Wer wie ich gut 10 Jahre versucht hat seine „somatoformen Störungen“ mit Psychotherapie zu kurieren, letztlich ohne großen Erfolg, fragt sich im Nachhinein (und auch schon im vorher), wie es kommen mag, dass die angeblich wissenschaftlich belegte Erfolgsquote insbesondere der kassentauglichen Psychotherapierichtungen wie der Psychoanalyse bei 70 Prozent liegt, wogegen ich mich beim besten Willen an niemanden meiner Mitpatienten erinnern kann, den man als geheilt hätte bezeichnen können (schon gar nicht solche mit „somatoformen Störungen“) und das bei einer statistisch nicht mehr ganz irrelevanten Stichprobe von ca. 80 bis 100 (Mit-)leidenden. Die gewonnene Einsicht reichte regelmäßig nur bis zu der Tatsache, dass man letztendlich doch selbst zusehen muß, wie man mit seinem Zipperlein fürderhin klarkommt oder auch nicht klarkommt. Eine Psychoanalytikerin, bei der ich eine Gruppentherapie machte, antwortete auf Fragen meiner Mitpatient/inn/en nach dem Sinn der Übung (dem „Was bringts“), der Mann einer früheren Patientin habe erklärt, seine Frau sei durch die Therapie schöner geworden. Eine schöne Antwort. Doch mit der Luftigkeit ästhetischer Erhebung lassen sich leider keine Probleme lösen, die einen im schnöden Irdenleben niederhalten. Es schleichen sich dem somatoform Gestörten dann schon mal Zweifel an der Heilkraft der Heilslehren ein oder aber an den wissenschaftlichen Statistiken, mit denen man zur Therapie überzeugt wurde. Vielleicht hat man auch Pech gehabt und ist dauernd bei unwürdigen Vertretern des Faches gelandet. Wer weiß. In jedem Fall sollte man wissen wie alles begann. Mit der Psychoanalyse.
MCS-erfahrene neigen hinsichtlich der hier in Rede stehenden Heilslehre zu tiefem Misstrauen, meist aus Erfahrung (die bekanntlich klug macht). Wer daraufhin des Widerstands bezichtigt wird, darf seit einiger Zeit behaupten, dass Freud objektiv nicht zu trauen war (s.u.(wo Ich war ward ES, gewissermaßen )). Und wer verlangt schon, daß man dem Schüler traut, wenn das Lebenswerk des Meisters als Trauerspiel geoutet ist? Nun ja, vielleicht die Krankenkasse, die hat ihre Vorschriften. Alle anderen setzen sich des Verdachts aus, nicht auf der Höhe der Zeit zu sein.
Zum Beleg nachfolgend ein Auszug aus einer Buchrezension über die ich vor längerem gestolpert bin. Zum Genuß wird eine bequeme Couch empfohlen. Es geht um:
Han Israels: Der Fall Freud. Die Geburt der Psychoanalyse aus der Lüge. Aus dem Niederländischen von Gerd Busse. Europäische Verlagsanstalt Hamburg, Holländisch 1993, dt. 1999 .
Rezension von Gerald Mackenthun, Berlin, April 2000. Den vollständigen Text findet man unter
http://www.buchbesprechungen-psychotherapie.de/israels.htm. Vollständige Lektüre empfehlenswert.
****
"So manches, was Freud über seinen Werdegang schrieb, entspricht nicht der Wahrheit. Freud schreckte nicht vor Handlungen zurück, die im Widerspruch zur wissenschaftlichen Redlichkeit stehen. Es finden sich einige Falschangaben in Freuds Frühwerk, die auch in späteren Auflagen nicht korrigiert wurden. Freud hatte wenig Respekt vor einzelnen Tatsachen, er mied die Empirie (was ihm von Biographen wie Ernest Jones als "Genie" ausgelegt wurde) und er hielt stur an spontanen Ideen fest, auch wenn sich die Tatsachen der Idee widersetzten.
Der niederländische Psychologiehistoriker Han Israels wirft in "Der Fall Freud" dem Begründer der Psychoanalyse nicht direkt vor, zu lügen, doch Freud schwindelte und stellte sich und seine Leistungen besser dar, als sie tatsächlich waren, wobei er nicht vor der Verunglimpfung von Kollegen und Weggefährten zurückschreckte. Auch übertrieb Freud seine Originalität und seine Einsamkeit zu Beginn seiner psychoanalytischen Laufbahn gewaltig.
