Was Kinder krank macht

Was Kinder krank macht

Beitragvon Juliane » Montag 19. Juli 2010, 08:56

Zitate aus einem Artikel des Spiegel aus dem Jahr 1992


"Südlich von Dresden in der Industriestadt Pirna stellten Kinderpsychiater eine "auffallende Häufigkeit zerebralneurologischer Ausfälle" bei Neugeborenen fest, bei Schülern fielen Konzentrationsschwächen und psychomotorische Störungen auf. Die Kinder litten unter Schwindelgefühlen, Kopfweh und Gliederschmerzen. Das Krankheitsbild tauften die Ärzte "Pirna-Syndrom".

Ein einziger - inzwischen stillgelegter - Industriebetrieb, das "Kunstseidenwerk Siegfried Rädel", hatte vermutlich das rätselhafte Leiden ausgelöst. Der volkseigene Viskose-Betrieb hatte tonnenweise Schadstoffe ausgespuckt, vor allem Schwefelkohlenstoff und Schwefelwasserstoff. Erst langsam verschwinden die Krankheitssymptome.

Auch in Bitterfeld sind die verheerenden Auswirkungen der ortsansässigen Chemiefabriken noch in den Gesundheitsakten der Kinder nachzulesen. Nach einer Untersuchung des Umweltbundesamtes im vergangenen Jahr gelten in dem alten Chemierevier nur zehn Prozent der Kinder unter drei Jahren als völlig gesund.

Bereits während der Schwangerschaft gibt es in jedem fünften Fall Komplikationen. Bitterfelder Kinder sind durchschnittlich drei bis fünf Zentimeter kleiner als ihre Alterskameraden in Wismar; jedes 15. Kind zeigt, nach den Befunden der Mediziner, "allgemein geistige Entwicklungsstörungen".





In dem Harzstädtchen Ilsenburg am Fuße des einstigen deutsch-deutschen Grenzberges Brocken hat die Ärztin Ingeborg Röthing den Eindruck, daß die "Mißbildungsrate bei Neugeborenen zugenommen" habe. Beweisen kann sie das nicht. "Es fehlen Fingerchen oder Händchen", behauptet die Medizinerin, zudem gebe es "sehr viel angeborene Herzklappenfehler".

Röthing führt die Befunde auf eine am Rande des Städtchens gelegene Kupferhütte zurück. Am Schornstein des Werkes waren nach der Wende extrem hohe Dioxin-Konzentrationen gemessen worden. Seit Monaten versucht die Internistin, Schadensersatz für ihre Patienten zu bekommen - vergebens. Die Metallhütte ist dicht, die Berliner Treuhandanstalt, neue Eigentümerin der Schrottöfen, fühlt sich nicht verantwortlich: Es müsse zunächst geklärt werden, ob überhaupt "eine Kausalbeziehung" bestehe.




Mit dem Hinweis darauf, daß sich direkte Beziehungen zwischen jeweils einer Umwelteinwirkung und einem Krankheitssymptom kaum je nachweisen lassen, wehren sich auch im Westen Behörden und Betriebe gegen Schadensersatzansprüche. Fast immer sind mehrere Faktoren beteiligt, auch verschiedene Schadstoffe. In Ilsenburg beispielsweise noch giftige Schwermetalle: Die Kinder des Harzstädtchens haben, berichtet die Ärztin Röthing, etwa fünf- bis achtmal mehr Blei und Arsen in den Haaren als ihre Altersgenossen in der westlich des Brocken gelegenen niedersächsischen Ortschaft Oker.

Doch die Kinder in Oker sind, wie Forscher der Universität Göttingen herausfanden, teilweise schon lernbehindert - wegen der Bleibelastung. Schuld ist, vermutlich, eine Metallhütte, die bereits vor mehr als zehn Jahren ins Gerede gekommen war und daraufhin teilweise saniert wurde.

Psychologen testeten Jahre später in vier Grundschulen die Intelligenz der Erstkläßler von Oker, zugleich stellten sie den Bleigehalt der Milchzähne fest, ein Indiz für die Langzeitbelastung. Kinder mit höheren Bleiwerten waren, so die Forscher, "in der Aufmerksamkeit und in der Reaktion auf einfache oder komplexe Anforderungen spezifisch beeinträchtigt". Die Wissenschaftler empfahlen "dringend eine weitere Reduzierung der Schadstoffbelastungen".......




Auf eine andere Schadstoffquelle deuten Untersuchungen von Jugendlichen, die eine Schule im Leverkusener Stadtteil Wiesdorf besuchen: Ein Viertel der Schüler zeigte auffällige Befunde des Blutbildes - aus den Kellerräumen des Lehrgebäudes dringen seit Jahren Lösemitteldämpfe nach oben, das Schulhaus wurde auf einer ehemaligen Giftmülldeponie der Bayer AG errichtet.

In der Hamburger Billesiedlung, einem Wohnquartier hinterm Elbdeich, stellten Experten bei den etwa 90 Kindern ungewöhnlich häufig einen erhöhten Anteil von Lymphozyten an den weißen Blutkörperchen fest. Auch der Gehalt an Fettstoffen im Blut sowie die vorgefundene Menge an Leberenzymen weichen von der Norm ab. Die Befunde sind "Indikatoren" dafür, sagt die Hamburger Kinderärztin Cornelia Meissner, "daß auf das Immunsystem der Kinder irgend etwas einwirkt".

Im Fall der Billesiedler ist der Belastungsweg klar: Die schmucken Einfamilienhäuser stehen auf einem alten Hafenspülfeld, das Arsen und Cadmium, Blei und Dioxine ausgiftet. Über die Salatköpfe und den Kohl gelangten die Schwermetalle auf den Eßtisch der Bewohner. Hühner pickten mit Bodenkrümeln Dioxine auf, in den Frühstückseiern wanderten die Giftspuren weiter."

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http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13689691.html
Juliane
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