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Alles macht krank
Multiple Chemikalien Sensibilität ist nicht heilbar
Seit den 1960er-Jahren häufen sich Meldungen über Krankheiten, die mit der zunehmenden Umweltverschmutzung in Verbindung gebracht werden. Multiple Chemikalien-Sensitivität (MCS) ist eine dieser Gesundheitsstörungen. Sie wird von Betroffenen als extrem belastend beschrieben und macht ein normales Leben oftmals nahezu unmöglich.
MCS ist eine Erkrankung, bei der das Immunsystem auf Spuren von Chemikalien und Umweltschadstoffen mit vielfältigen Symptomen reagiert. Die Erkrankung ist bisher nur in wenigen Ländern als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt. In Deutschland ist das bisher nicht der Fall. MCS kann jeden treffen, Frauen leiden jedoch häufiger darunter als Männer.
Auslöser ohne Ende
Die MCS wird durch geringste Konzentrationen verschiedener Chemikalien verursacht. Diese Auslöser, medizinisch auch als "Trigger" bezeichnet, können praktisch alles sein: Gase und Feinstäube, zum Beispiel von Verbrennungsprodukten, Lösungsmittel, Holzschutzmittel, Pestizide, Desinfektionsmittel, Duftstoffe, bestimmte Medikamente und Aromaöle in sehr niedriger Dosierung. Die Patienten reagieren aber auch auf Rauch, Blütenpollen und Schimmelpilze. Viele leiden an verschiedenen Nahrungsmittelallergien.
In den meisten Fällen steht am Anfang ein "Initialereignis", also eine länger anhaltende Chemikalienbelastung, zum Beispiel auf einer Baustelle oder am Arbeitsplatz. Noch ist nicht endgültig geklärt, weshalb in einem solchen Fall nur bestimmte Menschen an MCS erkranken und andere, die im gleichen Zeitraum derselben Belastung ausgesetzt waren, keine Symptome entwickeln.
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Vulnerabilitätsfaktoren
Experten gehen davon aus, dass das zeitgleiche Zusammentreffen von Schadstoffen mit anderen "Vulnerabilitätsfaktoren" die Entstehung einer MCS begünstigen kann. Als solche "Vulnerabilitätsfaktoren" gelten zum Beispiel eine Virusinfektion oder eine seelische Krise.
MCS wirkt sich auch auf den Magen-Darm-Trakt aus.Alle Körperfunktionen betroffen
Im Unterschied zur Allergie sind nicht nur Haut, Schleimhäute oder Atemwege betroffen, sondern auch unterschiedliche Funktionssysteme des Körpers. Am häufigsten treten chronische Müdigkeit, Wahrnehmungsstörungen, Schwindel, Übelkeit und Brechreiz sowie Magen- und Darmkrämpfe auf. Durch die Symptome ist die Lebensqualität oft so stark eingeschränkt, dass sie kein normales soziales Leben mehr führen können.
Das Problem: Nahezu überall im öffentlichen Raum sind sie Duftstoffen und Chemikalien ausgesetzt, auf die sie reagieren. Abkapselung, Isolation und dadurch bedingte psychische Erkrankungen wie zum Beispiel Depressionen können die Folge sein.
Keine Hypochonder
Bisher gibt es keine festgelegten Diagnosekriterien. Aufgrund dessen und auch aufgrund der vielfältigen und heftigen, oftmals unerklärlich scheinenden Symptome gelten MCS-Patienten häufig als Hypochonder, also als eingebildete Kranke. Erfahrene Umweltmediziner haben Anamnesebögen zum Lebens- und Arbeitsumfeld der Patienten ausgearbeitet. Jedes kleine Detail wird erfasst und ausgewertet. Andere Erkrankungen wie Allergien, Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Stoffen und Migräne müssen vor der endgültigen Diagnose ausgeschlossen werden.
Ein sicheres Indiz auf MCS liegt dann vor, wenn die Symptome immer wieder auftreten, wenn man den Körper den chemischen Stoffen aussetzt, und sie sich erheblich bessern, wenn die Auslöser gemieden werden.
Kombinationen, die helfen
MCS ist nicht heilbar. Sie kann aber, wenn sie frühzeitig erkannt und behandelt wird, mit verschiedenen Strategien so therapiert werden, dass der Betroffene in seinem Alltagsleben nicht völlig eingeschränkt ist. Als besonders vielversprechend gelten jene Therapieformen, die unterschiedliche Ansätze miteinander kombinieren. Dazu gehören Umweltmedizin, Allgemeinmedizin, Neurologie, Ernährungs- und Verhaltenstherapie sowie Psychodynamik.