Die Unredlichkeit spielte schon eine Rolle in Freuds Forschung über Kokain Mitte der 80er Jahre des 19. Jahrhundert, legt Israels dar. Freud glaubte, Kokain führe zu einer Stärkung der Muskelkraft. Als er bei seinen Versuchspersonen zu keinem Ergebnis kam, veröffentlichte er einen Bericht mit sich selbst als einziger Versuchsperson (ohne dies kenntlich zu machen) und dem gewünschten Ergebnis.
Freud glaubte ferner, Morphinsucht könne mit Kokain-Injektionen geheilt werden. Als ein anderer Spezialist und Mediziner zu verheerenden Ergebnissen bei Anwendung der Injektionen kam, antwortete Freud, das liege an den Injektionen, die er niemals empfohlen habe.
In seinen Kokain-Publikationen berichtet er auch über den Fall eines erfolgreich verlaufenen Morphin-Entzugs mit Hilfe von Kokain. Tatsächlich wurde der Mann zusätzlich kokainsüchtig und seine doppelte Sucht zerrütteten dessen Gesundheit vollends. Das geht aus Briefen Freuds an seine Braut Martha hervor. Abschriften dieser unveröffentlichten Brautbriefe entdeckte Israels in einem englischen Archiv.
Freuds Kokainexperiment (er verleitete auch seine Verlobte Martha zum Kokainkonsum) hatten mit Psychoanalyse noch nichts zu tun. Doch wie schon in seinen Aufsätzen über Kokain, führt Israels aus, beschwindelte Freud in den "Studien über Hysterie" 1885 und 1886 die Leser über den therapeutischen Erfolg der "kathartischen Methode". Die Leiden der Patientin mit dem Namen "Anna O.", die Breuer 1880 bis 1882 behandelte, begannen nicht mit einem sexuellen Mißbrauch in der frühen Kindheit, sondern am Krankenbett ihres Vaters. 1893 ("Vorläufige Mitteilung") und 1895 ("Studien über Hysterie") betonten Breuer und Freud, dass die Symptome vollständig verschwanden, wenn das auslösende Moment erinnert, erzählt und noch einmal emotional erlebt wurde. Zweieinhalb Jahre später schrieb Freud in einem Brief an einen Freund, er habe immer noch keinen einzigen Fall zu einem erfolgreichen Abschluß führen können. Tatsächlich wurde die Behandlung der Anno O. nicht beendet, weil sie geheilt war, sondern weil sie für lange Zeit in die Psychiatrie eingeliefert werden mußte.
Breuer und Freud hatten nicht nur wenig Erfolg bei der Behandlung, sie hatten auch keine hinreichenden Beweise für ihre Kernthese von der sexuellen Ätiologie der Hysterie (wobei hinzugefügt werden sollte, dass Breuer nicht wegen hysterischer Symptome zu Anna O. gerufen wurde, diese hysterischen Symptome vielmehr erst im Laufe der Behandlung auftauchten). Ihre Fälle geben dazu fast nichts her.
Noch 1924 stellte Freud den Fall Anna O. als geheilt dar, obwohl er wußte, dass sie Jahre brauchte, um wieder zu genesen. "Es ist wahrhaft paradox", schreibt der Psychologiehistoriker Henry Ellenberger in seinem richtungsweisenden Werk "Die Entdeckung des Unbewußten", (dt. 1985), "dass die nicht erfolgreiche Behandlung der Anna O. für die Nachwelt zum Prototypen einer kathartischen Heilung geworden ist."
Der Grund für das hartnäckige Missverständnis liegt darin, dass Freud in späteren Rückblicken mehrfach beschrieb, wie erfolgreich die Methode bei Anno O. wirkte, beispielsweise in der "Selbstdarstellung" von 1925: "Breuer nannte unser Verfahren das kathartische ... Der praktische Erfolg der kathartischen Prozedur war ausgezeichnet." Doch niemals erwähnte er dabei die Tatsache, dass sie in der Mehrzahl der Fälle nicht zum erwünschten Ergebnis führte. Generationen von Psychoanalytikern aber lernten die Freudsche Version und glaubten an sie.
Im weiteren Entwicklungsverlauf der Psychoanalyse wurde unmerklich von der Hysterie zur allgemeinen Neurose übergewechselt ("Die Sexualität in der Ätiologie der Neurosen" 1898) mit der Behauptung, das Sexualleben sei die "praktisch bedeutsamste Ursache eines jeden Falles von neurotischer Erkrankung", wobei Freud unter "Sexualleben" die Masturbation, die Abwesenheit bzw. die "Abwehr der Sexualität" sowie die Sexualität der frühen Kindheit verstand. Emmy von N., von der Freud ebenfalls behauptete, ihr Kampf um sexuelle Enthaltsamkeit habe sich mit Hysterie kombiniert, war tatsächlich sexuell recht aktiv.
Als Freud die Frauen drängte, sich der krankmachenden sexuellen Auslöser zu erinnern, von denen er annahm, dass sie existieren müssen, stieß er auf Widerstand. Die Frauen weigerten sich in der Regel, jene Erinnerungen an erzwungene sexuelle Askese oder sexuellen Mißbrauch zu bestätigen, die Freud mit Nachdruck von ihnen zu hören wünschte. Freud überwältigte sie durch "logischen Zwang": Wenn sie immer noch sagten, dass sie sich an nichts dergleichen erinnern könnten, antwortete Freud, im Unbewußten hätten die Patientinnen durchaus solche Erinnerungen und der Widerstand gegen sein Insistieren dagegen sei der Beweis dafür.
Freud schuf damit ein für die Patientinnen undurchschaubares Dickicht der Suggestion, schreibt Israels. Für Freud hatte das den Vorteil, dass genau jene Ergebnisse geliefert wurden, die er sich vorher ausgedacht hatte. Aber gaben die Heilungen, d.h. das Verschwinden der Symptome nach dem Aussprechen der sexuellen Irritationen, Freud nicht recht?
In den "Studien" von 1895 wurde nur Anna O. als vollständig geheilt vorgestellt, von den anderen Fällen wird das nicht so eindeutig behauptet. An anderer Stelle schrieb Freud, nicht sämtliche hysterischen Symptome seien beseitigt worden. In allgemein gehaltenen Wendungen behauptet Freud, er habe Erfolge mit der Methode, doch die einzelnen Fallbeschreibungen, die er liefert, geben ein wenig günstiges Bild.
Und die sexuelle Verursachung von Hysterie und Neurosen? In "Zur Ätiologie der Hysterie" von 1896 schrieb er, es seien kaum je Ereignisse zu finden, die die Hysterie determinieren würden. Freud griff deshalb zur Behauptung, man müsse weiter in die Vergangenheit zurückgehen, um jene traumatische Szene zu finden, "die unseren Ansprüchen besser genügt". Die Unmöglichkeit, determinierende Ereignisse anzugeben, und die unklaren Erfolge der kathartischen Methode für die Symptombekämpfung führten Freud dazu, in die Pubertät zurück zu gehen, wo man "unfehlbar auf das Gebiet des sexuellen Erlebens" stößt. Doch Freud muss erneut zugeben, dass es solche Fälle kaum gibt. Also müsse der Analytiker noch weiter graben, in der Zeit der ersten Kindheit nämlich, um Belege für die Idee von der "sexuellen Ätiologie" zu finden. Hier endlich, bei Säuglingen und Kleinkindern, fand Freud "geschlechtlichen Verkehr (in weiteren Sinne)" und damit die "determinierenden Momente" für "jeden Fall" von Hysterie bei Erwachsenen.
Diese Theorie ist als Verführungstheorie (1896) bekannt geworden. Das nicht auffindbare sexuelle Trauma, behauptete er, habe nicht im Erwachsenenleben, sondern in der frühen Kindheit stattgefunden.
War Freud damit am Ziel? Hatte er den Beweis für die Globalthese von der sexuellen Ätiologie der Hysterie gefunden? Nein. Als Freud rasch erkannte, dass sexuelle Übergriffe auch in der frühen Kindheit nicht immer nachweisbar waren, wandte er sich von der Verführungstheorie ab, doch gab er nun nicht etwa bekannt, dass er sich geirrt habe und sexuelle Übergriffe zwar vorkämen, aber nicht bei der Mehrheit der jungen Mädchen. Vielmehr bekundete er 1906, die Kinder und späteren Hysterikerinnen hätten sich den Sexualverkehr mit ihren Vätern phantasiert. Diese Wende brachte Freud zur Doktrin vom Ödipuskomplex: Mädchen wünschten sich im Alter zwischen drei und fünf Jahren Sexualverkehr mit ihrem Vater und den Tod der Mutter. Erstaunlicherweise führte er die Theorie vom Ödipuskomplex nicht am Beispiel der Mädchen, sondern in erster Linie anhand des Schicksals von Jungen aus. Praktisch konnte er kaum einen Fall von sexuellem Mißbrauch an Mädchen benennen und darstellen, sieht man vom Fall "Katharina" ab. Seine Hysterikerinnen jedenfalls hatten kaum je dergleichen berichtet. "Wie Freud auch immer auf die Idee des Ödipuskomplexes gekommen sein mag, auf dem von ihm behaupteten Wege kann es unmöglich gewesen sein", fasst Israels zusammen.
