Hochinteressant!
vielen Dank an Clarissa für diesen Fund.
Hier ist die Studie:
http://www.apug.de/archiv/pdf/mcs_abschlussbericht_teil1_lang.pdf
Seite 22 - 23
Im Vordergrund der von den Patienten im UmedFB angegebenen Gesundheitsbeschwerden
standen unspezifische Allgemeinsymptome, gefolgt von Beschwerden des Bewegungs23
apparates und Magen-Darm-Beschwerden. Die Schmerzabfrage (Zeitfenster: 7 Tage/12
Monate) ergab besonders bei Kopfschmerzen, aber auch bei allen anderen Schmerzlokalisationen
in der Studienstichprobe sehr viel häufigere Nennungen als im BGS 98. Auch bei
den Lebenszeitprävalenzen vieler Erkrankungen, u.a. Allergien, Magen-Darm-, Atemwegserkrankungen
und psychische Erkrankungen, machten die Studienteilnehmer signifikant
häufigere Angaben, während andere Erkrankungen, z.B. Krebserkrankungen, Schlaganfälle,
Zuckerkrankheit und Bluthochdruck nicht häufiger als im BGS 98 genannt wurden. Im Vergleich
zur Allgemeinbevölkerung (BGS 98) hatten die Umweltambulanzpatienten einen sehr viel
höheren Score auf der Beschwerden-Liste (B-L) nach v. Zerssen und sie beurteilten auf allen
acht Dimensionen des SF-36 ihre Lebensqualität deutlich niedriger.
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Ein Kausalzusammenhang zwischen vermuteter
Umweltnoxe und den berichteten Gesundheitsbeschwerden wurde ärztlicherseits bei 66% als
eher unwahrscheinlich eingestuft, eine umweltbedingte Erkrankung im engeren Sinne nur bei
22% der Patienten bejaht.
...
Dies legt die Vermutung nahe, dass das
Krankheitsbild MCS und die zu seiner Beschreibung festgelegten Kriterien noch nicht klar
genug definiert sind, um eine Beurteilerübereinstimmung zwischen den Ärzten in sechs umweltmedizinischen
Zentren bezüglich des Beschwerdebildes MCS zu erzielen. Hierin liegt weiterer
Forschungsbedarf begründet.
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Der bisherige Auswertungsstand bestätigt die bereits aus anderen Untersuchungen bekannten
Besonderheiten umweltmedizinischer Patienten, speziell jener mit MCS-Selbstattribution: hoher
Leidensdruck; multiple subjektive Fremdstoffunverträglichkeiten, mit Schwergewicht auf
Innenraumschadstoffen; breites Beschwerdenspektrum mit subjektivem Expositionsbezug;
überwiegend Frauen betroffen, besonders in mittleren Altersgruppen; häufiger alleinstehend
und nicht bzw. nicht mehr berufstätig oder mit längeren Krankschreibungen; zahlreiche
Voruntersuchungen.
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Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass die Umweltambulanzpatienten und hier wiederum
besonders die sMCS-Patienten im Hinblick auf die psychometrischen Profile zwar oberhalb der
Normstichproben scoren, aber noch deutlich unterhalb der bei Psychosomatik- und Psychiatrie-
Patienten ermittelten Scores liegen (mit Ausnahme der Somatisierungsdimension, in der
Umweltpatienten höher scoren).
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Das von den meisten Patienten angegebene gesteigerte Riechvermögen konnte mit
orientierenden Riechtests (Sniffin´ Sticks) an einer Teilstichprobe nicht oder nur in Einzelfällen
bestätigt werden. Des Weiteren konnte bei einer kleineren Unterstichprobe von 19 Patienten mit
MCS-Verdacht (Ebene 1) mittels eingehender olfaktometrischer Untersuchung keine eindeutige
Störung der Riechleistung objektiviert werden.
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Anhaltspunkte für eine organische Erkrankung bestanden bei 56% der Umweltambulanzpatienten
(von 29% in München bis 76% in Bredstedt), wobei solche Anhaltspunkte bei den
Nicht-sMCS-Patienten häufiger verzeichnet wurden als bei den sMCS-Patienten (63 vs.
47%).
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Demnach bestand im Giessener Zentrum die Auffassung, dass
funktionelle Störungen in der Regel psychosomatische Störungen sind und deshalb eine
funktionelle Störung ohne psychopathologische Auffälligkeiten zumindest in der
untersuchten Patientengruppe nicht vorkam. Entsprechend hoch lag im Giessener Zentrum
die relative Häufigkeit psychischer/psychosomatischer Störungen (70% versus 55% in
Bredstedt und 16% in München). Hierin spiegelt sich vermutlich die in Giessen obligate
Einbindung eines Psychosomatikers, während eine solche enge Einbindung in München
nicht bestand.
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Von den neu diagnostizierten Erkrankungen wurden in Giessen mehr als die Hälfte (10/18)
als psychische/psychosomatische Störungen eingestuft, während in Bredstedt 22 von 24
neuen Diagnosen auf die Kategorie „organische Erkrankung“ entfielen und davon der ganz
überwiegende Teil als „Umweltkrankheiten“ (MCS, elektromagnetische Sensitivität etc.)
klassifiziert wurden.
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Eine durch Umweltnoxen verursachte Gesundheitsstörung war nach Einschätzung der
Ambulanzärzte in 14% der Fälle „sehr wahrscheinlich“, in 10% wahrscheinlich und in 67%
der Fälle wenig bis unwahrscheinlich, wobei allerdings erhebliche Zentrenunterschiede
vorherrschen.
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Über die Studie wurde in den öffentlichen Medien nicht gezielt berichtet (keine
Pressemitteilung); lediglich in einer bundesweit in Apotheken ausgelegten Zeitschrift war ein
Bericht zur Studie enthalten.
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Die für MCS postulierte Fremdstoffunverträglichkeit lässt sich
bisher nicht mit wissenschaftlich anerkannten Verfahren nachweisen.
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Bei Umweltambulanzpatienten können psychische/
psychosomatische Störungen vorliegen, so dass sich die Frage erhebt, wie mit solchen
Diagnosen in Bezug auf die MCS-Einstufung oder Nichteinstufung verfahren wird. Stützt
man sich auf eine eher „somatische MCS-Konzeption“, so werden Patienten mit
psychischen Erkrankungen, durch die die umweltbezogene Symptomatik „hinreichend
erklärt“ wird, nicht in die MCS-Gruppe aufgenommen, während Patienten, bei denen die
umweltbezogene Symptomatik durch die diagnostizierte(n) psychische(n) Störung(en) „nicht
hinreichend erklärt“ wird und daher eher von einer psychischen Komorbidität auszugehen
ist, durchaus in die MCS-Gruppe aufgenommen werden können, sofern die Beschwerden
nicht auf Grund einer anderweitigen „somatischen Erkrankung“ bestehen und die MCSKriterien
erfüllt sind.
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Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Heterogenität der Patientenkollektive
vermutlich nicht alleine für die zentrenweise variierenden MCS2-Anteile verantwortlich sind. Es
scheint vielmehr, dass es bei dem bislang so wenig verstandenen und allenfalls auf einer
phänomenologischen Ebene beschreibbaren MCS-Beschwerdenkomplex, für den nur relativ
unbestimmte Fallkriterien angegeben werden können, nicht gelingt, eine von Beurteiler zu
Beurteiler hinreichend übereinstimmende diagnostische Einschätzung herbeizuführen. Dies gilt
selbst für Umweltmediziner, die sich dem „schulmedizinischen Paradigma“ verpflichtet fühlen
und es gilt umso mehr für Ärzte, die eher unkonventionelle medizinische Richtungen vertreten.
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Sofern man davon ausgeht, dass ein beachtenswerter Teil der auf Ebene 2 der MCSEinstufung
vorherrschenden Zentrenunterschiede durch Beurteilungsunterschiede zustande
gekommen ist, bleibt dennoch offen, welche Zentren der MCS-Wirklichkeit („Wahrheit“) am
nächsten gekommen sind; die Zentren Berlin und Giessen, in denen gar keine MCS2-Fälle
bestätigt wurden, die Zentren Aachen und Freiburg mit insgesamt sechs MCS2-Fällen oder die
Zentren München und Bredstedt mit 65 MCS2-Fällen (d.h. 58% bzw. 85% der dortigen
umweltmedizinischen Patienten).
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Folgt man dem zuerst genannten Ergebnis, dürfte MCS im
engeren Sinne ein eher seltenes Phänomen sein oder gar nicht existieren; folgt man den zuletzt
genannten Resultaten, dann wäre eine schadstoffbedingte MCS zumindest unter
Umweltambulanzpatienten eine relativ häufige Gesundheitsstörung.
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Schon jetzt ist klar, dass Patienten mit selbstberichteter MCS und selbstverständlich auch die
Patienten mit ärztlich bestätigter MCS (der sog. MCS2) subjektiv eine relativ geringe
gesundheitsbezogene Lebensqualität und einen relativ hohen Leidensdruck aufweisen.
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