ÖGD-Fortbildung 2005
Direktlink:
http://www.bfr.bund.de/cm/235/fortbildungsveranstaltung_oegd_2005_abstracts.pdf
Fortbildung für den öffentlichen Gesundheitsdienst 2005
Berlin, 16.-18.März 2005
Eine gemeinsame Veranstaltung von:
Robert Koch Institut
Umweltbundesamt
Bundesinstitut für Risikobewertung
unter Beteiligung von:
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Paul Ehrlich Institut
Universität Düsseldorf
3.12 Umweltassoziierte Gesundheitsstörungen
Dr. Dieter Eis
Robert Koch-Institut
Seit etwa 20 Jahren treten in Arztpraxen, Kliniken und in Einrichtungen des ÖGD immer wieder Personen in Erscheinung, die ihre gesundheitlichen Beschwerden auf Umwelteinflüsse,speziell auf Schadstoffe, zurückführen. Eine Bestätigung der Ursachen-Wirkungsvermutung gelingt aus wissenschaftlich-medizinischer Sicht allerdings nur in seltenen Fällen. Demgegen über wird in den öffentlichen Medien, von sogenannten Experten, manchen Umweltärzten, Heilpraktikern und diversen Untersuchungsanbietern oftmals der gegenteilige Eindruck erweckt, so dass viele Patienten mit subjektiv umweltassoziierten Gesundheitsstörungen in
ihrem auf Umweltnoxen ausgerichteten Krankheitskonzept bestärkt werden.
Sofern bei einem Patienten bestimmte Fallkriterien erfüllt sind, spricht man gemeinhin von Multiple Chemical Sensitivity (MCS), obwohl die von CULLEN und anderen Autoren vorgeschlagenen Kriterien wissenschaftlich keineswegs ausreichend abgesichert sind.
So wurden beispielsweise die folgenden MCS-Fallkriterien vorgeschlagen:
_ Symptome im Zusammenhang mit einer dokumentierbaren Exposition erworben;
_ Symptomauslösung durch verschiedene Schadstoffe bei sehr niedriger Exposition;
_ die Störung betrifft mehr als ein Organsystem;
_ kein differentialdiagnostischer Ausschluss gegeben.
Da die Ätiologie des MCS-Phänomens nicht näher bekannt ist, hat man die Bezeichnung
"MCS" verschiedentlich als unzutreffend kritisiert und die neutrale Bezeichnung "Idiopathic Environmental Intolerances" (IEI) vorgeschlagen.
Bevölkerungsrepräsentative Prävalenzstudien zu IEI/MCS liegen nur in Form einfacher (oft telefonischer) Umfragen vor. Hierbei wurde lediglich erfragt, ob bei den Probanden eine Chemikalienunvertäglichkeit besteht. Die dabei ermittelten hohen Prozentsätze von etwa 15 bis nahezu 40 Prozent der Befragten geben daher keinen Anhalt für die Häufigkeit von MCS. Die Prävalenz der von den Befragten selbstberichteten ärztlichen "MCS-Diagnosen" reicht von 0,2-6 Prozent, wobei unklar ist, was sich im Einzelnen hinter einer derartigen Diagnose verbirgt.
Nach den in umweltmedizinischen Ambulanzen gemachten Erfahrungen, tritt MCS
im engeren Sinne nur sehr selten oder gar nicht in Erscheinung, während MCS im weiteren Sinne, d.h. im Rahmen eines psychosomatischen Geschehens oder im Kontext mit medizinisch unklaren Gesundheitsbeschwerden bei einem erheblichen Anteil der umweltmedizinischen Patienten vorkommt.
Im Rahmen der MCS-Multicenterstudie des RKI wurden 291 Umweltambulanzpatienten aus
mehreren umweltmedizinischen Ambulanzen (Aachen, Berlin, Bredstedt, Freiburg, Gießen, München) untersucht. Die Patienten waren im Mittel 48 Jahre alt, der Frauenanteil lag bei knapp 70 Prozent. Die Datengewinnung erfolgte größtenteils im Jahr 2000 und im ersten Halbjahr 2003. Da MCS-Einstufungen einem beträchtlichen Urteilereinfluss unterliegen, wurde im Rahmen der Studie ein Scoringsystem zur formalen, computergestützten MCS-Fallcharakterisierung entwickelt und eingesetzt. Bei 251 Patienten (86 Prozent der Gesamtstichprobe)konnte zudem ein computergestütztes standardisiertes psychiatrisches Interview (CIDI)
durchgeführt werden. An einer Unterstichprobe von 205 Patienten wurden molekulargenetische Untersuchungen zur "Suszeptibilität bei MCS" durchgeführt.
Eine Teilstichprobe von 47 Patienten unterzog sich einem standardisierten Riechtest ("Sniffin Sticks"). Eine ergänzende Pilotstudie zur Frage einer "neurogenen Entzündung bei MCS" konnte an einer 36 ÖGD-Fortbildung 2005 - Abstracts
kleinen Unterstichprobe von 19 Patienten und einer ebenso großen Kontrollgruppe realisiert werden.
Die hypothesengeleitete Datenauswertung ergab für das MCS-Phänomen kein charakteristisches Symptommuster, keinen systematischen Zusammenhang zwischen geklagten Beschwerden und angeschuldigten Noxen, keinen Hinweis auf eine besondere genetische Prädisposition der MCS-Patienten und keinen Beleg für eine eindeutige Störung des olfaktorischen Systems oder eine neurogene Entzündung. Die standardisierte psychiatrische Diagnostik (CIDI) ergab, dass Umweltambulanzpatienten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung etwa doppelt so häufig unter psychischen Störungen leiden und dass diese bei den
meisten Patienten den umweltbezogenen Beschwerden weit vorausgehen.