von Alex » Montag 27. März 2006, 12:05
Plötzlicher Kindstod durch Öko-Matratzen
Dubioser Test
23.03.2006 - Ein Test, vom Vertreiber des Testsiegers bezahlt, eine ungeeignete Testmethode, ein Professor, der nicht versteht, was gemessen wurde, Journalisten, die nicht nachfragen: Fertig ist der vermeintliche Skandal.
Von Jürgen Stellpflug, ÖKO-TEST-Magazin
"Öko-Matratzen können plötzlichen Kindstod verursachen", titelte Spiegel Online. Fast jede Zeitung, jeder Radio- und Fernsehsender verbreitete in den folgenden Tagen diese alarmierende Nachricht. Bei den Eltern von Babys und Kleinkinder löste sie teilweise panische Reaktionen aus.
Die Nachricht ging zurück auf eine Untersuchung der TU Dresden und eine Pressemitteilung des Vereins Babyhilfe Deutschland. Vorsitzender: Prof. Dr. Ekkehardt Paditz. Darin hieß es:
"Kinderschlaflabor der Uniklinik Dresden weist gefährlichen CO2- und Wärmestau auf geprüfter Öko-Babymatratze nach. (…) Der CO2- und der Wärmestau werden als wesentliche Gefahren für schlafende Babys angesehen. (…) Eine mit dem Siegel Öko-Test "sehr gut" ausgezeichnete Baumwoll-Kokos-Babymatratze führte unter Laborbedingungen zum CO2- und Wärmestau: Anders als durch die Produktbeschreibung und das Test-Siegel erwartet werden könnte, konnten nur 20% des auf der Matratze ausgeatmeten CO2 unter der Matratze wieder nachgewiesen werden. Diese Babymatratze besteht aus einem vulkanisierten Kautschukmilchkern mit Kokosfasern, Baumwollumhüllung und einem Nesselstoffüberzug, die in dieser Gesamtkomposition die Luft und Wärmezirkulation erheblich behindern. Durch eine handelsübliche Schaumstoffmatratze für Babys diffundierten immerhin 46% des ausgeatmeten CO2, mehr als doppelt soviel wie bei der Öko-Matratze. Das beste Ergebnis im Test erzielte eine neuartige Babymatratze mit einer Wabenstruktur aus Polyurethan, die als US-Import in Deutschland erhältlich ist. Diese Matratze ließ 92% des ausgeatmeten CO2 durchsickern".
Im Zusammenhang mit Fragen zum genauen Ablauf des Tests wollte ÖKO-TEST von der Babyhilfe unter anderem wissen, wer den Test bezahlt hatte. Das hätten auch die offenbar vorab informierten Kollegen von Spiegel Online fragen müssen. Doch sie taten es anscheinend nicht. So nahm der "Skandal" seinen Lauf.
Stück für Stück kommt die Wahrheit ans Licht
Eine Antwort auf unsere Fragen erhielten wir bis heute nicht. Trotzdem kam die Finanzierung ans Licht - aufgrund von Nachforschungen des Qualitätsverbandes für umweltverträgliche Latexmatratzen (QUL). Gegenüber dem Anwalt des Verbandes, Joachim Amann, bestätigte der Vertreiber der Siegermatratze, dass er für den Test eine fünfstellige Summe bezahlt hatte. Genau waren es 21500 Euro, wie sich aus einem Vertrag zwischen der TU Dresden und der Firma t-rv Technik & Reha Vertriebs GmbH in Karlsruhe hervorgeht.
Den Vertrag haben die Anwälte von Paditz in einem Prozess vorgelegt, den der QUL angestrengt hat. Er soll zeigen, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist und Paditz selbst kein Geld bekommen hat. Aus dem Vertrag geht aber vor allem hervor: Die Firma t-rv hat nicht nur den Test bezahlt und die Siegermatratze geliefert, sondern auch noch die beiden anderen Matratzen ausgesucht und kostenlos zur Verfügung gestellt.
Dass Paditz um die Problematik der Bezahlung des Tests durch die Firma t-rv wusste, zeigt ein weiteres Detail. Der Vertrag regelt, dass "in Veröffentlichungen der TUD (TU Dresden) auf die Finanzierung dieses Vorhabens durch den AG (die Firma t-rv) hinzuweisen" ist. Doch das wurde in den Veröffentlichungen konsequent verschwiegen.
Fazit
Die Rechtssprechung fordert, dass Tests neutral durchgeführt werden. Doch ein Test ist nicht neutral, wenn der Vertreiber der Siegermatratze ihn bezahlt und gleichzeitig die Vergleichsprodukte aussucht und kostenlos zur Verfügung stellt.
