Bio-Kunststoff aus Abfall und Algen

Bio-Kunststoff aus Abfall und Algen

Beitragvon Kira » Montag 17. Oktober 2011, 08:09

Bio-Kunststoff aus Abfall und Algen
Der Verpackungswahn hat die Menschheit fest im Griff. Wohin man sieht, prägen Kunststoffe das Bild. Dabei gibt es zahlreiche alternative Möglichkeiten, Verpackungen aus umwelt- und menschenfreundlichen Materialien zu schaffen, so etwa auch aus Algen oder landwirtschaftlichem Abfall. Ein Bericht von Barbara Jauk.

Wer den Film "Plastic Planet" gesehen hat, wird danach den Griff zur Plastikflasche im besten Fall mehrmals überdenken. Die Dokumentation zeigt, dass etwa Plankton im Meer aufgrund der Verschmutzung mittlerweile zu einem Großteil aus Plastik besteht. "Die Gefahren, die von Kunststoff ausgehen, sind langfristig noch gar nicht erforscht", gibt auch Bettina Reichl, die Leiterin der F&E-Abteilung im Verpackungszentrum Graz zu bedenken. Der Familienbetrieb hat sich der Erforschung und dem Vertrieb von biogenen, also organisch abbaubaren, Verpackungen verschrieben. Diese können einfach mit dem Biomüll entsorgt oder kompostiert werden.

Die EU als Bremse
Biogene Kunststoffe werden derzeit hauptsächlich in der Verpackungsindustrie (Transportschalen, Frischhaltefolien und -beutel, Einkaufssäcke) aber auch in der Landwirtschaft und in Gärtnereien (Agrarfolien, Pflanzentöpfe, Schnüre) sowie im Haushalt und Fast-Foodbereich (Einwegbecher und -teller) eingesetzt. Für den Konsumenten stellt das freilich meist einen "Dschungel" dar, weiß Reichl, die eine fehlende einheitliche Kennzeichnung beklagt. Während in der EU noch die Paragrafenreiter am Werk sind, nützen findige Marketingexperten den Trend zum "Grünen". Handelt es sich also um biogene Kunststoffe, wird dies so lautstark wie möglich hinausposaunt. Dass biogene Kunststoffe boomen und die Nachfrage steigt, erkennt man auch daran, dass die "großen" Produzenten auf die Ökoschiene aufspringen. Die EU-Länder behindern sich in dieser Hinsicht mit extremer Bürokratie noch selber: "Während hier noch beraten wird, haben andere Länder schon alles auf die Beine gestellt", so Reichl.

Abfall wird zu Bio-Kunststoff
Das Verpackungszentrum Graz hat sich bereits 1989 auf den Vertrieb kompostierbarer Materialien spezialisiert. "Rund 70 Prozent unserer Waren sind Papierwaren bzw. biogene Produkte", erzählt Reichl. Zusätzlich wird gemeinsam mit anderen Institutionen (z.B. TU Graz) an der Entwicklung neuer und noch besserer Materialien geforscht. Drei Projekte sind derzeit am Laufen. "Es gibt so viele Reststoffe, mit denen so viel möglich ist", erklärt Reichl, "eine Schande Erdöl für kurzlebige Verpackungen zu verschwenden." Deshalb haben Forscher des Instituts für Biotechnologie an der TU Graz Rückstände aus der Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Biokunststoff, der aus Zuckerrübenschnitzel, Molke oder Apfeltrester hergestellt wird. Noch ist die Produktion dieses Materials deutlich kostspieliger als jene herkömmlichen Kunststoffes. Die Vorteile liegen neben jenem der hundertprozentigen Umweltverträglichkeit aber auf der Hand. So ist etwa die Sauerstoffdurchlässigkeit 40 Mal geringer als bei üblichen PE-Folien.

Schaumstoff aus Algen
Nicht weniger spektakulär präsentiert sich die Herstellung von Schaumstoff aus Algen, Projekt Nummer zwei des Verpackungszentrums, das von Forschern des Instituts für Prozess- und Partikeltechnik der TU Graz in Kooperation mit der Universidad de Magallanes in Chile betreut wird. "Alles begann bei einem Besuch an der Adria", schildert Reichl, wo der Gedanke aufkam, dass auch Algen Zellstoff enthalten müssten. Heute wird aus Algen ein Granulat entwickelt, das zu Gefäßen zusammengeklebt wird. Die Vorteile: Algenzellstoff (Alginsulat) ist wasserunlöslich, leicht, kompostierbar und dazu relativ billig herzustellen. Der Vorteil der Algen: Sie wachsen schnell nach und sind selbstregulierend. Ein weitere Ökobonus des Alginsulats: Zur Aufschäumung wird im Gegensatz zu herkömmlichen Schaumstoffen kein FCKW sondern reine Luft verwendet.

Derzeit wird in Pilotanlagen Granulat erzeugt, das auch als Dämmmaterial für den Bausektor interessant ist. "Es brennt nicht", schwärmt Reichl, "ohne chemische Aufrüstung schaffen das nur wenige Materialien".

Kompostierbare Gemüsesäcke
Bei Projekt drei des Verpackungszentrums Graz dreht sich alles ums Weben. Mit der Double Twist Technology wurde ein Verfahren entwickelt, das bei geringerem Materialaufwand eine höhere Reißfestigkeit erzielt. Zudem sind die Netze, die ausschließlich aus Naturstoffen (Flachs, Hanf, Baumwolle) erzeugt werden, kompostierbar.

Reichl: "Nicht blauäugig"
"Natürlich darf man nicht blauäugig sein", gibt Reichl zu bedenken, "man muss auch rechnen". Sie spielt damit auf Ökobilanzen an, die vom Verpackungszentrum Graz sehr wohl bedacht werden. Wenn nämlich der ökologische Fußabdruck für die Produktion der biogenen Kunststoffe größer ist als jener für erdölbasierte, ist das nicht sinnvoll. "Wirtschaftlichkeit und volkswirtschaftliches Denken werden natürlich auch bei uns großgeschrieben", so Reichl. "Wir wollen Kunststoff nicht nur schlecht machen, aber Plastiksackerl braucht es eindeutig nicht, das ist Verschwendung."

http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/thema/2819705/biogene-verpackungen.story
"Wo der Mut keine Zunge hat, bleibt die Vernunft stumm."
(Jupp Müller, deutscher Schriftsteller)

Bloggen statt Schweigen
Benutzeravatar
Kira
Alleswisser
 
Beiträge: 10331
Registriert: Dienstag 15. September 2009, 13:56

Zurück zu Verschiedenes

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast