. Diese Gefahr wird durch eine longitudinale britische Untersuchung unterstrichen, bei der die Etikettierung als "Myalgic Encephalomyelitis" mit einer schlechteren Prognose assoziiert war als andere diagnostische Kategorien. 64 ....
http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/053-002.htm