Eine glatte Lüge
Das allein spricht noch nicht für ein unkorrektes Untersuchungsergebnis. Doch es gibt weitere Unstimmigkeiten. So behauten Paditz bzw. die Babyhilfe, der Test sei "mit einer lebensgroßen Babypuppe - unter streng kontrollierten Bedingungen mit Präzisionsmessgeräten" durchgeführt worden. Eine glatte Lüge. Tatsächlich wurde wegen messtechnischer Schwierigkeiten keine Babypuppe verwendet, sondern ein "Gasauslassschlauch (…) zwischen zwei definiert temperierten und ausgewogenen Wärmeflaschen durch textile Träger fixiert", so die Anwälte von Paditz in einem Schreiben an das Gericht.
Öko-Matratze tatsächlich am besten
Darüber hinaus sind der Testablauf und -aufbau selbst problematisch. Auch wenn Paditz bis heute die genauen Daten noch nicht öffentlich gemacht hat, steht fest: Die CO2 -Konzentration wurde unter der Matratze gemessen. Genau dort, wo auf der Matratze die Nase des Babys liegen sollte. Damit war das Ergebnis des Tests von vornherein klar. Die Bienenwaben der Siegermatratze wirken wie eine Röhre. Was man oben hineinbläst, kommt unten raus. Dagegen verteilt sich das CO2 in der vergleichsweise untersuchten Schaumstoff- und der Öko-Matratze und tritt an vielen Stellen aus. Nicht nur direkt unterhalb der Nase des Babys.
Somit ist die Schlussfolgerung falsch, die Paditz aus den gemessenen CO2-Werten unterhalb der Matratzen zieht. Die geringeren CO2-Konzentrationen unter der Schaumstoff- und der Ökomatratze sind nicht einmal ein Hinweis auf den von Paditz behaupteten CO2-Stau. Es ist im Gegenteil von Vorteil, dass sich das CO2 verteilt. So besteht keine Gefahr der Rückatmung - und damit ebenso wenig die Gefahr, dass Öko-Matratzen den plötzlichen Kindstod auslösen oder sogar verursachen können. Zu dem gleichen Ergebnis kommt Dr. Bernd Maciej von Landesgewerbeanstalt Nürnberg. Er schreibt in einem Gutachten zu dem Test: "Unserer Meinung nach ist es deshalb unzulässig, aus diesen Messungen Rückschlüsse über die Anreicherung von CO2 im Atemtrakt abzuleiten".
Grafik zur Rückatmung bei Waben- und Kokosmatratzen
Gefahr durch Siegermatratze?
Doch es könnte noch schlimmer kommen. Dr. Frank Kuebart, Geschäftsführer des QUL und des Eco-Umweltinstituts in Köln, vermutet, dass die von Paditz hochgelobte Siegermatratze besonders problematisch ist. Der Grund ist ganz einfach. Paditz hat offenbar gar nicht verstanden, was gemessen wurde. Die Waben haben ein Volumen von etwa 25 bis 50 Milliliter. Das Atemvolumen eines Babys beträgt 40 Milliliter. Die Folge: Das Kind atmet in die Wabe hinein - und atmet dann sein eigenes CO2 wieder ein.
Fazit
Die Rechtssprechung verlangt, dass ein Test sachkundig durchgeführt wird. Doch Sachkunde ist bei diesem Test nicht zu entdecken. Die Beschreibung des Testaufbaus ist teilweise falsch, weil keine Babypuppe verwendet wurde. Die gemessenen Daten wurden falsch interpretiert. Die Öko-Matratze ist der tatsächliche Testsieger, denn es ist von Vorteil, dass sich das ausgeatmete CO2 in der Matratze verteilt und somit für die Rückatmung nicht mehr zur Verfügung steht.
ÖKO-TEST hat dem Pressesprecher der Babyhilfe bereits kurz nach der Veröffentlichung des Tests geschrieben, dass es sich unserer Meinung nach um eine kühl geplante PR-Aktion handelt. Wir dachten damals, es ginge nur um Publicity für die Babyhilfe bzw. für Paditz. Dass es zudem eine PR-Aktion für den Vertreiber der Siegermatzrate seien könnte - der seit dem Tag der Veröffentlichung des "Tests" auf seiner Internet-Seite mit dem Ergebnis wirbt - ist uns und auch den Kollegen von allen anderen Medien gar nicht in den Sinn gekommen.
Wir kannten aber auch den Vertrag zwischen t-rv und der TU Dresden nicht, in dem der Zweck der ganzen Aktion unverblümt beschrieben ist: "Der AG (t-rv) ist an der Nutzung dieser Kenntnisse sehr interessiert", heißt es da. Und weiter: "Durch den messtechnischen Nachweis erhält das Produkt gute Chancen für eine problemlose, europaweite Markteinführung".
Ökotest, 27.3.2006