"Universelle Süßstoffe werden für alles mögliche verwendet
Von Udo Pollmer
Seit Langem wird vermutet, dass Süßstoffe eine Ausschüttung des Hormons Insulin provozieren, ähnlich wie beim Zucker. Allerdings mit dem Unterschied, dass sie gerade nicht den auf der Zunge angekündigten Nährstoff liefern. So läuft das Insulin ins Leere. Dieser Effekt auf die Bauchspeicheldrüse ist offenbar so ausgeprägt, dass eine japanische Universität sich das als Weltpatent hat schützen lassen. Vermutlich auch deshalb sind Süßstoffe als Masthilfsmittel so wirksam sind. Es erklärt, warum Diät-Limo-Trinker schneller dick werden als Zuckerschlecker.
Auch bei der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA beschäftigt man sich zum wiederholten Male mit dem ältesten unserer Süßstoffe, dem Saccharin. Aktuell ging es um die Frage, wie riskant der Stoff bei der Herstellung von Plastik ist, genauer gesagt von PET-Flaschen. Da braucht man Saccharin, um die Polymerisation in Gang zu bekommen. Die EFSA sieht in seiner Verwendung für Getränkeflaschen kein nennenswertes Risiko. Sehr beruhigend. Denn Saccharin wird nicht nur für PET sondern auch noch für Kautschuk oder Polyacryl verwendet, einem Material aus dem viele Salatschüsseln bestehen.
Es ist schier unglaublich, wofür ein so harmlos daherkommender Zusatzstoff so alles verwendet wird. Oder hätten Sie geahnt, dass nicht nur Abfüller von Limonaden zum Saccharin greifen sondern auch - der Maurer. Bei der Herstellung von Beton ist es ein wichtiger Bestandteil des Bindemittels. Ein deutscher Kosmetikkonzern hat sich den Süßstoff für seine Haarpflegemittel patentieren lassen: dadurch würde, ich zitiere "die Aufhellleistung von Blondiermitteln signifikant verbessert" - es wirkt im Haar so wie sonst das sprichwörtliche Wasserstoffperoxid.
Auch die Pharmaindustrie hat ein Auge auf das Wundermittel geworfen. Schließlich zählt Saccharin zu den Sulfonamiden, - und das ist eine Gruppe von Antibiotika. Was die Darmflora schädigt, das könnte vielleicht auch größeren Lebewesen den Garaus machen, dachten sich offenbar die Chemiker bei der BASF. Ihnen ist es tatsächlich gelungen, aus Saccharin ein neues Rattengift zu zimmern. Ihre bahnbrechende Erfindung haben sie sich kürzlich als Patent schützen lassen.
Das süßeste Saccharin-Patent allerdings trägt die Nummer CN101774851 und datiert vom Juli 2010. Darin wird ein ganz besonderes Düngemittel vorgestellt. Man nehme einen handelsüblichen Kunstdünger samt ein paar Bodenbakterien und versetze ihn mit einer Saccharinlösung. So erhält man eine Mixtur, die sich ganz speziell zum Anbau von Stevia rebaudiana eignet. Genau dem Stevia, das als Süßstoff-Kraut, als natürliche Alternative zum künstlichen Saccharin allerorten umworben wird. Das saccharinhaltige Mittel düngt nicht nur, sondern hält - so die Erfinder - auch die Schädlinge fern."
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/mahlzeit/1760762/