Dr. Tino Merz über die Diagnostik von Umweltkrankheiten:
Zitat
"“Psycho” kostet mehr als 50 Mrd. jährlich
Publiziert am 29. September 2011 von Dr. Merz
Wenn man etwas falsch macht, kostet es meist mehr, auch wenn richtigmachen schon teuer ist. Die neue Debatte hat den Namen Burnout. In den Nachrichten wurde erzählt, psychische Erkrankungen würden in der Arbeitswelt zu nehmen. Die IG-Metall weist aus: 27 Mrd € Behandlungskosten (Quelle: Stat. Bundesamt), Produktionsausfall wird mit 26 Mrd. € beziffert (Quelle: BKK-Bundesverband). Eine Umfrage bei den Betriebsräten ergab einen “starken Anstieg” , von 2004 bis 2010 um das Zehnfache. Der Spiegel beschäftigt sich lieber mit Promis (Rangnik, Hannawald, …). Alle sind sich einig: “es gibt keine Standarddiagnose”, “diffuses” Krankheitsbild, Sven Hannawald war beim Sportmediziner: “Blut abgenommen und alles, es gab keine Ergebnisse”. Nicht selten verberge sich dahinter eine “handfeste Depression”.
Raymond Singer, der weltweit bekannte Neurologe, schrieb in seiner “Neuropsychological Toxikologie” (man beachte das Hauptwort heißt Toxikologie!), dass Depression die häufigste Fehldiagnose für eine toxische Enzephalopathie ist (TE = Hirnvergiftung). Das wurde 1990 publiziert, in der Einerjahren (2000 bis 2010) wurde viel über die Volkskrankheit Depression spekuliert, heute heißt das Spekulationsobjekt Burnout, falsch ist die medizinische Hilflosigkeit: wird der Burnout chronisch heißt die Krankheit CFS.
Diese genauso wie die TE sind beide medizinisch-wissenschaftlich definiert (der Spiegel nennt das Standarddiagnose) und beide sind gemäß WHO anerkannt (ICD-10 Klassifikation: G93.3 (CFS) G92.0 (TE)). Das “anerkannt” bezieht sich auf den Rechtsbegriff des “allgemein anerkannten Stand der Wissenschaftlichen Erkenntnis”. Die Diskussion darüber blendet Wissenschaft und Recht aus: das macht die Sache so teuer und für die Betroffenen zum katastrophalen Schicksal.
Der Rat “häng’ nicht ‘rum, unternimm’ ‘was” war schon immer kontraproduktiv. Burnout unterscheidet sich von CFS dadurch, dass man sich vom Burnout erholen kann. Gelingt das innerhalb 6 Monaten nicht, ist es CFS, d. h. es hat sich chronifiziert. Das ist die Definition:
Hauptkriterien:
rezidivierende, paralysierende Müdigkeit (Leistungsverlust > 50%), ohne Verschwinden durch Bettruhe, über mehr als 6 Monate, Ausschluss anderer Erkrankungen.
Nebenkriterien: Schlafstörungen, zeitweilig Temperatur nicht über 38,6 °C, Halsschmerzen, Lymphknotenschwellungen, Muskelschwäche, Myalgien, Arthalgien, Erschöpfung ohne Belastung, Reizbarkeit, Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen, Photophobie, Pharyngitis
Das ist keineswegs diffus. Zur Klinik gehört auch der Verlauf. Das “plötzlich nichts mehr geht”, dieser Gong-Effekt, wie etliche Promis bei Spiegel online berichten, ist typisch. Nichts an diesen Krankheitsbildern ist neu, nichts ist unbekannt.
Seit Ende der 90er Jahre ist auch der grundlegende Pathomechnanismus aufgeklärt. Er heiß Mitochondriopathie. Die Mitochondrien sind Sonderbereiche in der Zelle (im Zytosol), die für die Lieferung biochemischer Energie zuständig sind. Sie sind das biochemische Ende der Atmungskette und machen aus Fett und Kohlehydraten Energie. Da die Nervenzellen mit Abstand die Zellen sind, die den höchsten Energieverbrauch haben, ist obiges Krankheitsbild die logische Folge. Es entsteht nun ein pathologischer Kreisprozess. Der Entdecker Pall nannte ihn ursprüngliche feedforward-cycle (feedforward ist das Gegenteil von feedback, also etwa: Selbstläufer). Er bleibt, auch wenn die Ursache nicht mehr besteht (etwa die Gifte ausgeleitet wurden). Deshalb wird auch Circulus vitiosus genannt. Das mach die Therapie so schwierig.
Die Diagnose dagegen ist leicht. Typisch ist eine erhöhte Konzentration von Stickstoffmonoxid (NO). Messbar direkt in der Atemluft oder indirekt durch Nitroverbindungen, die es erzeugt (etwa Nitrotyrosin). Die Mitochondriopathie ist also qualitativ wie quantitativ laborchemisch zugänglich. Mit dem üblichen großen Blutbild kommt man der Krankheit freilich nicht bei (das ist zumeist “unauffällig”).
Mit dem Psychounfug, der in Deutschland seit der Erfindung des Ökochonder 1995 die normale Rhetorik darstellt (bei den Wissenschaftsredaktionen der großen Zeitschriften war bisher nichts zu machen), wird seit 16 Jahren jede vernünftige medizinisch-wissenschaftliche Diskussion unterbunden und die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den “Volkskrankheiten” erfolgreich vernichtet.
Wenn die IG-Metall sagt, bei allen klassischen Gesundheitsgefährdungen wie Gefahrstoffen oder Lärm gäbe es konkrete Präventionsregeln, bei arbeitsbedingten Stress jedoch nicht, dann hat sie noch nicht realisiert, dass die offensichtlich Vergifteten meist ihre Rente nicht bekommen, weil sie auf die Psychoschiene abgeschoben werden. Nun wird gleich ein Großteil der Burnout/CFS – Patienten sozusagen pauschal als psychisch krank oder stresskrank in die Ecke der Erkrankungen geschoben, bei denen man halt nichts machen kann.
Die Ursachen für die Mitochondriopathie wird von Pall wie folgt angegeben: Infektionen (unausgeheilte, Borreliose), Allergien, Toxine, Stress. Es geht also primär um das Immunsystem, den oxidativen Stress, systemische Entzündung, chemisch-immunologische Nervenreizung und allergische Kaskaden. Dass freilich sozialer Stress dem nicht gut tut, ist unbestritten. Der enorme Anstieg der Erkrankungen ist aber dem Mix geschuldet. Auch die Allergien sind gestiegen. Um dem schlussendlich noch die Krone aufzusetzen. Etliche Psychiater (Bell, Mackarness, Rapp) haben sich schon in den 80er Jahren damit beschäftigt, dass viele Allergien (Nahrungsmittel, Schimmel) schwere psychische Reaktionen auslösen können, bis hin zur Psychose.
Diese Rhetorik über Psycho und Stress ist unverantwortlich, ist unmittelbar verantwortlich für die Entstehung sog. hoffnungsloser Fälle, falscher Einweisung in die Psychiatrie, schadet dem Arbeitsleben und kostet der Wirtschaft weit mehr als diese 53 Mrd. €. Mit “Zeitbombe” hat die IG-Metall recht, aber sie spielt selbst noch mit dem Zünder, ohne das zu wollen und zu wissen.
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[1] Schubweise wiederkehrend und lähmende, nicht entspannende Müdigkeit, Myalgie = Muskelschmerzen, Arthalgie = Gelenkschmerz, Pharyngitis = Entz. des Rachenraumes"
Siehe hier:
http://www.blog.dr-merz.com/?p=234