Um die Verführungstheorie und ihre Annullierung dreht sich bis heute ein absonderlicher Streit. Im Kern geht es um die Frage, wie viele kleine Mädchen von ihren Vätern sexuell belästigt wurden. Waren es durchweg alle, sehr viele, nur einige? Der ehemalige Psychoanalytiker Jeffrey Masson behauptete, Freud habe falsch gelegen, als er am Wahrheitsgehalt der Patientinnengeschichten über frühen sexuellen Mißbrauch zu zweifeln begann. Masson erntete dafür Beifall von feministischer Seite: Freud war schließlich nicht der einzige, der Berichte von Frauen über sexuellen Mißbrauch nicht ernst nahm. Zweifellos meinte Masson, er habe eine radikale Kritik an der Entwicklung der Freudschen Theorie geäußert. In Wahrheit, meint Israels nun, bleibt er mit seiner Kritik in dem von Freud geschaffenen Mythos gefangen: die Idee, dass Freud jemals solchen Geschichten Glauben geschenkt hat, ist erst im nachhinein von diesem selbst in die Welt gesetzt worden. Freud konnte niemals den Erzählungen hysterischer Patientinnen über sexuellen Mißbrauch in ihrer frühen Kindheit glauben, und zwar aus dem einfachen Grund, weil seine Patientinnen nie mit derartigen Geschichten bei ihm auftauchten. Es war Freud, der versuchte, ihnen diesen Mißbrauch einzureden - gegen die ausdrückliche Erinnerung seiner Patientinnen. Auch das war kein Problem für Freud. Sie konnten und wollten sich nicht erinnern, sagte er, weil diese Erinnerungen unbewußt sind. Die Empörung und das Unbehagen, das bei den Hysterikerinnen auftauchte, wenn Freud ihnen frühkindliche sexuelle Traumata suggerierte, läßt sich leicht aus der Suggestion und ihren Inhalten selbst verstehen. Freud aber ging mit Bestimmtheit davon aus, dass der Widerstand ein Beweis für die Existenz solcher Traumen sei.
Freud liebte es, sich auf seinem Feldzug zur Durchsetzung der Psychoanalyse als heldenhaft, originell und einsam zu stilisieren. Doch Freud mußte nicht seinen Weg alleine weitergehen, weil Josef Breuer, sein väterlicher Freund und Mentor, den sexuellen Ursprung der Neurose nicht anerkennen wollte, vielmehr anerkannte Breuer ausdrücklich die "sexuelle Ätiologie" der Hysterie, genauer gesagt der Mangel an Geschlechtsverkehr. Freud verzeichnete die Haltung Breuers, indem er später behauptete, Breuer habe die Bedeutung der Sexualität als Auslöser der Neurose nicht anerkannt, ja er sei sozusagen zu feige gewesen, diesen Weg mit Freud zu gehen. Warum Breuer von der Katharsis absprang, behandelt Israels allerdings nicht. Aber es ist klar, dass es zum Gründungsmythos der Psychoanalyse gehört zu behaupten, Freuds Ideen hätten nicht deshalb eine so feindselige Aufnahme gefunden, weil sie nichts taugten, sondern weil man Angst davor gehabt habe, die Bedeutung der Sexualität anzuerkennen."
****
Wie gesagt, der Text geht noch weiter (s.o.). Es gibt auch noch einen lesenswerten Bericht über die Reaktionen der Fangemeinde des großen Mannes auf das Buch. Ein Fest des unkritischen Irrationalismus. Es erinnert fatal an das Verhalten gewisser Toxikologen zu einem anderen Thema. Auch erwartet man ob solcher Enthüllungen über verbreitete paramedizinische Praktiken wie der Psychoanalyse eigentlich warnende Aufklärungskampagnen in einschlägigen medizinischen Fachjournalen wie dem Deutschen Ärzteblatt und der Apothekenumschau. Oder in seelenvollen Ratgebern wie der Brigitte. Ganz zu schweigen von dem Großen Deutschen Volks-Aufklärungsblatt schlechthin, der Bildzeitung. Etwa: SEX-BETRUG des Jahrhunderts! Perverser Psychiater als Dealer und Junkie entlarvt!